# taz.de -- Debatte Terrorbekämpfung in Frankreich: Sozialer Humus des Dschihad
       
       > Zur Terrorbekämpfung wird fast nur auf Ausnahmezustand und Repression
       > gesetzt. Es braucht aber eine Prävention der Gewalt.
       
 (IMG) Bild: Gewaltprävention funktioniert nicht mit Repression, sondern mit der Unterstützung der Zivilgesellschaft.
       
       Nach der Sitzung der Nationalversammlung vorletzten Donnerstag zeigte sich
       Premierminister Manuel Valls entschlossen und zuversichtlich. Die erste
       Kammer des französischen Parlaments hatte fast einstimmig für eine
       stellenweise Verschärfung und Verlängerung der Notstandsgesetze um drei
       Monate gestimmt, deren Entstehung auf die Zeit des Algerienkriegs
       zurückgeht.
       
       Das Gesetz des “l’état d’urgence“ (Not- oder Ausnahmezustand) ermöglicht
       die Einschränkung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit bis hin zu
       Ausgangssperren und dem Hausarrest designierter Personen von bis zu 12
       Stunden am Tag. Es erlaubt darüber hinaus die Schließung von Orten
       möglicher Versammlung sowie Hausdurchsuchungen ohne richterlichen
       Beschluss. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes sind in Frankreich bereits
       mehr als 1.000 Hausdurchsuchungen durchgeführt und über 100 Personen unter
       Arrest gestellt worden. Als ein besonderes Ziel der Maßnahmen zeichnen sich
       dabei Einrichtungen eines als radikal eingestuften Islam ab.
       
       Frankreich reagiert auf die traumatischen Anschläge vom 13. November nahezu
       ausschließlich mit einer enormen Ausweitung von Sicherheits- und
       Kontrollpolitiken nach innen und einer Intensivierung militärischer
       Interventionen nach außen, bei denen noch unter den europäischen Ländern
       Bündnispartner gesucht werden. Diese Reaktionen erscheinen angesichts des
       durch den Terror verursachten Leidens und der Angst zunächst vielleicht
       verständlich. Offen ist, ob in den nächsten Wochen Maßnahmen entwickelt
       werden, die sich außenpolitisch mit den Worten Diplomatie und
       Friedensherstellung, innenpolitisch mit Prävention umreißen lassen.
       
       Passend zu der Kriegsrhetorik wird gegenwärtig eine Aufstockung der
       nationalen Sicherheitskräfte auf allen Ebenen, von der Schutzpolizei über
       die Gendarmerie bis hin zu den Geheimdiensten anvisiert. Es wird
       angestrebt, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrer Freizeit ihre Waffe
       bei sich tragen. Grenzen sollen stärker kontrolliert und für bestimmte
       Personengruppen geschlossen werden, wer innerhalb Frankreichs als
       Terroristen infrage kommen könnte, soll eine elektronische Fußfessel
       tragen.
       
       ## Kontrollpolitik als Eskalationspirale
       
       Die Palette an kontrollpolitischen Visionen und Maßnahmen spinnt sich
       weiter, jeglichen Einfallsreichtum vermisst man bisher jedoch darin, wie
       verhindert werden soll, dass französische Bürgerinnen und Bürger zu derart
       menschenverachtenden Wesen werden können, wie sie in Paris dieses Jahr
       wiederholt in Erscheinung traten. Denn auch wenn ein Teil der bisher
       identifizierten Täter in Belgien lebte, so waren sie doch fast alle
       französische Staatsbürger. Ihr soziales Profil und ihr Werdegang
       unterscheidet sich nach den bisherigen Erkenntnissen nicht grundlegend von
       dem der Kouachi-Brüder und Amedy Coulibaly, die mit ihren Anschlägen gegen
       die Redaktion von Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt als
       „Pioniere des französischen Dschihadismus“ (Le Monde) in die Geschichte des
       Schreckens eingingen.
       
       Geeint und näher zusammengerückt war die französische Gesellschaft auch
       nach den Terrorakten Anfang dieses Jahres. Doch parallel zu der nun wieder
       dokumentierten Einigkeit driftet die französische Gesellschaft auf eine
       Weise sozial auseinander, die sich mit Solidaritätsbekundungen nur
       kurzfristig überbrücken und mit sicherheitspolitischen Maßnahmen alles
       andere als beheben lässt. Im Gegenteil, wovor in der Außenpolitik mit Bezug
       auf die Anschläge von 9/11 zu Recht gewarnt wird, gilt genauso
       innenpolitisch.
       
       Die sich seit den 1990er Jahren abzeichnende Kontroll- und
       Sicherheitspolitik im Kampf gegen Delinquenz, Konflikte und soziale
       Marginalität, mit der Frankreich auf die besonders in seinen Vorstädten
       sichtbar werdenden Probleme reagiert, muss vielmehr als Teil einer
       Eskalationsspirale begriffen werden. Nahezu alle Studien zu den
       Vorstadtunruhen zeigen, dass es die Schikanen und Interventionen der
       Sicherheitsbehörden sind, die die Frustration und Wut der Jugendlichen und
       jungen Erwachsenen in Gewalt umschlagen lassen. Die soziale
       Marginalisierung, der relative Ausschluss von Bildung, Erwerbstätigkeit und
       urbanem Leben, führt vor dem Hintergrund von alltäglich als diskriminierend
       erfahrenen Sicherheitsbehörden besonders bei den Kindern der Einwanderinnen
       und Erwanderer zu einem generalisierten Hass auf einen als neokolonial
       erlebten Staat.
       
       Sicherlich existiert ein gewaltiger Unterschied zwischen den
       Vorstadtunruhen und den dschihadistisch legitimierten Anschlägen. Das
       Profil der Täter der jüngsten Anschläge zeigt jedoch, dass es genau jene
       dumpfe Mischung aus sozialer Ausgrenzung, Frust und dem Gefühl erlebter
       Diskriminierung und Gewalt durch staatliche Instanzen ist, die auch den
       Nährboden für die menschenverachtenden Ideologien bildet.
       
       ## Notstand sozialer Prävention
       
       Nach den Vorstadtunruhen 2005 wurden der Ausnahmezustand verhängt und
       ausgeweitet, sozialpolitisch kam es jedoch zu keiner Wende. Der noch
       hoffnungsvoll unter der früheren Staatssekretärin Fadela Amara
       ausgearbeitete „Plan Banlieue“ blieb weitgehend ohne Finanzierung, dafür
       wurde das sicherheitspolitische Arsenal aufgerüstet. Was man seitdem in den
       „Banlieues“ beobachten kann, ist, dass sich die vereinzelten Unruhen nach
       2005 militarisieren und sich die sozialen Problemlagen insbesondere seit
       dem Jahr der Finanzkrise 2008 wieder kontinuierlich verschärfen.
       
       Ebenso wie Urbanität und Vielfältigkeit nicht als Insel zwischen Zonen
       sozialer Ausgrenzung und Homogenität dauerhaft überleben können, ebenso
       wenig werden sich die Hintergründe für die neue Qualität von
       Terroranschlägen in Europa durch Sicherheitspolitiken nachhaltig bekämpfen
       lassen. Wenn die zutiefst getroffene Grande Nation und ihr Nachbarländer
       jetzt nicht die Größe zeigen, Ideen und Maßnahmen sozialer Prävention auf
       allen Ebenen zu entwickeln und umzusetzen, werden langfristig wieder
       Menschen dazu bereit sein, sich mit ihrer Seele und Wut
       fundamentalistischen Ideologien zu verschreiben und mit einem angeblichen
       Martyrium Terror zu säen.
       
       27 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carsten Keller
       
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