# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Keine Moral durch Raushalten mehr
       
       > Wir Deutschen stehen in diesem Herbst vor einer Zäsur. Müssen die Grünen
       > deswegen Kanzlerin Merkel verteidigen oder angreifen?
       
 (IMG) Bild: Vor der Bundesdelegiertenkonferenz in Halle präsentieren die Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir ein Plakat, das alles will. Aber was genau?
       
       Die Realität ist beschissen. Und der Diskurs erst recht. Es dominiert der
       linkskonservative als auch rechtskonservative Reflex, den Terror und das
       Grauen von Paris als Bestätigung für das zu sehen, was man schon immer
       gesagt hat. Nun ist die eine Frage: Wie positionieren sich die Grünen an
       diesem Wochenende auf ihrer Bundesdelegiertenversammlung in Halle? Bringen
       sie etwas Neues in diese beschissene Realität oder bringen sie sich
       verbalradikal in Sicherheit?
       
       Wir Deutsche stehen in diesem Herbst – Hans Ulrich Gumbrecht hat das
       geschrieben – vor einer Zäsur: Unser aus der unauslöschlichen Schuld
       entstandenes Streben nach absoluter moralischer Autorität war wichtig für
       die alles in allem ordentliche zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber im
       21. Jahrhundert wird es keine Moral durch Raushalten mehr geben. Nicht
       außenpolitisch und nicht für Parteien oder Menschen, die einen Unterschied
       machen.
       
       Das ist hart für die Grünen, denn sie waren der Motor der
       ethisch-moralisch-emanzipatorischen Säuberungsprozesse der letzten 40
       Jahre. Inklusive ihrer absurden Abgründe, zuvorderst die Fixierung auf den
       Kampf gegen falsches Sprechen. (Was sie sprechunfähig gemacht hat.)
       
       Der normale Mensch weiß manchmal wirklich nicht, was sie schlimmer finden:
       Dass Kurden massakriert werden oder wenn Özdemir sagt, dass man den IS
       nicht mit Yogamatten bekämpfen kann. Wenn man die Dynamik der globalen
       Entwicklungen (Klimawandel, Flüchtlinge, Terror, Armut, Verwerfungen der
       fossilen Energien) ernst nimmt, dann gibt es nur eine gebrochene Moral des
       Handelns.
       
       Gleichzeitig erleben wir, wie man von der rechten Seite an der Mitte zerrt.
       Die Mitte ist Angela Merkel mit ihrer derzeit noch sozialliberalen Politik.
       Was etwa die FAZ-Leitartikler mit ihr veranstalten, um sie zu harter,
       männlicher, rechter Flüchtlingspolitik zu bringen statt diesem
       fremdenfreundlichen Weiberzeug, das hat eine neue Qualität.
       
       Müssen die Grünen sich bei aller Differenz nicht entschlossen zu Merkel
       stellen, um die Mehrheit für ein pragmatisch-offenes Land zu verteidigen?
       Das heißt nicht alles durchwinken, was unionsintern rumschwirrt. Dinge
       herausholen, so wie Kretschmann, Habeck und Al-Wazir das mit der Grünen
       Bundesratsmehrheit beim zweiten Flüchtlingskompromiss getan haben. Und die
       Angst vor dem Wähler, wenn man nicht radikal genug tut? Alles fließt. Die
       Gefahr ist genauso groß, dann mit ein paar Prozent Hardcore-Moralfundis
       dazusitzen.
       
       Die Grüne Frage ist nicht, was de Maizière alles universalmoralisch falsch
       macht, sondern was ein Grüner Innenminister heute konkret machen würde, um
       die Flüchtlingsaufnahme zu managen. Was er macht, wenn es kracht. Was er
       macht, damit es nicht kracht. Und die Balance von Freiheit und Sicherheit
       gewahrt bleibt. Das aber führt zu der Erkenntnis, dass Boris Palmer ein
       besserer Innenminister ist als Franziska („Ska“) Keller. Also lieber nicht
       darüber reden.
       
       Es wird in Halle vermutlich wieder hauptsächlich darum gehen, dass die
       Grünen eine Sprache finden, die die Hypermoral ihrer Seele so smart mit der
       Realpolitik der Grünen Länder verknüpft, dass alle damit emotional leben
       können.
       
       Überhaupt: Wer spricht künftig für Grün? Das wird entscheidend sein. Wenn
       Özdemir spricht, hören die Grünen selbst nur Krieg. Wenn Hofreiter spricht,
       hören sie nur Frieden. Wenn Peter spricht, hört keiner zu. Wenn
       Göring-Eckardt spricht, weiß hinterher keiner, was sie gesagt hat. (Dieses
       Bonmot ist leider nicht von mir.) Und wenn ihr Ministerpräsident spricht,
       fühlen sich intern nicht alle „mitgenommen“.
       
       Winfried Kretschmann steht übrigens mit seinem nachdenklichen Pragmatismus
       bei 27 Prozent.
       
       20 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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