# taz.de -- Parteitag der Grünen in Halle: Tanz um das M-Wort
       
       > Muss man die Terrorbande ISIS auch mit Militär bekämpfen? Ja, sagen die
       > Grünen. Dass sie das so klar tun, liegt an einem Abgeordneten.
       
 (IMG) Bild: Cem Özdemir auf dem Parteitag in Halle.
       
       Halle/Saale taz | Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour steht ganz hinten
       in der Halle. Die eine Hand hat er in die Tasche gesteckt, mit der anderen
       zeichnet er Figuren in die Luft. Er spricht schnell, engagiert, schaut ab
       und zu aufs Smartphone. Nouripour sieht erleichtert aus, das ist jetzt sein
       Erfolg.
       
       Warum er für diesen Satz gekämpft hat? „Weil er wahr ist.“ Es sei einfach
       falsch, anzunehmen, das Terrornetzwerk ISIS ließe sich allein politisch
       bekämpfen. „Wir müssen ISIS die Success-Story klauen. Das sind unsere
       Kinder, die denken, sie kriegen da unten viele Ehre, einen Geländewagen und
       drei Sklavinnen dazu. Das ist doch verrückt.“
       
       Über 400 Delegierte diskutieren in der Messe in Halle/Saale seit Freitag
       auf dem Grünen-Parteitag. Und die erste wichtige Entscheidung, die sie
       treffen, ist Nouripours Satz: „ISIS muss man auch militärisch bekämpfen –
       doch besiegen kann man sie nur politisch.“ Dass sich die Grünen so klar
       dazu bekennen, dass ein Krieg gegen die islamistische Mörderbande in Syrien
       oder im Irak richtig sein kann – das ist eine Überraschung.
       
       Eilig hat die Partei auf die fürchterlichen Anschläge in Paris reagiert.
       Der Bundesvorstand hat spontan einen eigenen Tagesordnungspunkt anberaumt.
       Ein Dringlichkeitsantrag soll die Solidarität mit Paris erklären: „Nours
       sommes unis“ – Wir sind vereint. Die Delegierten erheben sich zu einer
       Schweigeminute. Und eine französische Grüne wird per Videoschaltung in den
       Saal geholt, in dem das grüne Motto auf riesigen Plakaten steht: „Mit Mut
       im Bauch.“
       
       ## Eine Absage, die keine war
       
       Vor dem Parteitag hatte sich um die Kriegsfrage ein medialer Streit
       entwickelt. Parteichefin Simone Peter hatte der Rheinischen Post in einem
       Interview gesagt, Solidarität mit Frankreich heiße nicht, „dass wir
       Kriegseinsätze mitmachen“. Dies wurde als harte Absage gedeutet, was es –
       genau besehen – nicht war, wie schnell deutlich wurde.
       
       Der Vorstand versuchte in seinem Antrag das Militär-Wort zu vermeiden. Erst
       ist keine Rede von eventuell nötigen Einsätzen, sie werden blumig
       umschrieben. Die Erfahrung zeige, dass Militär bei der Bekämpfung des
       Terrorismus nur einen sehr begrenzten Beitrag leiste, schrieb der Vorstand.
       Oft sei er sogar kontraproduktiv. Die Vereinten Nationen müssten ISIS im
       Irak und Syrien „durch international abgestimmte Maßnahmen stoppen.“ Das
       klang vage, wie ein Tanz ums böse M-Wort.
       
       Dank Nouripour ist dieses Bekenntnis viel konkreter. Er reichte seinen
       Vorschlag nur wenige Minuten vor Antragsschluss ein. Die Antragskommission
       ließ ihn nicht abstimmen, sie übernahm in modifiziert. Das ist eine Art
       Kapitulation, die Kampfabstimmung fällt aus. Und die Delegierten nahmen den
       Wortlaut mit großer Mehrheit an.
       
       Nun sind die pazifistisch bewegten Zeiten der Grünen lange vorbei. Dass die
       Formulierung nicht zum echten Streit taugt, hat einen einfachen Grund: Die
       Einschätzungen von Realos und Linksgrünen ähneln sich. Wenn man sich auf
       den Fluren der Messehalle umhört, sagen viele das selbe. Wenn ein stabiles
       UN-Mandat gegen ISIS zustande kommt, wird sich Deutschland dem Ruf nach
       Hilfe nicht entziehen können. Und sollten die Grünen dann den Kampf gegen
       eine fundamentalistische Mörderbande verneinen? „Das geht nicht“, sagt ein
       Abgeordneter. „Und das sieht in der Fraktion die große Mehrheit so.“
       
       ## Applaus für Özdemir
       
       Im Moment deutet sich an, dass ein Militäreinsatz mit UN-Mandat in den
       Bereich des Möglichen rückt. Russland und Frankreich koordinieren
       inzwischen die Luftangriffe, der UN-Sicherheitsrat wird in Kürze über eine
       Resolution abstimmen, die die Franzosen eingebracht haben. Man kann es so
       sagen: Die Grünen antizipieren in Halle bereits den Ernstfall.
       
       Parteichef Cem Özdemir bekommt Standing Ovations für seine Rede. Er könne
       nicht mehr hören, wenn viele Islamvertreter ritualisiert erklärten, das
       alles habe nichts mit dem Islam zu tun, ruft er. „Kein heiliges Buch steht
       über dem Grundgesetz.“ Kein angebliches Gottesgebot erlaube es, Frauen ihre
       Rechte zu verwehren oder Schwule zu unterdrücken. Interessant ist, dass
       Özdemir das entscheidende Bekenntnis weglässt. Im dem Manuskript, das an
       Journalisten verteilt wird, steht, man müsse ISIS auch militärisch
       bekämpfen. Am Rednerpult sagt Özdemir diesen Satz nicht.
       
       Zufall, sagen seine Leute. So etwas könne im Eifer des Gefechts passieren.
       Am Ende ist das auch egal. Der Chef musste schließlich gar nicht mehr
       explizit für das M-Wort werben.
       
       21 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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