# taz.de -- Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann …
       
       > … tritt seit ewigen Zeiten in den Angstträumen ungefestigter Heteros als
       > der große Verführer auf. Er kriegt sie alle rum.
       
 (IMG) Bild: Der dienstälteste Kolumnist der Wahrheit: Elmar Kraushaar im Jahr 1991.
       
       … ist ein großer Verführer. Wie er es genau macht, weiß man nicht, aber er
       kriegt sie alle rum. Vielleicht reicht schon eine einfache Berührung und –
       schwupp! – ist man verzaubert. Ich hatte mal einen Kollegen, der sich
       standhaft weigerte, in Konferenzen an meiner Seite zu sitzen. Begründung:
       keine. Die Furcht stand ihm ins Gesicht geschrieben.
       
       Aber vielleicht braucht’s auch mehr als nur die kurze Berührung, Schwule
       haben ihre Tricks, gemeine Fallen, oft erprobte Kunststückchen. Sie nähern
       sich ihrem Opfer ganz zwanglos in geschulter Hetero-Optik, und in einem
       unbedachten Moment langen sie zu – zwischen die Beine oder an den Arsch.
       Die Fantasien ungefestigter Heteros sprühen nur so vor Angstlust.
       
       Die Figur des Verführers hat eine ganz lange Tradition und ist
       unverzichtbarer Bestandteil der Gegenpropaganda. In Stuttgart ist unlängst
       bei der Demonstration gegen die „Ehe für alle“ ein junger Mann aufgetreten,
       der sich den Teilnehmern als schwul vorstellte, seine Homosexualität aber
       nicht auslebe. Schwul sei er geworden durch – was sonst? – Verführung, aber
       jetzt sei er damit durch, „aus Gründen eigener Einsicht“. Die Demonstranten
       dankten ihm mit viel Applaus. Und eine andere, Mitglied bei den „Christen
       in der AfD“, warnte vor Sexualaufklärung in der Schule, vor allem wenn es
       um Homosexuelles ginge, das sei „Manipulation“ der Kinder.
       
       Auch in der Debatte um eine Reform des Anti-Homo-Paragrafen 175 in den
       siebziger Jahren gehörte die Verführungsthese unbedingt zum Repertoire
       öffentlicher Reden. Mit der zweiten Reform 1973 bestand der Gesetzgeber auf
       einer Schutzaltersgrenze für junge Männer von 18 Jahren. Warum nicht schon
       bei 16 Jahren, wie in vielen anderen europäischen Ländern damals üblich?
       Weil „die Festlegung bis zum 18. Jahr erfolgt und nicht mit Sicherheit
       anzunehmen ist, dass sie bis zum 16. Jahr abgeschlossen ist“, sagte im März
       1974 der SPD-Abgeordnete Hans de With bei einer Umfrage des
       Schwulenmagazins Du & Ich. Im gleichen Heft sekundierte ihm Adolf
       Müller-Emmert, ebenfalls SPD. Es sei nicht auszuschließen, „dass
       Minderjährige bis zu achtzehn Jahren durch homosexuelle Kontakte in ihrer
       Gesamtentwicklung beeinträchtigt werden können“.
       
       Eine besonders große Rolle spielte die Idee von der Verführung unter den
       Jungmännern der Bundeswehr. Deshalb blieben trotz der Paragrafenreform
       Schwule weiterhin vom Wehrdienst ausgeschlossen, schließlich könnten die
       „jungen Wehrpflichtigen“ – so der damalige Verteidigungsminister Georg
       Leber (SPD) – „Belästigungen“ und „Machenschaften“ durch „längerdienende
       Soldaten“ ausgesetzt sein. Die „gemeinsame Wohnung der Soldaten“ stelle
       „erhöhte Anforderungen an die Kameradschaftspflicht“, deshalb müsste die
       „soldatische Gemeinschaft vor Gefährdungen von homophil veranlagten
       Bewerbern“ geschützt werden.
       
       Die Verführerlüge ist unkaputtbar und zeitlos schön. Es ist beruhigend zu
       sehen, dass nicht alles neuesten Trends folgt, dass Traditionelles seinen
       Spuk behält.
       
       19 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elmar Kraushaar
       
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