# taz.de -- Griechenland vor der Parlamentswahl: Griechischer Blues
       
       > Am Sonntag wird zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Parlament gewählt. Die
       > Syriza-Begeisterung ist verflogen. Profitieren könnten die Rechten.
       
 (IMG) Bild: Die Distanz zum Volk wird immer größer - Übertragung einer Wahlkampfdebatte der Spitzenkandidaten in Athen.
       
       Athen taz | Michalis Ipermachos lehnt an die offene Tür seiner kleinen
       Taverne gelehnt. Der 53-Jährige zieht an seiner Zigarette, lässt seinen
       Blick schweifen. In der Küche steht seine Frau Eleni Peribaba. Täglich
       kocht die ebenfalls 53-Jährige mehrere Gerichte. Das Konzept: frisch
       gekocht zum erschwinglichen Preis.
       
       Fünf Euro zahlt man hier zum Beispiel für Hühnchen in Zitronensoße mit
       Kartoffeln. Ipermachos war heute schon auf dem großen Markt im Zentrum
       Athens. Wie jeden Morgen fährt der dreifache Vater dort hin, um frische
       Zutaten zu kaufen. Mit seiner Vespa, die neben den drei Eisentischen und
       ein paar Stühlen vor der Taverne steht, ist er schnell dort. Mit zwei mäßig
       vollen Tüten kam er heute zurück. „Viel kaufe ich nicht mehr“, sagt er.
       „Wir haben nicht mehr so viele Kunden.“
       
       Seitdem Bargeldabhebungen begrenzt sind, kommen noch weniger Gäste. Auch
       Touristen, sonst treue Kunden, bleiben weg. Dass sie es so weit kommen
       ließ, hätte er von der Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras
       nicht erwartet, sagt Ipermachos leise. Er hatte bei den Wahlen im Januar
       für Tsipras’ Partei Syriza gestimmt. „Ich hatte gehofft, dass sie etwas
       bewegen kann, weil sie noch jung und unverbraucht war“, seufzt er.
       
       Bei der Volksabstimmung Anfang Juli votierte er mit „Oxi – Nein“ gegen
       weitere Sparmaßnamen. Doch obwohl das Volk beim Referendum mehrheitlich
       Nein sagte, stimmte Alexis Tsipras wenig später den Sparbeschlüssen zu, um
       weitere Kredite zu erhalten. Für viele ein Verrat. Alexis Tsipras trat
       Mitte August zurück. Am Sonntag wird gewählt.
       
       Die Politiker machen im Wahlkampf große Worte, im Volk herrscht
       verzweifelte Unsicherheit. Wen wählen, wenn selbst Linke ein Referendum
       missachten? Das Volk ist müde, wahlmüde. Ipermachos und seine Frau wissen
       auch nicht mehr, wen sie wählen sollen. Er drückt die Zigarette aus.
       
       Das Telefon klingelt. Das Ehepaar bietet auch einen Lieferservice an, der
       die Gerichte oder auch nur Kaffee nach Hause bringt. Ipermachos
       verschwindet hinter der offenen Tür und nimmt den Anruf entgegen. Über dem
       Eingang hängt ein Schild: Welcome to paradise.
       
       Der Wirt notiert die Bestellung. Dann schiebt er einen Stuhl zurecht und
       setzt sich an einen der vier Tische, die im kleinen Raum verteilt sind. Aus
       den Musikboxen schallt Blues und er beginnt zu erzählen. Noch bis vor
       einigen Jahren war der Mann mit dem freundlichen Lächeln Besitzer einer
       Stofffabrik mit vierzig Angestellten und acht Geschäften, eines davon in
       Brüssel. Auch eine eigene Kleiderkollektion hatte er. Er kramt kurz in
       einem Regal, zieht eine hochwertige Broschüre hervor, lässt sich wieder auf
       den Stuhl fallen und schlägt das Heft auf. Langsam blättert er durch seine
       Kollektion. Sein Blick wird schwer. Mit eine energischen Bewegung schließt
       er den Katalog und legt ihn zurück. „Das ist jetzt vorbei“, sagt er mit
       klarer Stimme.
       
       ## Die Unsicherheit ist das Schlimmste
       
       2010 habe er die Firma schließen und alle MitarbeiterInnen entlassen
       müssen. Schrecklich sei das gewesen. Er ist einer der vielen
       mittelständischen Unternehmer, die sich in der Krise nicht mehr halten
       konnten. Wer kauft noch Stoffe und Kleider, wenn es am Nötigsten fehlt?
       Wenn man nicht weiß, was morgen passiert? Das sei das Schlimmste, diese
       Unsicherheit, die die Leute ständig im Sparmodus hält. „Zwei Jahre habe ich
       dann alles gemacht, was sich so an Arbeit auftreiben ließ, Taxifahrer und
       Verkäufer zum Beispiel“, berichtet er weiter. Ein richtiger Arbeitsplatz
       ließ sich nicht finden.
       
       Um sich und seine Familie über Wasser zu halten, kam ihm und seiner Frau
       die Idee mit der Taverne. „Denn wenn die Leute ausgehen und überhaupt noch
       Geld ausgeben, dann hauptsächlich fürs Essen.“ Er lächelt. Vor drei Jahren
       öffnete das Ehepaar die Taverne. Dafür hatten sie all ihr Erspartes gegeben
       und sich von Freunden und Bekannten Geld geliehen. Das Geschäft wurde gut
       angenommen und auch im Tripadvisor geführt.
       
       Üppig war es nie, aber das Paar kam über die Runden. Als die Wahlen im
       Januar angekündigt wurden, ging die Zahl der Gäste merklich zurück. Dann
       kam das Referendum und jetzt, wo wieder Wahlen stattfinden, sind alle noch
       mehr verunsichert, erzählt er. Es komme oder bestelle kaum noch jemand.
       
       ## Die Goldene Morgenröte flimmert
       
       Eleni Peribaba wischt ihre Hände am Geschirrtuch ab, stellt den Herd auf
       kleine Flamme und setzt sich zu ihrem Mann. „Wir sind sechzehn Stunden am
       Tag hier, aber es reicht einfach nicht“, seufzt sie. Seit Monaten zahlen
       sie nur noch die wichtigsten Rechnungen, berichtet sie. Das ist nicht okay,
       aber was sollst du machen? „Wir sind seit über einem Jahr nicht mehr
       versichert“, verrät sie. Stattdessen zahlen sie Miete, Strom und Gas, damit
       das Geschäft läuft. Peribaba schaut auf das Telefon. Es bleibt stumm. Im
       Fernseher über der Küchenzeile flimmert Wahlwerbung der faschistischen
       Partei Chrysi Avgi, zu Deutsch: Goldene Morgenröte.
       
       Ilias Kounelas sitzt am Schreibtisch in seiner Wohnung nahe der
       Metrostation Larisis. Der Stadtteil ist bekannt für die vielen Anhänger der
       Chrysi Avgi. Auch die Zentrale der Partei ist hier. „Wenn die Chrysi Avgi
       sich auf der Straße vor der Parteizentrale versammelt, höre ich das bis
       hierher“, erzählt der 32-jährige Schauspieler. Wahlumfragen zeigen, dass
       die Chrysi Avgie am Sonntag drittstärkste Partei werden könnte. Ich glaube,
       so sagt er leise, eigentlich nur noch an Gott, nicht an irgendwelche
       Politiker.
       
       „Ich weiß hier auch nicht mehr, was links bedeutet“, seufzt Kounelas, der
       aus einem kommunistischen Elternhaus stammt. Schon früh hat er gemerkt, das
       es einen großen Unterschied gibt zwischen Linkssein in der Theorie und
       Linkssein in der Praxis. Er lacht auf. Alle, die im Parlament sitzen,
       bekommen mindestens 6.000 Euro im Monat. Das entfremdet vom Volk. Über
       achtzig Prozent der Bevölkerung kann von so viel Geld nur träumen. „Aber
       gut, das ist, was wir haben. Lebe vom Gegebenen, wie die Christen so schön
       sagen.“
       
       ## Die unbeschwerte Ehrlichkeit fehlt
       
       Als Schauspieler habe er gelernt, auf die Körpersprache zu achten. Das hat
       er auch bei Alexis Tsipras getan. „Er wirkte ehrlich, schien das zu meinen,
       was er sagte. Meine Sympathie hat er.“ Allerdings habe Tsipras, als er in
       Brüssel den Sparbeschlüssen zustimmte, diese unbeschwerte Ehrlichkeit
       verloren. „In den ersten Monaten unter Tsipras habe ich Hoffnung verspürt.
       Das ging hier vielen so.”
       
       So habe er sich zum Steuerzahlsystem in 100 Dosierungen angemeldet, das
       Syriza geschaffen hat. Viele haben lange Zeit keine Steuern gezahlt. Die
       Tsipras-Regierung bot jedem an, sich ohne Strafzahlung für diese
       Steuernachzahlung anzumelden. Das sei eine gute Idee gewesen. Durch solche
       volksnahen Gesetze fühlten sich viele verstanden.
       
       „Früher bin ich oft gar nicht zur Wahl gegangen, ich konnte mit keiner
       Partei etwas anfangen“, betont Kounelas. Doch am Sonntag wird er für die
       Syriza stimmen. „Nicht weil ich ein Anhänger bin. Aber ich stimme damit
       gegen die Faschisten.“
       
       19 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Theodora Mavropoulos
       
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