# taz.de -- Das Warten macht die Menschen mürbe
       
       > Flüchtlinge I Die Stimmung vor dem Landesamt Lageso ist extrem
       > angespannt. Koordinierungsstab denkt über Verbesserungen nach
       
 (IMG) Bild: Wenn Tausende Menschen im Ungewissen bleiben, kippt die Stimmung schnell: Szene am Mittwoch vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso)
       
       von Julian Rodemann und Uta Schleiermacher
       
       Kein Tag vergeht mehr ohne Zwischenfälle vor dem Landesamt für Gesundheit
       und Soziales (Lageso) in Moabit. Am Mittwoch kam es erneut zu Rangeleien:
       Der Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes schlug einem wartenden Flüchtling
       mit der Faust ins Gesicht. Das berichteten mehrere Augenzeugen
       übereinstimmend. „Er wurde erst am Hinterkopf getroffen, dann direkt im
       Gesicht“, sagte Samb Jarah, der die Szene beobachtet hatte. Der
       Angegriffene hatte offenbar versucht, über die Absperrungen vor der Behörde
       in der Turmstraße zu gelangen.
       
       Am Dienstag drängten sich Flüchtlinge an einem Absperrgitter, riefen
       Sprechchöre und pfiffen. Sie forderten, mit jemandem vom Lageso zu
       sprechen. Die Polizei rückte an und versuchte, die aufgebrachten Menschen
       mithilfe eines Sprachmittlers zu beruhigen. Menschen aus Syrien beschwerten
       sich: Es seien zu viele Flüchtlinge aus anderen Ländern da, ihre Anträge
       würden nicht schnell genug behandelt. „Solche Einsätze haben wir hier
       mehrmals am Tag“, sagte eine Polizistin. Später am Tag geriet die Lage
       zeitweise außer Kontrolle, die Polizei setzte Pfefferspray ein.
       
       ## Vor den Bus gelegt
       
       Am Montagabend wiederum hatte sich nach Polizeiangaben ein 32-jähriger Mann
       aus Afghanistan mit seinem vor den Bauch geschnallten Kind vor einen Bus
       gelegt, als der Fahrer anfahren wollte. Der konnte rechtzeitig bremsen, ein
       Mitarbeiter des Sicherheitspersonals zog den Mann auf den Gehweg.
       
       Die Ehrenamtlichen der Initiative „Moabit hilft“ haben am Dienstag
       beschlossen, sich von der Fläche vor dem Lageso zurückzuziehen. Sie helfen
       zwar weiter bei der Essensausgabe, werden aber kein Essen mehr an der
       Warteschlange verteilen. „Am vergangenen Freitag haben dort einige
       Flüchtlinge zwei Helfer ins Gebüsch geschubst“, erzählt Michael Ruscheinsky
       von „Moabit hilft“. Trotzdem warfen Freiwillige am Mittwoch wartenden
       Flüchtlingen Capri-Sonne-Beutel zu. „Vielen von uns fällt es schwer, von
       der Warteschlange fernzubleiben“, so Ruscheinsky. „Die Menschen dort haben
       Durst und brauchen Hilfe, sie warten den ganzen Tag lang.“ Die Stimmung sei
       jedoch allgemein gereizter und aggressiver, berichtet eine Helferin.
       
       Darüber, wie das Warten für die Menschenmassen vor dem Lageso erträglicher
       werden könnte, hat am Mittwoch auch der Koordinierungsstab zum
       Flüchtlingsmanagement unter Leitung des neuen Staatssekretärs für
       Flüchtlingsfragen, Dieter Glietsch, diskutiert. Welche konkreten Maßnahmen
       beschlossen wurden, war bis Mittwochabend nicht bekannt.
       
       ## Unklare Nummernfolge
       
       Der Koordinierungsstab reagiert auf die zunehmend angespannte Situation.
       Tausende Flüchtlinge warten täglich darauf, dass ihre Nummer aufgerufen
       wird. Für Unmut sorgt die Intransparenz des Systems: Die Nummern auf der
       Anzeigetafel im Freien laufen in keiner erkennbaren Reihenfolge durch –
       Z134, BI42, U088. Davor sitzen Hunderte Männer, Frauen und Kinder. „Das
       sind die Nummern von Anträgen, die fertig bearbeitet sind“, erklärt
       Lageso-Sprecherin Silvia Kostner.
       
       Bis es so weit ist, dass ihre Nummer auf der Tafel erscheint, müssen die
       Flüchtlinge mehrere Schritte durchlaufen. Ausgegeben werden die Nummern ein
       paar Schritte weiter vor einem anderen Gebäude. Dort warten Menschen dicht
       gedrängt zwischen Absperrgittern. Da die Sachbearbeiter mit dem Andrang
       nicht nachkommen, gäben sie nur bis 14 Uhr Nummern aus, sagt
       Lageso-Mitarbeiter Tobias Hein. Doch die wartenden Flüchtlinge, fast alle
       Männer, warten weiter bis zum Abend. „Manche stehen hier acht Stunden“,
       sagt Hein.
       
       Wer eine Nummer ergattert hat, wird fotografiert, muss den „B-Bogen“ mit
       Angaben zur Person ausfüllen (auch „A-“ und „C-Bögen“ gibt es noch),
       bekommt einen Platz in einer Notunterkunft und einen Termin für die
       gesundheitliche Untersuchung, erklärt Kostner. Erst anschließend kommt die
       Nummer aufs Display, und die Flüchtlinge erhalten ihre „Bescheinigung über
       die Meldung als Asylsuchender“, die BüMA. „Das sind komplizierte
       Strukturen, die nicht jeder versteht“, sagt Kostner. Einen Laufzettel oder
       eine Übersicht in mehreren Sprachen gibt es bisher nicht, laut Kostner
       wolle man das aber „mal besprechen“.
       
       Selbst die, die alles schon hinter sich haben, warten eventuell umsonst.
       „Morgens steht hier immer jemand und notiert die Nummern der Leute, die da
       sind. Nur die erscheinen im Laufe des Tages auf dem Display“, erklärt Hein.
       So wolle das Lageso vermeiden, dass Nummern von Abwesenden aufgerufen
       werden. Melde sich niemand, verschwinde die Nummer nach einiger Zeit
       wieder. Bis dahin hätten aber eventuell schon Freunde der betreffenden
       Person Bescheid gegeben.
       
       24 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Schleiermacher
 (DIR) Julian Rodemann
       
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