# taz.de -- Wartezeiten am Berliner Lageso: Das große Unverständnis
       
       > Bis zu drei Wochen warten sie am Berliner Lageso auf den Aufruf ihrer
       > Nummer, sagen geflüchtete Syrer. Auch weil das Infosystem unverständlich
       > ist.
       
 (IMG) Bild: Warten, warten, warten: Flüchtlinge vor dem Berliner Lageso.
       
       Berlin taz | Es ist immer die gleiche Geschichte. Nur die Zahl ist anders.
       Zehn Tage, sagt der eine. 16, der nächste. Und einer sagt, er warte jetzt
       schon seit über drei Wochen. 23 Tage genau auf der Wiese vor dem Lageso,
       dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, wo sich die Flüchtlingen aus
       aller Welt melden müssen. Alle haben eine Nummer bekommen. Irgendwann soll
       sie auf der Anzeigetafel vor Haus J erscheinen. Und dann erhalten sie
       drinnen die notwendigen Papiere, die alles weitere regeln. Auch in welcher
       Stadt sie künftig leben sollen.
       
       Das mit der Nummer klappt noch. Dann wird es schwierig. Ein junger Syrer
       mit Gipsbein sitzt auf einer der wenigen Bänke. Die Verletzung habe er sich
       auf der Flucht geholt, erzählt er. In Berlin wurde er von Ärzten
       notversorgt. Er hat Platz in einer Unterkunft bekommen. Nur seine Nummer
       wurde noch nicht aufgerufen. Deshalb ist er wieder hier. Und wartet.
       
       Offiziell wird den Flüchtlinge gesagt, sie sollten in den Unterkünften
       warten, bis dort ein mobiles Team vorbei komme und alles notwendige vor Ort
       regele. Aber viele verstehen das ganze schon sprachlich nicht. Oder sie
       glauben es nicht.
       
       Oder sie haben berechtigte Zweifel, so wie Wassim*. Der junge Mann, Anfang
       20, stammt aus der syrischen Küstenstadt Latakia. Er ist mit seiner
       minderjährigen Schwester und einem Cousin in Berlin. Sie bekamen die
       Wartenummer und warteten in der Notunterkunft, im Vertrauten darauf, dass
       alles seine Richtigkeit habe.
       
       ## „Just wait!“
       
       Nach zwei Tagen, erzählt Wassim, sei er zum Lageso zurückgegangen, um einen
       neu angekommenen Freund zu begleiten. Da habe plötzlich seine Nummer auf
       der Anzeigentafel geblinkt. Er habe seine Schwester und den Cousin
       angerufen, damit sie herkommen. Doch als sie es quer durch die Stadt
       geschafft hatten, war das Amt schon zu. Wassim hat nun seine Papiere. Seine
       kleine Schwester wartet Tag für Tag in der Schlange auf der Wiese. Und im
       Heim? Da heiße es nur: just wait! Seit acht Tagen.
       
       Bei Bassam sind es jetzt zehn Tage. Für ihn sei das kein Problem. Aber für
       seine Eltern. Der 70-jährige Vater, sagt Bassam, habe irgendwas im Rücken.
       Vielleicht Krebs. Der junge Mann macht sich Sorgen. Deshalb sind sie hier.
       
       Ursprünglich stammt die Familie aus Homs, einer der ersten im Bürgerkrieg
       zerstörten Städte. Vier Jahre lebten sie in Damaskus, bis es auch dort
       nicht mehr ging. Dann im Libanon. Von dort sind sie nach Polen geflogen
       worden. Das katholische Land hatte syrischen Christen wie Bassams Familie
       Visa erteilt.
       
       ## Neues Gesetz in Deutschland
       
       Aber in Polen, erzählt Bassam, gebe es keine ordentliche Versorgung für
       seine Eltern. Deshalb hätten sie sich in den Bus nach Berlin gesetzt, als
       sie von dem neuen Gesetz in Deutschland hörten. Er meint die Entscheidung,
       dass Syrer nicht mehr abgeschoben werden, auch wenn sie bereits in anderen
       EU-Staaten Asyl beantragt haben.
       
       Bassam hat sich mittlerweile eine Theorie zurechtgelegt. Die
       Security-Männer, die den Zugang zu Haus J kontrollieren, das seien Araber.
       Und Araber, erklärt der junge Araber, „die handeln unterm Tisch“. Anders
       sei es doch nicht zu erklären, dass Wartenummern, die offensichtlich viel
       später ausgegeben wurden, nun aufgerufen würden, seine aber nicht.
       
       Auf der Anzeigentafel leuchten Ziffern mit den Anfangsbuchstaben X, W oder
       U. Seine beginnt mit R. Sie hätte längst dran sein müssen, wenn es der
       Reihe nach ginge. Aber es geht nach einem für die draußen Wartenden
       undurchschaubaren System. Er hat versucht, nachzufragen, ob die Nummer
       schon aufgerufen wurde. Aber er wurde von den Sicherheitsmännern
       weggeschickt. Was bleibt ihm anderes, als weiter zu warten.
       
       ## Dem Amt fehlt Personal
       
       Das Security-Personal arbeitet tadellos, versichert Siliva Kostner,
       Sprecherin des Lageso. Aber das System sei tatsächlich sehr kompliziert,
       gibt sie zu. „Man braucht Geduld“. Wer nicht an die Reihe komme, müsse sich
       am nächsten Tag stets mit der Nummer neu melden. Aber schon das wissen
       viele Flüchtlinge nicht. Infoblätter in den wichtigsten Sprachen könnte
       helfen. Aber, bedauert Kostner, dafür fehle die Kapazität. Man komme ja
       kaum mit der Bearbeitung der Fälle hinterher.
       
       Derzeit müssten Flüchtlinge im Schnitt fünf Tage warten. Aber wann genau
       sie an die Reihe kommen oder ob ihre Nummer längst mal auf der Anzeigetafel
       blinkte, das können Flüchtlinge unmöglich herausfinden. Könnte nicht der
       Bearbeitungsstand jeder Nummer auf der Homepage des Lageso angegeben
       werden? Schließlich hat fast jeder Flüchtling ein Smartphone. Das sei eine
       gute Idee, sagt Kostner. „Aber wir bräuchten junge IT-ler, die solche
       Konzepte entwickeln und umsetzen“. Man darf das als Aufruf verstehen, sich
       zu melden.
       
       ## Der lächelnde Zahnarzt
       
       Trotz aller Schwierigkeiten trifft man auf der Lageso-Wiese aber auch
       Syrer, die die ganze Prozedur erfolgreich absolviert haben. Der
       Mittvierziger Mamoun und sein Sohn zum Beispiel haben einen ganzen Stapel
       Formulare. Mit Passbild. Röntgenbescheinigung. Geldauszahlungsbeleg. Und
       diversen Stempeln. Alles bestens. Alles auf deutsch. Mamoun versteht kein
       Wort davon.
       
       „Deutschland“, sagt Mamoun mit einem Lächeln, „ist das Land der Papiere“.
       Alles müsse schön ordentlich sein. Gerade deshalb verwundert ihn ein
       Detail. In seinen Unterlagen steht, er solle am 28. August im BAMF, dem
       Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, vorstellig werden, wegen seines
       Asylantrags. Das Problem aber ist: Das Papier habe er erst drei Tage später
       bekommen. Das sei kein Einzelfall, erzählt ein dolmetschender Syrer, der
       hier mit vielen seiner Landsleute gesprochen hat.
       
       Mamoun ist Zahnarzt aus Damaskus. Als er hört, dass der CSU-Politiker Max
       Straubinger gerade vorgeschlagen habe, Syrer nach Damaskus zurückzubringen,
       weil man dort leben könne, lächelt er schief. Ja, sagt er, Damaskus sei
       nicht so schlimm wie Aleppo. Aber die Stadt sei umringt von der Freien
       Syrischen Armee und von IS-Kämpfern. Immer wieder würden vom Stadtrand
       tödliche Splitterbomben in die Stadt geschossen.
       
       ## Falsche Papiere
       
       Fotos auf seinem Handy zeigen sein ausgebranntes Auto vor dem Haus. Und die
       an vielen Stellen von Splitter zerschossenen Fenster seiner Wohnung. Und
       eins zeigt seinen Bauch. Ein Wunde, von einem herausoperierten Splitter,
       erklärt der Zahnarzt. Deshalb sei er weg aus Damaskus. Und weil seinem Sohn
       der Einzug in die Armee drohte.
       
       Mit dem Flugzeug seien sie in Berlin angekommen. Zwar dürfen die Airlines
       keine Reisenden ohne Visum in die EU fliegen. Aber, erzählt Mamoun, sie
       hätte falsche Papiere gehabt. 3.000 Euro habe er für seinen Pass bei einem
       – er kennt das deutsche Wort – „Schlepper“ bezahlt. Für seinen Sohn habe er
       gar 3.500 Euro zahlen müssen. Die Schlepper sehen am Alter, dass der junge
       Mann seiner Einberufung entgehen wollte. Das koste dann extra.
       
       *Alle Namen der Flüchtlinge von der Redaktion geändert
       
       11 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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