# taz.de -- Maritimes Volksfest: Jubel für den Kanonendonner
       
       > Die Sail kombiniert unkritische Seglerromantik mit etwas
       > Kommerz-Allerlei. Die Verluste zahlt der Staat. Das Konzept läuft.
       
 (IMG) Bild: Schiffe gucken kommt immer gut: Die „Alexander von Humboldt II“ bei der diesjährigen „Sail“ in Bremerhaven
       
       Bremen | taz In aufgeräumter Melancholie am Deich chillen, von Freiheit,
       entfernten Welten träumen, während in der Sonne die Segelschiffe
       dahingleiten. Diese Assoziation kann auch das neunte Windjammer-Festival
       auslösen. Genau das wird bei der „Sail“ in Bremerhaven seit jeher
       inszeniert.
       
       Manche der reiferen Freunde des Schiffeguckens erhoffen sich zudem
       historische Korrektheit. Doch unter der Totenkopfflagge wurden vor allem
       Raubmorde zum Ereignis und auch bei vielen „Traditionsseglern“ stehen die
       geblähten Segel für Krieg und Kolonialismus. Aber solch antiromantisches
       Aufklärungsbedürfnis befriedigt die Sail nicht. Kinder wiederum erwarten
       hier eher Abenteuerurlaub mit Piraten. Und bekommen kaum eine Sekunde
       Freibeuterei spendiert.
       
       Massenhaft pilgern die Fans der Großsegler an die Wesermündung, füllen
       endlose Parkplätze im Industriegebiet, quetschen sich in Nahverkehrszüge,
       um von dort als Masse aus dem Bahnhof und gegen die Phalanx der Busse zu
       schwappen. Häufig ist dann von Völkerwanderung die Rede. Nach Bremerhaven
       wandern vor allem Tagesgäste ein: hellhäutige Deutsche ohne
       Migrationshintergrund, die jenseits der 50 sind.
       
       Wer dem Festival zu Fuß entgegenbummelt staunt: nirgendwo Schilder,
       Werbeplakate, maritimer Kitsch in den Schaufenstern. In der herrlich
       schäbigen Shoppingmall „Columbus-Center“ gibt es 15 Prozent auf Ferngläser,
       dazu „50 Prozent auf alles“ im Andenken-Tüdel-Laden. “
       
       Hier sind doch überall Hinweise!“, werfen die Piratenfreunde ein. Und
       zeigen auf die „Sale“-Poster der Geschäfte. Deren Inhaber scheinen zu
       schmollen. Die Menschen würden die Havenwelten während des alle fünf Jahre
       stattfindenden Spektakels nicht verlassen, die örtliche Kaufmannschaft sei
       daher von Profiten ausgeschlossen, ist allenthalben zu hören.
       
       Andere verdienen sehr wohl, behaupten der Magistrat Bremerhavens und
       Bremerhavens Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung.
       Sie erwarten, wie 2010, eine Million Menschen, die laut einer damals
       durchgeführten Umfrage durchschnittlich 32 Euro auf der Sail ausgeben.
       108.000 Gäste buchen demzufolge eine Übernachtung.
       
       Alle Hotels sind auch seit Langem voll. Zudem bekämen Unternehmen für
       Catering, Schiffsversorgung, Gastronomie, Marketing oder Schiffsausrüstung
       reichlich Aufträge, heißt es. Was sich für Stadt und Region zu einem
       Gesamtumsatz von rund 30 Millionen Euro addieren lasse.
       
       Einen weiteren Aspekt fügten Bremens Deputierte für Wirtschaft, Arbeit und
       Häfen in ihrer Beschlussvorlage bereits 2012 hinzu: Die Sail habe sich zu
       einer „Großveranstaltung von europäischem Rang entwickelt“ und „erheblich
       zur Verbesserung des Images der Stadt Bremerhaven und des Landes Bremen
       beigetragen“.
       
       Sonst gern mal als Ostdeutschland Bremens wahrgenommen, als westdeutscher
       Meister der Arbeitslosigkeit, vermitteln international publizierte
       Sail-Artikel den erzwungenen Strukturwandel als Erfolg: Nach dem Niedergang
       als Fischereihafen, dem Werften-Sterben, dem Abzug der US-Soldaten war die
       Stadt am Ende – und stellt nun ihre touristischen Reize zur Schau.
       
       Auch die Entwicklung des Areals „Alter & Neuer Hafen“ geht schnieke voran,
       Partys füllen die Balkone der neuen Edel-Apartment-Häuser am Lohmann-Deich.
       Das Fußvolk hockt auf gepflegtem Grün: Picknickgrüppchen ohne Picknick,
       Yachten stehen Spalier.
       
       Zur großen Windjammer-Parade sind 270 Schiffe angekündigt. Doch am Ende
       tuckert nur ein Bruchteil dessen vorüber, vielfach – fernab aller
       Seefahrerromantik! – dank Motor- oder Schlepperkraft, ohne Segel. Die haben
       sie höchstens weiter draußen gesetzt, wo die Fotografen sind, das
       Fernsehen.
       
       Wer an Land steht, etwas weiter hinten, am Deutschen Schifffahrtsmuseum
       etwa, hat Mühe, überhaupt große Schiffe in groß zu sehen. Am Deich wird
       dennoch geradezu meditativ die Breitwand-Show in Zeitlupe genossen. Nur
       selten stört Signalhorngetröte das Idyll. Applaus brandet auf, als die „La
       Grace“ Kanonendonner abfeuert.
       
       Farbenprächtig geschmückt, blitzeblank geputzt, die Taue malerisch gebunden
       oder penibel zu Schnecken gekringelt: So bitten viele Segler – viel zu
       selten, viel zu kurz – zum „Open Ship“. Das bedeutet: geduldiges Anstehen
       wie in Erlebnisparks vor den Achterbahnen.
       
       Endlich das Holzdeck geentert, dürfen sich die Landratten erstaunlich frei
       umschauen und mit der Besatzung plaudern. Besonders hübsche Momente auf den
       oft militärisch bespielten Großseglern: Die gesamte Mannschaft schmettert
       in Paradeuniform an der Reling Chorisches. 3.000 Seeleute aus 20 Ländern
       sollen etwas hafenmetropolitane Atmosphäre in die Seestadt bringen.
       Aufgrund der kurzen Liegezeiten der Frachtschiffe sind Seeleute hier kaum
       noch präsent.
       
       Das maritime Volksfest jenseits der Schiffe ist ein Jahrmarkt, wie es viele
       gibt. Hier ein Riesenrad, da ein bisschen Segler-Messe, dort ein
       Mittelaltermarkt mit verkleidetem Met-Händler, dazu etwas Open-Air mit
       anspruchslosem Musikprogramm und Stadtfest-Verköstigung. Für die ganz
       Kleinen gibt’s den üblichen Kinderfest-Jokus. Nur den größeren Jungs mit
       Piratenneigungen fehlen Austobe- und Andockmöglichkeiten auf den Repliken
       historischer Expeditions-, Handels- und Kriegsschiffe.
       
       Ein bisschen Kunsthandwerk darf auch nicht fehlen. Ein 77-jähriger
       Bremerhavener hat für 700 Euro eine Weihnachtsmarktbude als Galerie
       gemietet, für seine maritimen Werke, die er für 65 bis 550 Euro anbietet.
       Er ist sich sicher, die Sail rechnet sich für ihn. Und wie rechnet sie sich
       selbst? Kosten: knapp drei Millionen Euro, Einnahmen: knapp eine Million
       Euro. Doch das Minus ist schon bezahlt: 170.000 Euro spendiert die
       Wirtschaftsförderung Bremen, 820.000 Euro der Bremerhavener Magistrat –
       eine Million Bremer Landsmittel wurden durchgewunken.
       
       Am Sonntag laufen viele Schiffe nach Amsterdam aus, zur nächsten Sail. Sie
       kamen zumeist aus Rostock, von der Hanse Sail. Das Konzept läuft.
       
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 (DIR) Jens Fischer
       
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