# taz.de -- Die Wahrheit: Pilger in Stöckelschuhen
       
       > Der heilige Berg Irlands ist gar nicht so heilig. Der Croagh Patrick ist
       > eher heruntergekommen und in keinem büßerfreundlichen Zustand.
       
 (IMG) Bild: Aldo Berti läuft
       
       Eine Massen-Sündenvergebung sollte doch ein paar Millionen Euro wert sein.
       Aber mit dem Katholizismus der Iren scheint es nicht mehr allzu weit her zu
       sein. Am letzten Sonntag im Juli klettern normalerweise Zehntausende auf
       den Croagh Patrick, Irlands heiligen Berg, um sich in der Kapelle auf dem
       Gipfel ihre Absolution zu holen. Vor acht Tagen waren es gerade mal 5.000,
       die sich von den Warnungen der Bergwacht nicht beeindrucken ließen. Die
       hatte den Aufstieg in letzter Minute wegen der grauenhaften
       Wetterbedingungen abgesagt: Die Erosion habe dem Pfad im Laufe der Zeit so
       zugesetzt, dass er bei sintflutartigem Regen gefährlich sei. Um ihn wieder
       in einen büßerfreundlichen Zustand zu versetzen, müssten mindestens 1,5
       Millionen Euro her.
       
       Das könnte den Pilgern so passen. Die Absolution ist schließlich kein
       Kinderspiel, ein gewisses Risiko müssen die Pilger schon eingehen. Sonst
       könnte man ja gleich einen Sessellift bauen. Manch Büßer weiß das und
       klettert den Berg barfuß oder auf allen Vieren hinauf. Andererseits sieht
       man auch Frauen in Stöckelschuhen, aber das ist wohl eine selbst auferlegte
       Verschärfung der Buße.
       
       Die Vergebung der Sünden hat man sich verdient, wenn man oben angekommen
       ist. Zwar ist der Berg nur 753 Meter hoch, aber der Weg hat es in sich. Ich
       weiß das, denn ich war dreimal oben – allerdings nicht aus religiösen,
       sondern aus beruflichen Gründen. Einmal haben der Kollege Aribert Weis und
       ich einen Dokumentarfilm gedreht. Zu dem Zweck hatten wir eine Familie mit
       Kindern gesucht, die nicht sonderlich fit aussahen, damit wir mit der
       schweren Filmausrüstung hinterherkamen.
       
       Wir wurden schließlich fündig. Die Eltern waren zwar recht jung, aber die
       beiden Kinder schienen klein und langsam. Leider entpuppten sie sich als
       Gemsen. Ich versuchte vergeblich, sie zu Pausen zu animieren, um dem
       Kameramann eine Chance zum Aufholen zu geben. Offenbar hatte die Familie es
       mit der Sündenvergebung eilig. Als ich schließlich mit hängender Zunge am
       Gipfel ankam, traten unsere Protagonisten gerade den Rückweg an.
       
       Der Berg ist den Iren deshalb heilig, weil ihr Schutzpatron, der heilige
       Patrick, im Jahr 441 auf dem Gipfel vierzig Tage gefastet und Pläne für die
       Christianisierung Irlands geschmiedet haben soll. Sein „Bett“, ein
       Steinkranz, steht vor der Kapelle. So war der Aufschrei groß, als vor
       vielen Jahren Gold im Berg gefunden wurde und eine ausländische Firma die
       Schürfrechte beantragte. Sie wollte den halben Croagh Patrick abtragen. Das
       wurde natürlich abgelehnt.
       
       Da die Iren es mit dem Katholizismus heutzutage nicht mehr so streng sehen,
       könnte man der Firma doch mitteilen, dass man es sich überlegt habe. Für
       eine Million Euro dürfte sie den halben Berg abtragen. Mit dem Geld könnte
       man den Pfad, der dann nur noch halb so lang wäre, restaurieren und mit
       einer Gipfelpinte ausstatten. Die Pilger kämen schneller zur
       Sündenvergebung und könnten vor dem Abstieg noch einen zwitschern – eine
       „Win-Win-Situation“.
       
       3 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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