# taz.de -- Alternative Wirtschaft in Griechenland: Kreativ durch die Krise
       
       > Seit der Krise wurden Tausende kleine Firmen gegründet. Viele aus der Not
       > heraus, weil die sozialen Netze zusammengebrochen sind.
       
 (IMG) Bild: Prominenter Besuch in der selbstverwalteten Seifenfabrik Viome: Alexis Tsipras (l., Hintergrund), damals noch nicht Premierminister (Archivbild 2013).
       
       ATHEN taz | Im Straßengewirr von Exarchia, dem hippen Anarchobezirk von
       Athen, steht die Hitze, und Maria Calafatis sitzt auf einem Klappsessel vor
       dem „Cube“ und trinkt einen Cafe Freddo. Calafatis und ihr Partner Stavros
       Messinis sind zwei Unternehmer der hiesigen Start-up-Szene. Der „Cube“ ist
       ein Gemeinschaftsbüro, in dem auf sechs Etagen zwei Dutzend Unternehmen
       untergebracht sind. Die meisten sind im Tech-Bereich tätig, einige in der
       Tourismusbranche.
       
       Vor sieben Jahren haben sie ihr erstes Büro eröffnet, das schnell aus allen
       Nähten platze, sodass sie nun das ganze Bürohaus in der Klisovis-Straße
       nutzen. Im obersten Stockwerk residiert die Venture-Capital-Firma
       „Openfund“ des Ökonomen Aristos Doxiadis, der Investorenkapital aus der
       ganzen Welt in die Start-up-Szene lenkt. Auch Anwälte und Notare sind Teil
       des Netzwerks, die Unternehmen den Weg durch den Bürokratiedschungel
       bahnen.
       
       „Die Krise ist nicht nur schlecht“, sagt Maria Calafatis. „Sie hilft, Leute
       aus der Komfortzone zu bringen.“ Die Mentalität ändert sich und auch die
       Staatsgläubigkeit. Man merkt, dass Maria diese Geschichte schon oft erzählt
       hat. Sie spult sie nicht routiniert ab, aber mit dieser profimäßigen
       Engagiertheit, die Leute mit einer Mission und einem langen Atem haben, die
       gewohnt sind, Investoren zu überzeugen und bei Bürokraten die Türe öffnen
       müssen.
       
       Im Erdgeschoss basteln ein paar IT-Jungs aus Spanien an Bitcoin-Bankomaten.
       Die virtuelle Währung hat gerade recht viel geholfen, weil sie von den
       Kapitalkontrollen nicht erfasst, aber in Euro transferierbar ist – damit
       konnten Überweisungen getätigt werden, die ansonsten nicht möglich gewesen
       wären. Mit viel Begeisterung erzählt Maria Calafatis etwa die Geschichte
       von „Taxibeat“, dem kleinen Start-up, das hier vier Freunde begonnen hatten
       und das so ähnlich wie Uber funktioniert, aber beinahe jede Art von
       persönlicher Dienstleistung anbietet, die mit Transport zu tun hat. Als die
       Firma über 30 Beschäftigte hatte, zog sie aus – mittlerweile expandierte
       der Laden nach Brasilien, Frankreich, Norwegen und Rumänien.
       
       ## Exporte der Softwareindustrie
       
       Heute verdienen die Griechen mit Exporten der Softwareindustrie schon sehr
       viel mehr Geld als mit dem Verkauf von Olivenöl. „Obwohl das ökonomische
       Umfeld so negativ ist, wurden während der Krise Tausende Firmen gegründet“,
       schreibt der Autor Nick Malkoutzis in einer Studie. Tatsächlich ist das
       auch eine Art, in einer Lage ohne funktionierende soziale Netze mit der
       Arbeitslosigkeit umzugehen. Heute sind rund 32 Prozent Griechen, die
       irgendwie in der Erwerbswirtschaft partizipieren, Selbstständige. Viele
       davon Freiberufler oder Kleinunternehmer.
       
       Aber gerade in der Krise sind das Kleinunternehmertum und die
       gemeinwirtschaftliche und die Share-Ökonomie kaum voneinander zu
       unterscheiden. Es ist eine Art Miteinander-Ökonomie, die neue „Greeconomy“.
       Das lässt sich sogar schon an Meinungsumfragen ablesen. So hat sich die
       Zahl derer, die sich unentgeltlich engagieren würden, um 44 Prozent erhöht.
       Viele Initiativen sind in einer Grauzone zwischen Unternehmertum und
       Solidaritätsaktionen angesiedelt.
       
       Der Kleinunternehmer Giorgis Goniadis erzählt vom der Verbraucherinitiative
       „Bio-Scoop“, einem genossenschaftlichen Laden in Thessaloniki, dessen
       Betreiberkollektiv nur mit Bauern und Zulieferern aus der Umgebung
       zusammenarbeitet. Das schafft Jobs in den Verkaufsläden und indirekt Jobs
       in der Landwirtschaft, fördert die Umstellung auf ökologische Produkte und
       sorgt zudem dafür, dass die schwindende Kaufkraft der Griechen nicht auch
       noch an Multis wie Nestlé fließt. „Kooperativen wie Bio-Scoop können der
       Krise besser trotzen als normale Firmen“, heißt es in einer Art
       Consultingstudie der Universität Thessaloniki.
       
       Athen, der große Park um die Archäologische Gesellschaft, die in einem
       wunderschönen klassizistischen Gebäude im Westen der Stadt residiert.
       Üppige Oleanderhecken mit bunten Blüten umgeben den Garten. Hier haben sich
       schon im Mai Engagierte aus vielen Bereichen zum „Commons Festival 2015“
       getroffen. Selbstverwaltete Fabriken haben ihre Projekte ebenso
       vorgestellt, wie Aktivisten aus dem Landesinneren, die ganze Dörfer mit
       freiem WLAN vernetzen, oder die Beschäftigten des Staatsfernsehens ERT,
       die, nachdem die vorige Regierung den Sender abschaltete, einfach in
       Eigenregie weiterarbeiteten.
       
       Die „normalen“ Start-ups und die Netzwerke solidarischer Ökonomie folgen
       nicht zwei unterschiedlichen Logiken, weshalb der linke britische
       Wirtschaftsjournalist Paul Mason in seinem gleichnamigen Buch schon einen
       „Postcapitalism“ anbrechen sieht. „Ich glaube, diese ökonomischen Formen
       bieten eine Rettungsgasse – aber nur wenn diese Projekte der Mikroebene
       gehätschelt werden, wenn sie beworben und geschützt werden, und das muss
       vor allem durch die Regierungen geschehen.“
       
       ## Die Entstehung der Solar-Blase
       
       Ioannis Margaris sieht das ähnlich. Der Techniker ist heute
       stellvertretender Vorstandsvorsitzender des öffentlichen Energieversorgers
       „Hellenic Electricity Distribution Network Operator“ und hier vor allem für
       Innovation und den Umstieg auf erneuerbare Energien zuständig. Das
       griechische Elektrizitätssystem hat eine Reihe von Herausforderungen, aber
       eben auch von großen Chancen. Zu den Herausforderungen zählen: Griechenland
       besteht aus vielen kleinen isolierten Inseln; viele Griechen können
       aufgrund der Armut ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen, dennoch
       versucht die Regierung, ihnen eine Basisversorgung zu garantieren.
       
       In den letzten Jahren bildete sich eine regelrechte „Solar-Blase“, was
       wiederum den Nachteil hatte, dass ganze Landstriche der Landwirtschaft
       entzogen wurden. Margaris setzt deshalb auf eine smarte, dezentrale
       Elektrizitätswirtschaft der Zukunft, mit vielen kleinen autonomen
       Produzenten und Kleincomputern in jedem Haus, die Produktion und Verbrauch
       optimieren.
       
       „Die Zukunft liegt in Produktionsclustern“, sagt er, „Griechenland könnte
       dann auch zu einem Exporteur von Wissen, Expertise und von guten,
       funktionierenden Beispielen werden.“ Zwar fehlen der Regierung natürlich
       Mittel für große Investitionen, aber, so Margaris, „wenn man gute Projekte
       hat, dann fließt auch Geld“ – gerade im Kontext der europäischen
       Energiewirtschaft, in der viele Firmen und Elektrizitätsgesellschaften neue
       Technologien und Organisationsformen erproben wollen. „Aber das wird nicht
       als Top-down-Prozess funktionieren, dafür braucht man das Vertrauen der
       Bürger und der Konsumenten. Dann wachsen auch kreative Ideen von unten.“
       
       ## Die 30 Verrückten
       
       Viele hundert zivilgesellschaftliche Netzwerke, die von Nahrungkooperativen
       über selbstverwaltete Solidaritätskliniken bis zu lokalen Tauschringen mit
       Parallelwährungen reichen, hat die griechisch-österreichische
       Politikwissenschaftlerin Konstantina Zöhrer kartografiert.
       Solidaritätskliniken wie die in Thessaloniki. Die ist in einem alten
       Gewerkschaftshaus untergebracht, dort, wo die Innenstadt in die
       Armenbezirke übergeht. 30 Prozent der Griechen sind ohne
       Krankenversicherung, das sind drei Millionen, die nicht einmal im Notfall
       zum Arzt gehen können.
       
       „Wir waren 30 Verrückte, die die Idee hatten, eine Klinik für diese Leute
       zu gründen“, sagt Katerina Notopoulou, die hier mit anderen Freiwilligen
       dafür sorgt, dass die Abläufe passen, dass genügend Medikamente
       aufgetrieben werden können, dass Spenden aus dem In- und Ausland
       hereinkommen. Jetzt arbeiten 300 Freiwillige für die Klinik, und noch
       einmal 300 weitere Ärzte haben ihre Praxen für jene geöffnet, die ihnen die
       Solidaritätsklinik vorbeischickt. „Zahnärzte, Frauenärzte,
       Allgemeinmediziner, wir haben hier alles.“ Rund 40 solche medizinischen
       Selbsthilfeprojekte gibt es mittlerweile im ganzen Land.
       
       Ein ganz anderes Beispiel ist die Firma Viome, weit draußen im
       Industriegürtel von Thessaloniki. Dimitis lugt durch das provisorische
       Guckloch eines notdürftig zusammengeschraubten Aluminiumtores und lacht.
       „Kommt rein“, sagt er. Viome war eine Baumaterialfirma, die von ihren
       Eigentümern geschlossen werden sollte. Die Arbeiter sind dann in den Streik
       getreten, haben ihre Fabrik besetzt und nach einiger Zeit beschlossen, sie
       in Eigenregie weiterzubetreiben.
       
       Aber die Baustoffproduktion – also Zement, Estrich und so weiter – war
       gegenüber den ausländischen Konkurrenzprodukten nicht mehr
       wettbewerbsfähig; und außerdem ist der Markt für Baumaterialien
       zusammengebrochen, da in der Krise kaum jemand mehr ein Haus baut. Also
       sind linke Wissenschaftler beigesprungen und erstellten eine Marktanalyse.
       „Sie sagten uns, wir sollten am besten hochwertige Naturprodukte
       herstellen“, erzählt Dimitis. Heute produzieren die Viome-Arbeiter
       ökologische Reinigungsmittel und Seifen. Ökologisch korrekt und auch noch
       von kämpferischen Arbeitern im selbstverwalteten Betrieb hergestellt.
       
       „Natürlich kann man nicht sagen, dass das ein positives Resultat der Krise
       ist“, meint Elektrizitätsmanager Margaris. Dazu habe die Krise zu viel
       zerstörerische Folgen. „Aber es gibt viele Beispiele von kreativen Ideen
       von unten.“
       
       2 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Misik
       
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