# taz.de -- Anschläge an türkisch-syrischer Grenze: Angst vor dem Staat der Kurden
       
       > Lange tat die Türkei so, als würde sie den IS bekämpfen. Tatsächlich
       > behinderte sie den Kampf dagegen – aus Angst vor erstarkenden Kurden.
       
 (IMG) Bild: Trauer um die Toten in Suruç.
       
       Istanbul taz | Es ist gerade einmal einen Monat her, dass Kommentatoren in
       regierungsnahen Zeitungen behaupteten, die mit der PKK verbündeten
       syrischen Kurden seien doch mindestens genauso gefährlich wie die
       Terrortruppen des sogenannten Islamischen Staats.
       
       Anlass dieser Tiraden war ein bemerkenswerter militärischer Erfolg der
       syrisch-kurdischen Selbstverteidigungsverbände YPG, denen es gelungen war,
       den vom IS zuvor seit über einem Jahr kontrollierten Grenzübergang bei
       Akçakale zu erobern und damit einen Korridor zwischen Kobani und dem weiter
       östlich liegenden großen kurdischen Kanton Kamischli herzustellen.
       
       Die türkische Regierung war höchst alarmiert, weil sich damit jenseits der
       Grenze über mehrere hundert Kilometer ein syrisch-kurdisch kontrolliertes
       Gebiet zu etablieren begann, welches mit seinen Selbstverwaltungsstrukturen
       den Kern eines neuen kurdischen Autonomiegebiets enthält.
       
       „Wir werden niemals einen syrisch-kurdischen Staat entlang unserer Grenzen
       dulden“, tönte Präsident Erdoğan daraufhin und rief damit allen noch einmal
       ins Gedächtnis, wie die türkische Regierung mit Erdoğan an der Spitze
       während des monatelangen Kampfes um Kobani Nachschub über die Grenze für
       die angreifenden IS-Terrortruppen stillschweigend duldete, während sie mit
       aller Macht zu verhindern versuchte, dass kurdische Kämpfer aus der Türkei
       ihren vom IS bedrohten Verwandten in Kobani zu Hilfe kommen konnten. Erst
       auf massiven Druck der US-Regierung fand Erdoğan sichzuletzt bereit, einige
       Kontingente nordirakischer Peschmerga über türkisches Territorium fahren zu
       lassen, um den Kurden in Kobani Nachschub an Waffen und Munition zu
       bringen.
       
       Ganz anders verhielt sich Erdoğan gegenüber den IS-Kämpfern. Gerade der
       Grenzübergang in Akçakale war, bevor er von den Kurden erobert werden
       konnte, als Nachschubstation für den IS berüchtigt. Von Akçakale aus führt
       eine direkte Straße zum IS-Hauptquartier in Rakka, und immer wieder gab es
       Berichte, wie über Akçakale ganze Lkw-Ladungen in Richtung Rakka die Grenze
       passierten. Doch Akçakale war auch der Übergang für IS-Kämpfer von Syrien
       in die Türkei.
       
       In Urfa, der Millionenstadt rund 30 Kilometer von der Grenze entfernt, soll
       der IS nach Informationen kurdischer Politiker mit Wissen der türkischen
       Behörden geheime Kliniken betrieben haben, in denen ihre Kämpfer behandelt
       wurden und nicht zuletzt wurden in Akçakale viele ausländische, vor allem
       westeuropäische IS-Anhänger, nach Syrien geschleust.
       
       ## Mitschuld am Erstarken des IS?
       
       Die indifferente Haltung der Regierung gegenüber dem IS hat seit Langem
       auch die Beziehungen zu den USA schwer belastet. Die Türkei tat zwar
       offiziell so, als würde sie die internationale Anti-IS-Koalition
       unterstützen, tatsächlich hintertrieb sie aber jede praktische
       Unterstützung. Insbesondere der große amerikanische Luftwaffenstützpunkt in
       Incirlik, die den Kampfgebieten in Syrien und im Irak nächstgelegene
       US-Air-Base, durften die US-Piloten gegen den IS nicht benutzen.
       
       Für die Kurden in der Türkei und Syrien trägt die türkische Regierung
       deshalb eine erhebliche Mitschuld am Erstarken des IS und entsprechend laut
       waren jetzt die Vorwürfe, dass der türkische Geheimdienst die IS-Anhänger
       in der Türkei einfach gewähren lässt. Zwar hat die Polizei in den letzten
       Wochen angeblich immer wieder IS-Anhänger verhaftet, die über die Grenze
       nach Syrien wollten, doch selbst wenn das tatsächlich der Fall sein sollte,
       dürfte es nun sehr schwer werden, die Netzwerke des IS in der Türkei
       unschädlich zu machen.
       
       Selbst innerhalb der AKP wird mittlerweile Kritik an der eigenen Regierung
       laut. Muhsin Kızılkaya, einer der wenigen Kurden, die am 7. Juni für die
       AKP ins Parlament gewählt worden war, sagte am Montag, der IS sei in der
       Türkei schon so stark, dass er die Türkei in Kürze in „ein zweites Syrien“
       verwandeln könnte. „Wenn der IS den Anschlag in Suruç verübt hat, wofür
       alles spricht, werden die Attentate nicht in Suruç enden“.
       
       21 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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