# taz.de -- Kolumne Macht: Dafür hat man Prinzessinnen
       
       > Merkels Steichelaffäre verweist vor allem auf die Fragwürdigkeit
       > politischer Inszenierungen. „Bürgerdialoge“ sind überflüssig.
       
 (IMG) Bild: Angela Merkel, Selbststreichelung.
       
       Das ist der Stoff, aus dem Märchen sind: Verzweifeltes Kind trifft auf
       gütige Herrscherin. Die nimmt sich der Kleinen barmherzig an, hilft ihr aus
       der Not, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. In
       der Realität verläuft eine solche Szene etwas anders, und deshalb hat
       Angela Merkel jetzt ein Problem.
       
       Viral verbreitete sich im Netz das Video einer Begegnung der
       Bundeskanzlerin mit dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem, das von
       ihrer Angst erzählte, abgeschoben zu werden.
       
       Angela Merkel gab Floskeln und Gemeinplätze von sich, die der Situation
       nicht gerecht wurden – das Mädchen sei ja wirklich sehr sympathisch, aber
       es könnten eben nicht alle aus Afrika hierher kommen – und war dann
       sichtlich erschrocken, als das Kind zu weinen begann. Sie trat auf das
       Mädchen zu, legte ihm die Hand auf die Schulter: „Och, komm. Du hast das
       doch prima gemacht.“
       
       Ein ebenso dämlicher wie aufschlussreicher Satz. Die spontane Reaktion
       verrät, dass die Kanzlerin bei der Veranstaltung nur und ausschließlich an
       eine möglichst gute Selbstdarstellung dachte – und offenbar überzeugt war,
       allen anderen müsse es genauso gehen. Reem ging es aber gar nicht um die
       Performance. [1][Sondern um ihr künftiges Leben.]
       
       ## Selbstdarstellung
       
       Die vorhersehbare Reaktion im Netz: Ein Shitstorm, der so gewaltig war,
       dass er es in fast alle Medien schaffte. „Hilflos, herzlos, sprachlos“
       fasste die Bild-Zeitung die Kommentare zusammen, die auf Twitter standen.
       Wie schön, dass jetzt sogar dieses Blatt ehrliches Mitgefühl mit der
       Situation von Flüchtlingen in Deutschland zeigt. Warum werde ich bloß den
       Gedanken nicht los, dass der Tränenausbruch eines 50-jährigen Syrers nicht
       dieselbe Wirkung hervorgerufen hätte?
       
       Herzlos sind Gesetze, die Flüchtlinge zwingen, jahrelang in einer Situation
       der Angst und Unsicherheit zu leben. Herzlos war in dieser Situation nicht
       Frau Merkel. Das klassische Angebot, das Mädchen möge doch einen Brief
       schreiben, und sie werde sich „kümmern“, hätte dem Kind vermutlich auch
       nicht geholfen. Wäre allerdings beim Publikum besser angekommen.
       
       Das Problem liegt in diesem Fall nicht bei der Reaktion der Kanzlerin,
       sondern in der Verlogenheit derartiger Veranstaltungen. Wer das Video
       anschaut, sieht eine erschöpfte und überarbeitete Frau, die sich vermutlich
       auf dem ganzen Weg zu diesem Termin gefragt hat, warum sie sich das antun
       muss. Diese Frage wäre berechtigt.
       
       Mit Demokratie oder gar „Bürgerdialog“ – so der vollmundige Titel – hat es
       nichts zu tun, wenn eine Regierungschefin mitten in einer wahrlich
       anstrengenden Woche nach Rostock reist, um mit einigen Jugendlichen in der
       Turnhalle ihrer Schule zu reden. So etwas ist ein reiner Showtermin, für
       derlei hält man sich in anderen Ländern Prinzessinnen.
       
       Deshalb bringt es ja das ganze Drehbuch durcheinander, wenn da plötzlich
       ein echter Mensch mit echten Gefühlen sitzt. Zur Politik gehören auch
       Inszenierungen, das ist unvermeidlich. Aber ein solches Theater wie der
       vermeintliche „Bürgerdialog“ ist nicht nur überflüssig, sondern eine
       Beleidigung. Für alle Beteiligten.
       
       17 Jul 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Merkel-und-das-Fluechtlingsmaedchen/!5215192/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Bürgerdialog
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Gut leben in Deutschland: Alle wollen Frieden
       
       Der Bericht zur Lebensqualität zeigt: Die Menschen in Deutschland wollen
       Frieden, trotzdem steigt die Hasskriminalität.
       
 (DIR) Merkel und das Flüchtlingsmädchen: „Ich glaube, dass das so ok war“
       
       Für das Streicheln eines Flüchtlingsmädchens hat Angela Merkel jede Menge
       Spott geerntet. Die Kanzlerin ist aber mit ihrem Verhalten ganz zufrieden.
       
 (DIR) Nach Merkels Streichelauftritt: Politiker diskutieren über Flüchtlinge
       
       Der SPD-Fraktionschef Oppermann fordert junge, leistungsbereite Menschen
       aufzunehmen. Die Linke warnt vor einer Auslesedebatte.
       
 (DIR) Merkel und das geflüchtete Mädchen: Deutschland streichelt mit
       
       Viele empören sich über Merkels Umgang mit der Schülerin aus Palästina.
       Wenn Politik auf Realität trifft, implodiert das System.
       
 (DIR) Merkel trifft geflüchtetes Mädchen: Heult doch!
       
       Ein freundliches Mädchen fordert Angela Merkel heraus. Die Botschaft der
       Kanzlerin: Wir schieben Dich ab. Selten ist Politik so ehrlich.