# taz.de -- Kolumne Vollbart: Nordische Brise
       
       > In Berlin können Menschen Mist machen, es als Projekt verkaufen und die
       > Leute flippen aus. Aber der Unterschied ist: Berlin ist dreckig. Das ist
       > ein Vorteil.
       
 (IMG) Bild: Hier ist alles so clean: Sonnensüchtige im Hamburg.
       
       Hamburg. Teil zwei. Letztes Wochenende war ich wieder in Hamburg - mit L.,
       versteht sich. Und es war bei Weitem besser als beim letzten Besuch. Mir
       macht die Stadt trotzdem Angst. Sehr sogar.
       
       Ja, Berlin ist auch nicht der Wahnsinn. Ich wollte auch nie hierherziehen,
       weil alle hippen und coolen Menschen nach Berlin zogen. Und ja, in Berlin
       können Menschen einfach Mist machen, es als Projekt verkaufen, und die
       Leute flippen aus, obwohl es dröge ist. Aber der Unterschied ist: Berlin
       ist dreckig. Ja, das ist ein Vorteil.
       
       Hamburg hingegen ist sauber, es ist, als ob Prenzlauer Berg sich komplett
       in Hamburg niedergelassen hätte. Die Grenzen sozusagen erweitert hätte. Die
       47 Hektar große Hamburger Parkanlage „Planten un Blomen“ ist das beste
       Beispiel dafür. Dort stehen weiße Holzsessel rum - sie sind nicht
       vollgekritzelt und wurden nicht zerstört. Sie strahlen wie neu, sind aber
       alt. Im Park verkauft auch niemand Drogen. Und weil das alles so schön dort
       ist und 47 Hektar nicht groß genug sind, soll der Park jetzt noch um einen
       Hektar erweitert werden.
       
       Zur Orientierung: 47 Hektar sind 470.000 Quadratmeter. Und zum Vergleich:
       Der Görlitzer Park hat nur eine Fläche von 14 Hektar. Viele
       Kreuzbergerinnen und Kreuzberger würden sich so was wie Planten un Blomen
       als Neuorientierung für den Görlitzer Park wünschen - alles schön weiß. Ich
       bekam sofort eine Panikattacke im Planten un Blomen, nicht nur, weil mich
       Natur ankotzt oder mir einfach egal ist, sondern vor allem, weil ich mich
       wie in „Die Frauen von Stepford“ fühlte. Dort wurden die Ehefrauen in
       Cyborgs umgewandelt und sind durch Mikrochips in ihren Gehirnen steuerbar
       wie Roboter. In Hamburg scheint dies die ganze Stadt zu betreffen. Cyborgs
       oder Aliens? Egal. Alle sehen gleich aus. Junge Mädchen sehen schon aus wie
       vierzigjährige Karrierefrauen, Jungs wie Immobilienhändler. Perfektion löst
       Panik bei mir aus.
       
       Wo ist es also richtig ranzig in Hamburg? So richtig dreckig? Keine Ahnung.
       Ich weiß es nicht. Urbanistisch gedacht, muss es irgendwo in der
       Bahnhofsgegend sein, wie in Frankfurt am Main. Aber St. Georg, der Kiez
       hinterm Hamburger Bahnhof, ist es jedenfalls nicht, obwohl dort angeblich
       Drogen vertickt werden und so. Aber die schwulen Gentrifizierer haben
       wahrscheinlich vor Jahren den Kiez erst mal aufgewertet und aufgehübscht.
       Deswegen sieht es auf der Langen Reihe (so heißt die Gay-Straße) auch aus
       wie Köln in den neunziger Jahren - und das ist kein Kompliment. So schwule
       Unterhosen- und Badehosenläden, ein paar Eso-Shops, die auf alte
       Kolonialzeiten machen, und Homoapotheken. Queer ist hier nichts. Radikal
       auch nicht. Aber gut, das ist es in Schöneberg in der Motzstraße auch
       nicht.
       
       Aber was ist mit dem Wasser? Ach, das Wasser. Elbe und Alster. Fluss und
       Fluss. Hamburg hat ja auch die meisten Brücken oder so. Voll
       Venedig-Feeling. Schön. Vor allem diese „Brise“. So nordisch, sie hat mich
       wahnsinnig gemacht.
       
       Ich habe gelogen. Die Tage in Hamburg waren wunderbar. Genau das hat bei
       mir die Angstattacken ausgelöst. Und wenn ich ehrlich bin, auch ein wenig
       bei L., der mir immer ins Ohr flüsterte: „Wir dürfen niemals einen auf
       Stepford machen.“ Ich konnte ihm glaubhaft versichern, dass ich mich
       niemals in eine weiße Hose pressen und Segelschuhe dazu tragen werde.
       Obwohl …
       
       14 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Enrico Ippolito
       
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