# taz.de -- „Abenteuer Türkei“-Doku: Jenseits von Erdogan
       
       > Eine Arte-Dokureihe erkundet die türkische Gesellschaft im Spagat
       > zwischen dem Erbe Atatürks und der heutigen islamistischen Regierung.
       
 (IMG) Bild: Cemil Tolga ist der letzte Meister in der Ägäis-Region, der noch handgefertigte „Tire Pantoffeln“ für den Besuch im Hammam herstellt
       
       Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk sagte kürzlich in einem
       Interview: „Die Türkei ist nicht nur Erdogan“ – und man kann ihm zu hundert
       Prozent zustimmen. Vor allem jetzt, unmittelbar vor den Parlamentswahlen am
       7. Juni, zerpflückt die Weltpresse jedes Wort des Staatspräsidenten Recep
       Tayyip Erdogan und wie fast immer geht in der Berichterstattung die
       farbenfrohe, kaum greifbare weil so facettenreiche türkische Gesellschaft
       mit ihren 75 Millionen Einwohnern unter.
       
       Genau ihr widmet sich nun die fünfteilige Dokumentationsreihe „Abenteuer
       Türkei“, die ab Montag auf Arte die unbekannten Seiten des Landes vom
       Marmarameer bis an die Schwarzmeerküste zeigt. Abseits von beliebten
       Touristen-Sehenswürdigkeiten würdigt die Serie besonders bemerkenswerte
       Frauen, die über jedes westliche Rollenklischee erhaben sind.
       
       Die Dokureihe startet an der Mittelmeerküste und widmet sich zunächst dem
       Handwerk. Gezeigt werden drei die Schwestern, die nach jahrhundertealter
       Tradition in monatelanger Kleinstarbeit aus Quarz Kacheln herstellen und
       anschließend bemalen. Eine türkische Jüdin, die in Izmir in ihrer eigenen
       Bäckerei koschere Lebensmittel anbietet, nur Frauen beschäftigt und sich
       trotz der zunehmenden Islamisierung keine Sorgen macht, „ganz gleich, was
       unser Präsident vermitteln will“.
       
       Da ist die 75-jährige Ayse, die auf dem staubigen Boden sitzend Matten für
       Tote herstellt, und lachend von sich behauptet: „Ich bin gesegnet, ich kann
       fliegen. Ich bete dabei, und dann fliege ich wie ein Wirbelwind umher“.
       
       ## Bio-Rosenöle
       
       Es geht weiter in der zweiten Folge nach Kappadokien und Südostanatolien,
       nach Isparta, in ein Rosenanbaugebiet. Ülkü Eryigit erntet im Morgennebel
       in mühevoller Handarbeit Rosen, aus denen kostbares Bio-Öl gewonnen wird:
       Ein Kilo kostet 9.500 Euro. Um einen Tropfen herzustellen, muss sie 30
       Rosen pflücken. „Die Rosen sind wie unsere Kinder. Wir passen gut auf sie
       auf, und verbringen viel Zeit mit ihnen“, sagt Eryigit sie, zwischen den
       Sträuchern stehend.
       
       In Konya drehte das Arte-Team im Mevlana Kloster, und zeigt den
       atemberaubenden Tanz der Derwische, die sich mit jeder Drehung gegen den
       Uhrzeigersinn in Richtung des Herzens nach eigener Definition Gott nähern.
       Und eine Ballonfahrt über Kappadokien fängt die märchenhafte Landschaft in
       Bildern ein - mit ihren Kaminen, in denen der Legenda nach Feen hausen.
       
       „Abenteuer Türkei“ zeigt zahlreiche Facetten des türkischen Alltags und ist
       ein wahrhafter Bilderrausch. Gesprochen werden alle Folgen vom
       Ex-Tatort-Kommissar Mehmet Kurtulus - was sehr angenehmen ist, weil der
       deutsch-türkischen Schauspieler alle türkischen Worte korrekt ausspricht.
       
       ## Die Herzkammer des Lebens
       
       Die Dokureihe quer durch die Türkei erkundet eine Gesellschaft im ständigen
       Spagat zwischen dem Erbe von Mustafa Kemal Atatürks, der sich bei der
       Gründung der laizistischen Republik 1923 auf die Werte der Französischen
       Revolution berief, und der heutigen islamistischen Regierung unter der
       Führung von Erdogan, der meint, Demokratie sei ein „Bus, aus dem man
       aussteigt, wenn die Endstation erreicht ist.“
       
       „Abenteuer Türkei“ endet in der Herzkammer des Landes, in Istanbul. Im Café
       Melek, das bei Einheimischen bekannt ist, klärt die Kaffeesatzleserin
       Gülriz Egilmez über die alte Tradition auf und es wird hinter die Kulissen
       einer TV-Heiratsshow geschaut.
       
       Die meisten Touristen in der Türkei rasen durch Istanbul, baden in Bodrum
       oder shoppen in Antalya, um anschließend zu behaupten, sie würden Land und
       Leute nun kennen. Dass die Türkei viel mehr ist, nämlich ein
       multikonfessionell und multinationales Land mit abwechslungsreichen
       Landschaften dürfte jedem nach dieser Dokureihe klar sein.
       
       Einziger Wehrmutstropfen der Serie: Manchmal ziehen sich die Episoden doch
       in die Länge, durch die tägliche Ausstrahlung der Reihe wird der Zuschauer
       etwas überfordert.
       
       1 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cigdem Akyol
       
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