# taz.de -- Politikwissenschaftler über Journalisten: „Ich nenne sie Kopolitiker“
       
       > Journalisten mischen sich auf undurchsichtige Art in die Politik ein,
       > sagt Thomas Meyer. Klassische linke Themen spielen keine Rolle mehr – die
       > Entpolitisierung wächst.
       
 (IMG) Bild: Peer Steinbrück im Gespräch mit dem ehemaligen „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo.
       
       taz: Herr Meyer, wenn man Ihr aktuelles Buch liest, hat man den Eindruck,
       der größte Feind des Journalismus sind die Journalisten selbst. 
       
       Thomas Meyer: Das würde ich sofort unterschreiben. Weil es immer mehr
       Journalisten gibt, die Politik machen, und zwar auf eine sehr
       undurchsichtige Art. Ich nenne sie die „Unbelangbaren“ oder Kopolitiker.
       Sie versuchen direkt darauf einzuwirken, welche Politiker eine zentrale
       Rolle spielen und welche nicht. Welche Themen in den Vordergrund kommen und
       welche nicht. Dieses direkte Mitmischen ohne Mandat hat in den vergangenen
       Jahren stark zugenommen.
       
       Ist das wirklich neu? Schon Rudolf Augstein hatte doch ein politisches
       Anliegen. 
       
       Das wurde damals aber offen und identifizierbar gemacht, es war klar: Hier
       ist der Journalist, der eine Polemik loslässt oder sich für eine Sache
       einsetzt. Ich habe in meinem Buch analysiert, wie das heute läuft. Zum
       Beispiel am Fall Steinbrück. Da veröffentlichte der Spiegel eine Woche vor
       der Wahl ein Psychogramm über den Kandidaten, das sich als die ganz genaue
       Beobachtung eines guten Journalisten präsentiert. Bei genauer Betrachtung
       sieht man aber, wie da ein Mensch auf der Grundlage vorgefasster
       Werturteile kaputtgeschrieben wird, in dem einfach behauptet wird, der sei
       charakterlich defekt. Medienforscher haben dafür dieses Wort „schmutzige
       Psychologie“ entwickelt.
       
       Und das ist neu? 
       
       Ja, weil oft nicht Fakten präsentiert und recherchiert werden oder eine
       Meinung als Kommentar ausgewiesen wird, sondern die politische
       Wirkungsabsicht des betreffenden Journalisten in der Verkleidung als
       Bericht oder Reportage dargeboten wird. Und diese Übergriffe nehmen zu, so
       zeigen viele Beispiele.
       
       Klingt nach Verschwörungstheorie. 
       
       Die Medien schaukeln sich einfach gegenseitig hoch, jeder will schneller
       sein als der andere, noch etwas Neues herausgefunden haben. Das ist ein
       Mainstream-Phänomen, ein gravierendes Problem für die Demokratie – nicht
       nur für die Qualität der öffentlichen Auseinandersetzung, sondern auch für
       das Vertrauen in die Medien selbst.
       
       Was meinen Sie mit Mainstream-Phänomen? 
       
       Die meisten Medien vermitteln oft ein familialistisches Bild der Politik.
       Politik wird nicht mehr als eine Mischung aus Konflikten, Interessen,
       Akteuren, Institutionen und als längerer Prozess verstanden, sondern der
       Einfachheit halber als so eine Art Familienzwist zwischen Promis
       präsentiert. Das Symbol dafür ist die politische Talkshow. Dort wird das
       politische Geschehen als Unterhaltung inszeniert, als ein Gezänk, bei dem
       es eigentlich nur um den persönlichen Streit zwischen Politikern und
       anderen Promis geht. Das ist ein entpolitisierendes, irreführendes Bild von
       der Politik.
       
       Andererseits: Die aktuellen Debatten, die – auch in Talkshows – geführt
       werden, sind durchaus komplex: die Flüchtlingskatastrophe oder der
       BND-Skandal. 
       
       Aber sie werden als persönlicher Zwist zwischen Politikern inszeniert: Da
       ist etwa Sigmar Gabriel, der einfach mal Angela Merkel provozieren will, um
       für sich Punkte zu sammeln. Da ist Angela Merkel, die das wieder alles
       einfach aussitzt und da ist der harmlos-naive BND-Chef Schindler, der von
       nichts gewusst hat.
       
       Woran liegt das? An den Politikern oder den Journalisten? 
       
       An beiden. Es gibt starke Tendenzen von Politikern, sich selbst zu
       inszenieren, Kampagnen für sich zu instrumentalisieren. Auf der anderen
       Seite lassen sich Journalisten darauf aber auch ein. Hinzu kommt, dass
       besonders bei großen Zeitungen eine Generation jüngerer Journalisten in
       Einflusspositionen gekommen ist, die nicht mehr wie die
       Nachkriegsgeneration eine stark liberale, im Zweifelsfall auch
       linksliberale Sicht haben, sondern Milieus entstammt, die eine auffällige
       neubesitzbürgerliche Prägung haben.
       
       Der Klassiker: Früher war alles besser. 
       
       Nicht unbedingt, aber Tatsache ist, dass all die wichtigen Themen, die mit
       der sozialen Frage von Ungleichheit, von Unterklassen, also die sozialen,
       nahezu verachtet werden. Das merkt man an der Art, wie die
       Berichterstattung über diese Felder intoniert wird: abschätzig, ironisch,
       am liebsten gar nicht. Es herrscht das Dogma, linke Themen sind out, und
       wer sich da noch dranhängt, tickt nicht richtig. Das führt natürlich dazu,
       dass die unteren Schichten unserer Gesellschaft sich im öffentlichen
       Diskurs nicht mehr wiederfinden.
       
       Ist das nicht Spiegel einer postideologischen Gesellschaft, in der
       Kriterien wie links, rechts, oben, unten als Orientierungshilfen wegfallen? 
       
       Das ist ein wechselseitiger Einfluss. Er ist für den Journalismus fatal,
       denn er führt dazu, dass die großen Richtungsunterschiede, die es in den
       Parteiprogrammen ja durchaus noch immer gibt, nicht mehr wirklich
       thematisiert werden, weder in den Zeitungen selbst noch in den Redaktionen.
       Das treibt die Entpolitisierung voran.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Bis in die 1990er Jahre gab es in den großen Medienhäuser unterschiedliche
       politische Vorstellungen. Das führte zu wechselseitiger Kritik unter
       Kollegen. Durch die Konzentration in der Verlagsbranche und die
       postideologische Stimmung ist die Selbstkritik mittlerweile entfallen. Das
       hat auch strategische Gründe. Heute, mit all den Schließungen und
       Zusammenlegungen von Zeitungen, weiß ja kein Redakteur mehr, in welcher
       Redaktion er morgen landen wird, wenn er überhaupt noch in einer landet.
       Und das nimmt diesen Leuten komplett den Mut zu einer innerjournalistischen
       Selbstkritik.
       
       Sind Bewegungen wie Pegida mit Attacken gegen die „Lügenpresse“ auch
       deshalb so erfolgreich? 
       
       Leider überdeckt diese Debatte die wirklich vorhandenen gravierenden
       Probleme zwischen dem politischen Journalismus und der demokratischen
       Öffentlichkeit, sie werden durch die Pegida-Demagogie verdrängt. Aber diese
       Polemik greift doch das Gefühl vieler Menschen auf, dass ihre
       lebensweltlichen Bedürfnisse, Empfindungen, Wahrnehmungen in dieser
       Öffentlichkeit und dann auch in der Politik keine Rolle mehr spielen. Die
       fühlen sich entfremdet und finden bei Pegida Anschluss. Das hat durchaus
       etwas damit zu tun, wie sich der Journalismus entwickelt hat.
       
       30 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Fromm
 (DIR) Ines Pohl
       
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