# taz.de -- Flüchtlinge: Die Angst vor der Abschiebung nach Guantánamo
       
       > In wenigen Tagen sollen 50 Flüchtlinge im brandenburgischen Sedlitz in
       > eine ehemalige Kaserne umziehen - mitten im Wald. Die Asylbewerber wehren
       > sich.
       
 (IMG) Bild: Mit diesem Foto suchte die Polizei nach Rita O. in einer Vermittenanzeige vom 25. April
       
       Isa Vahaev hat sich auf einem kleinen Block Notizen gemacht. "Der Landrat
       lügt, oder er hat sich nicht richtig informiert." Dann richtet sich der
       blonde Tschetschene auf: "Ich geh nicht nach Bahnsdorf. Nie." Isa Vahaev
       hat zu viel erlebt, als dass er hier einfach klein beigeben würde. Sechs
       Jahre Krieg in Tschetschenien, Alkoholsucht, Nervenprobleme. Seine großen
       Hände fuchteln in der Luft. Unter der blauen Trainingsjacke steckt ein
       kräftiger, hochgewachsener Körper. Der 35-Jährige lässt sich in den Sessel
       zurückfallen und wirft in gebrochenem Deutsch hinterher: "Das ist kein
       Spiel. Wir sind auch Menschen."
       
       Isa Vahaev sitzt im Gemeinschaftsraum des Asylbewerberheims Sedlitz, einem
       Ortsteil von Senftenberg, ganz im Süden Brandenburgs. Feste haben sie in
       dem Zimmer gefeiert: das afghanische Neujahr, viele Geburtstage, einige
       Geburten. In den nächsten 18 Monaten wird hier wohl niemand mehr feiern.
       Vahaev und die anderen 46 Flüchtlinge sollen umziehen - ins acht Kilometer
       entfernte Bahnsdorf. Sanierungsarbeiten machten dies notwendig, hat ihnen
       die Ausländerbehörde des Landkreises geschrieben.
       
       "Bahnsdorf", da schütteln sie den Kopf in dem langgezogenen, ehemaligen
       Schulgebäude in Sedlitz. "Bahnsdorf ist Gefängnis, totale Isolation", wird
       Isa Vahaev energisch. Sie haben eine Petition geschrieben: Den geplanten
       Umzug am 30. November, den machen wir nicht mit. Und sie haben, am
       Donnerstag, Klage dagegen eingereicht am Verwaltungsgericht Cottbus.
       
       Bahnsdorf, das ist eine alte Russenkaserne, direkt im Kiefernwald zwischen
       Allmosen und Lindenfeld. Eingezäunt, gut bewacht, fernab von den
       Senftenbergern. Alle zwei Stunden fährt ein Zug in die Kreisstadt. Zweimal
       täglich kommt der Bus. Bis heute sollen in dem umliegenden Forst
       Munitionsreste liegen; in der Hausordnung des Heims heißt es, dass für
       möglicherweise durch Kampfmittel entstehende Schäden nicht gehaftet werden
       kann. Im März hatte der Kreistag Oberspreewald-Lausitz zwar die Schließung
       des Heims in Bahnsdorf bereits beschlossen, aber bis 2009 sollen noch
       Flüchtlinge dort wohnen bleiben - nach dem Willen des Landrats in wenigen
       Tagen auch noch die Sedlitzer.
       
       Es seien aufwendige Sanierungs- und Anbauarbeiten im Sedlitzer Heim, die
       den Umzug nötig machten, beteuert Landrat Georg Dürrschmidt, ein Mann mit
       breitem Schnauzer und ovaler Brille unter der hohen Stirn. Nach Ende der
       Arbeiten könnten alle Bewohner wieder zurück in die Stadt, Bahnsdorf würde
       dann endgültig geschlossen. "Die sollten froh sein. Wir bauen doch, um
       vernünftige Verhältnisse für die Asylbewerber zu schaffen", grollt der
       CDU-Mann. Zudem brauche sich das Bahnsdorfer Heim nicht zu verstecken:
       "Alle werden dort bessere Verhältnisse als in Sedlitz vorfinden." 50
       Quadratmeter pro Person, eigene Badezimmer, Kleinkinderbetreuung gleich
       nebenan und Mobiliar, bei dem "manch Hartz-IV Empfänger neidisch wäre", so
       Dürrschmidt.
       
       "Das sind glatte Lügen." Viola Weinert, Kreistagsabgeordnete der
       Linkspartei, schüttelt den Kopf. Die Gymnasiallehrerin ist seit acht Jahren
       regelmäßig zu Besuch bei den ausländischen Gästen in ihrem Landkreis. Sie
       hat in deren Heim ihre Geburtstage gefeiert: "Man kann diese Menschen doch
       nicht allein lassen." Vor allem nicht in Bahnsdorf, da hinten im Wald.
       
       Von der Bundesstraße 169 ein Stück durch den Kiefernforst, am Friedhof
       links, fährt man genau auf das große, graue Eisentor zu. Ahmed* begrüßt die
       Gäste mit einer Umarmung statt mit Händedruck. Vor seiner Baracke liegen
       Katzen. Auf den Fensterbrettern, in den Müllcontainern. 14 Stück zählt er.
       In der Gemeinschaftsküche macht sich ein Mann aus Afghanistan Teigfladen.
       Eine einzige, weiße Pfanne steht in den offenen Regalen. Ahmed gießt
       Schwarztee auf. "Wie zu Hause" - mit viel Zucker und Milch. Sein Zimmer ist
       karg eingerichtet. Ein Spiegel an der Wand, Sprelacart-Schränke, vor dem
       Fenster hängt eine braungelbe Blümchengardine. Zwei Betten.
       
       "Eins zum Schlafen, eins zum Sitzen", sagt Ahmed und lächelt.
       
       Er holt Kekse und Saft. Und den Brief. Er enthält seinen Abschiebetermin.
       "Bitte beachten sie, nur 20 Kilogramm Gepäck bei sich zu führen", hat die
       Behörde dort zu bedenken gegeben. Ahmed hat den Brief zwei Tage zuvor
       bekommen. Er weint. "Bitte bleiben Sie zum Abendbrot, ja? Bitte."
       
       Seit vier Jahren wohnt Ahmed in Bahnsdorf. Hier hat er einen Job: Toiletten
       putzen, Flure fegen, das Gelände sauber halten. 1 Euro pro Stunde bekommen
       er und die anderen dafür. Einmal in der Woche fährt er mit dem Zug nach
       Senftenberg zum Einkaufen. Er kennt dort niemanden.
       
       Auch in Bahnsdorf habe man nicht so viel miteinander zu tun. Jeder mache
       sein Ding, berichtet Ahmed. Vor drei Jahren wurde ein Afghane von einem
       Mitbewohner im Heim erstochen. Und erst Ende September ein Vietnamese im
       Haus nebenan bei einer Messerstecherei schwer verletzt.
       
       "Bahnsdorf ist ein Paradebeispiel für menschenverachtende Unterbringung",
       empört sich Kay Wendel vom Flüchtlingsrat Brandenburg. "Das müsste
       eigentlich sofort geschlossen werden." Abgeschnitten von der Bevölkerung,
       miserable Wohnverhältnisse, autoritäre Heimleitung, zählt Wendel auf.
       "Dschungelheim" nennt es der Flüchtlingsrat.
       
       Dass ein Heim, abgelegen im Forst, wenig integrierend wirkt, räumt selbst
       der Betreiber der Bahnsdorfer Anlage ein, der Sozialdienstleister European
       Homecare. "Den Protest wegen der blöden Lage können wir verstehen",
       versichert Sprecherin Renate Walkenhorst. Aber: Das Heim an sich sei ganz
       normaler Standard. "Da gibt es eine genauso gute Betreuung wie in Sedlitz."
       Man bemühe sich auch in Bahnsdorf um die Zusammenarbeit mit lokalen
       Netzwerken. Und solange die Flüchtlinge nicht umziehen wollen, werde in
       Sedlitz ja auch nichts schöner.
       
       Linke-Politikerin Viola Weinert bezweifelt allerdings, dass die Sedlitzer
       Unterkunft mit 1,3 Millionen Euro aus reiner Nächstenliebe so aufwendig
       herausgeputzt wird: "Die Lage ist viel zu günstig, als dass da wieder
       Asylbewerber hinkommen." Derzeit werden die geschlossenen
       Braunkohlefördergruben rund um den Ort in eine Seenlandschaft verwandelt -
       Kanus statt Kohlebagger. Mit der Flutung des Sedlitzer Sees befände sich
       das Heim quasi am Strand. Auch Flüchtlingsrat-Referent Kay Wendel ist
       skeptisch, schließlich habe der Kreistag die Sanierungsvariante mit der
       flexibelsten Nachnutzungsmöglichkeit abgesegnet.
       
       Landrat Dürrschmidt kommt bei diesen Spekulationen die Galle hoch. "Das ist
       doch so was von hypothetisch!", schimpft er. "Wenn in 20 Jahren überhaupt
       kein Asylbewerber mehr hier ist, könnte man die Entscheidung noch mal
       treffen. Aber jetzt bauen wir natürlich für die Asylbewerber."
       
       Die haben ja gar nichts gegen die Umbauarbeiten einzuwenden. Aber dafür
       nach Bahnsdorf umziehen? Nein, nein. "Bahnsdorf ist Guantánamo", sagt Peter
       Kimani von den Sedlitzer Flüchtlingen. "Das nennen hier alle so", lacht der
       junge Kenianer entschuldigend. Die Ausländerbehörde habe bereits
       Umzugskartons nach Sedlitz gebracht. "Aber hier packt keiner", so Kimani.
       Aus seinem Zimmer tönt Reggae-Musik, im Fernseher läuft stumm Spongebob, an
       der Wand hängt ein Pin-up-Girl. Zwei Zimmer gehören dem Rastalockenträger.
       Im Sommer konnte er mit seinem Basketball zum Platz gleich um die Ecke
       gehen. In Bahnsdorf gibt es nicht mal einen Spielplatz für die Kleinkinder.
       
       Am 1. November sind die Bewohner zu "diesem Dürrschmidt" in den Kreistag
       nach Großräschen gefahren. Sie wollten den Mann sehen, der dort über sie
       entscheidet, ihm ihre Petition in die Hand drücken. 33 Unterschriften
       standen auf dem Papier - von Flüchtlingen aus Kamerun und Afghanistan, aus
       Kenia und Sierra Leone. Mit ihren Kinderwagen waren sie gekommen, mit
       Kopftuch und einem Banner: "Das Lager Bahnsdorf ist die Hölle." Doch Georg
       Dürrschmidt ist zum Mikro gegangen und hat ihre Petition einfach
       zurückgewiesen. Die Vorwürfe seien haltlos, der Beschluss bleibe
       unumstößlich.
       
       "Was in dieser Petition steht, ist schlicht unwahr, dogmatisch und
       polemisch", wiederholt Dürrschmidt auch heute. "Da muss man dagegenhalten.
       Hier werden Betroffene instrumentalisiert." Warum nur habe es in den
       direkten Gesprächen mit den Flüchtlingen keine Beschwerden über den Umzug
       gegeben? Weil man eben auf sämtliche Wünsche eingegangen sei. "Als ich
       meine Antwort im Kreistag gegeben habe, war man seitens der
       Beschwerdeführer ganz schön still geworden", so der Landrat. "Weil sie
       wussten, dass ich recht habe." Und überhaupt: Von den 47 Sedlitzer
       Flüchtlingen sei rund die Hälfte lediglich ein bis drei Tage im Heim
       anwesend. Und 40 der 47 seien sogar rechtskräftig ausreisepflichtig.
       
       Erschreckend sei die Rede Dürrschmidts gewesen, erinnert sich Viola
       Weinert. Sehr perfide sei dessen Argumentation, sagt Kay Wendel. "Das
       suggeriert: Ihr seid ausreisepflichtig, ihr habt kein Recht, euch hier zu
       melden", erklärt der Referent des Flüchtlingsrats wütend. Und: "Der
       Kreistag fällt hinter seinen eigenen Beschluss zurück." Im März hatten die
       Abgeordneten aufgrund "rückläufiger Zuweisungen" und "erheblicher
       öffentlicher Kritik am Standort" die Schließung des Lagers Bahnsdorf bis
       2009 beschlossen. Protest dagegen hatte es schon lange gegeben. Vor sieben
       Jahren hatten Jugendliche aus dem Ort gemeinsam mit den Asylbewerbern gegen
       das Heim demonstriert. Vor zwei Jahren waren es Berliner und Brandenburger
       Antirassismusgruppen, die mit den Flüchtlingen vor das Waldlager Bahnsdorf
       zogen.
       
       Der Protest war schließlich bis zur Landesebene vorgedrungen. In einer
       Stellungnahme vom April 2006 drängte das Landesministerium für Arbeit,
       Soziales, Gesundheit und Familie auf eine "wesentlich kurzfristigere
       Schließung" Bahnsdorfs aufgrund der "schlechten Lebensbedingungen". Auch
       Brandenburgs Integrationsbeauftragte Karin Weiss räumt ein, mit dem
       Standort Bahnsdorf "nicht sehr glücklich zu sein".
       
       Bei einem Besuch in Bahnsdorf vor wenigen Tagen bescheinigte sie dennoch
       Landrat Dürrschmidt ein sachgerechtes Vorgehen. Er habe ihr gegenüber
       signalisiert, für Härtefälle in Sedlitz, wie einige Schüler unter den
       Flüchtlingen, doch noch Wohnungen suchen zu wollen. Für den Rest führe aber
       kein Weg an einem Umzug vorbei.
       
       "Die Stimmung unter den Flüchtlingen ist schlecht", sagt Viola Weinert
       zerknirscht. "Viele haben Angst", berichtet Vahaev. Welche Chancen haben
       die Flüchtlinge noch, von der Abschiebung in den Wald verschont zu werden?
       "Sedlitz ist am 1. Dezember zu. Entweder die Bewohner steigen in den Bus,
       oder sie stehen vor verschlossenen Türen", so der Landrat. Und die nächste
       Kreistagssitzung ist erst am 6. Dezember. Der Flüchtlingsrat fordert
       deswegen, dass der Umzug bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgericht
       über die Klage der Bewohner ausgesetzt wird. Sollte der Landrat dennoch am
       30. November als Umzugstermin festhalten, werde man an diesem Tag Leute
       mobilisieren, vor dem Flüchtlingsheim zusammenzukommen. Und dann? "Wir
       müssen beten", sagt der Kenianer Peter Kimani.
       
       *Name geändert
       
       19 Nov 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
 (DIR) Konrad Litschko
       
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