# taz.de -- Fremde Arten verdrängen Alteingesessene: Aliens im Vogelfutter
       
       > Immer mehr Tier- und Pflanzenarten strömen nach Europa. Viele von ihnen
       > werden hier heimisch - und einige zum ernsten Problem, weil sie
       > alteingesessene Arten verdrängen.
       
 (IMG) Bild: Das Kraut, das aus dem Meisenknödel kam: Die Beifuss-Ambrosie vermehrt sich in Deutschland prächtig.
       
       Sie kommen in Holzkisten und Blumenkübeln, verstecken sich in Möbeln und an
       Schiffswänden. Schon seit Jahrhunderten reisen sie als blinde Passagiere um
       die Welt. Wie der Mensch haben sich Tiere und Pflanzen aus fernen Regionen
       der Erde quer über den Globus verbreitet. Die meisten von ihnen bemerkt man
       überhaupt nicht, andere dafür umso mehr. Denn, vermehrt sich eine fremde
       Art plötzlich massenhaft, ziehen die einheimischen manchmal den Kürzeren.
       Experten warnen schon lange davor, dass die Artenvielfalt durch Pflanzen
       und Tiere bedroht wird. Auch auf der im Mai stattfindenden
       Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen wird über einen besseren
       Schutz vor "invasiven Arten" gesprochen werden, wie sie im Fachjargon
       heißen.
       
       Dass fremde Tiere der Umwelt arg zusetzen können, zeigt die Kaninchenplage
       in Australien, ein besonders schlimmer Fall einer "Bioinvasion". Im 19.
       Jahrhundert brachten englische Jäger die Tiere mit auf den Kontinent, um
       sie dort schießen zu können. Die Kaninchen verbreiteten sich rasant. Zu
       mehreren hundert Millionen zerstörten sie ganze Landschaften, fraßen vielen
       einheimischen Tieren, das Futter weg, wodurch etwa die Population der
       Beuteltierart Wombat empfindlich gesenkt wurde. Mit aufwendigen
       Virusattacken wurde die Plage inzwischen zurückgedrängt. Gestoppt werden
       kann sie nicht mehr.
       
       Die Globalisierung hat den Artentourismus beschleunigt. Fast täglich
       gelangen heute fremde Arten über die Häfen oder im Reisegepäck auch nach
       Europa. In Deutschland haben sich längst viele neue Lebewesen angesiedelt.
       Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) listete im vergangenen Jahr rund 360
       neue Pflanzen- und 260 fremde Tierarten auf, die sich inzwischen bei uns
       etabliert haben.
       
       Die tatsächliche Zahl könnte jedoch deutlich darüber liegen. Der Rostocker
       Zoologe Ragnar Kinzelbach schätzt die Summe der fremden Tierarten auf rund
       1.500: "Viele von ihnen bleiben nicht lange und sind sehr unauffällig. Kein
       Mensch kann heute noch rekonstruieren, wann und woher sie gekommen sind."
       
       Andere werden jedoch zum echten Problem. Eines der Lieblingsbeispiele der
       Wissenschaft ist der Staudenknöterich, ein bis zu vier Meter hohes Gewächs,
       das im 19. Jahrhundert aus Japan eingeschleppt wurde und heute in ganz
       Deutschland verbreitet ist. Wo es auftaucht, werden nicht nur die
       konkurrierenden Pflanzen verdrängt, sondern auch die mit ihnen verbundenen
       Tierarten.
       
       In einer Studie in Auftrag des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2003 wurden
       die jährlichen Kosten unter anderem zum Abmähen des Staudenknöterichs auf
       jährlich rund 32 Millionen Euro geschätzt. Insgesamt entstehen in
       Deutschland laut der Untersuchung jährlich Ausgaben von durchschnittlich
       167 Millionen Euro - für gerade mal zwanzig invasive Arten.
       
       Zum Problem ist auch der Waschbär geworden, der sich zunehmend verbreitet.
       Er verdrängt einheimische Arten wie den Fuchs, der ähnliche
       Nahrungsgewohnheiten hat. Laut Kinzelbach ist der Fuchs aber nicht bedroht:
       "Alles halb so schlimm", sagt der Experte für invasive Tierarten. Beide
       Spezies würden sich ihre Jagdgebiete nun aufteilen. "Auf lange Sicht
       entsteht so ein stabiler Zustand."
       
       Grundsätzlich ist die hiesige Artenvielfalt durch die Neuankömmlinge sehr
       viel weniger bedroht als etwa die auf Inseln. Dort haben sich die Arten in
       der Regel seit Millionen Jahren aufeinander eingestellt. Wird eine davon
       durch neue Fressfeinde verdrängt, dann bringt das die gesamte Nahrungskette
       durcheinander. In Mitteleuropa sind die Arten unabhängiger und damit auch
       robuster gegenüber Konkurrenz, erklärt Kinzelbach.
       
       Trotzdem: Auch in Europa nimmt die Problematik zu. Laut dem
       EU-Umweltbericht aus dem vergangenen Jahr hat sich die Zahl der
       gebietsfremden Arten in elf untersuchten Mitgliedsländern, darunter auch
       Deutschland, im vergangenen Jahrhundert auf über 1.600 verdoppelt. Schuld
       ist nicht nur der zunehmende Warenverkehr, sondern auch die Erwärmung der
       Atmosphäre, wodurch Vogel, Säuger und Insekten aus Südeuropa nach Norden
       wandern. Die Bilanz des EU-Berichts: "Die Situation ist weit davon
       entfernt, unter Kontrolle zu sein."
       
       Dies gilt vor allem für die eingebrachten Pflanzenarten. Solche wie die
       Beifuß-Ambrosie - eine Problempflanze vor allem für Allergiker - verbreiten
       sich schon durch die Samen im gehandelten Vogelfutter prächtig in ganz
       Europa. Ingo Kowarik, Pflanzenökologe an der TU Berlin, spricht von
       "teilweise massiven Verdrängungseffekten für heimische Arten". Haben sich
       erst invasive Pflanzen vor Ort etabliert, sind sie kaum mehr zu bekämpfen;
       sei es aus technischen Gründen, oder weil sie oft sehr robust sind. Das
       Grundproblem ist daher, im Einzelfall zu bewerten, wie problematisch der
       Neuankömmling ist - und das am besten, bevor er auftaucht. Kowarik und
       seine Kollegen fordern daher eine bessere Überwachung und ein
       Frühwarnsystem für gebietsfremde Arten.
       
       Deutschland hat sich 1992 im Biodiversitäts-Übereinkommen verpflichtet,
       gegen die Gefahr invasiver Arten vorzugehen. Viel getan hat sich seitdem
       nicht. Eine Bewertung in Auftrag des BfN stellte im vergangenen Jahr fest,
       die deutschen Regelungen in diesem Bereich seien "unzureichend".
       
       Bisher bestimmen noch Beamte in den Bundesländern über die Genehmigungen
       für gebietsfremde Arten, womit sie jedoch häufig überfordert sind: "Mit der
       derzeitigen Personalausstattung der Naturschutzbehörden, kann das Problem
       in Deutschland nicht bewältigt werden", kritisiert Ulrike Doyle, Biologin
       im Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät. In
       Zukunft sollen neue Tiere und Pflanzen aus dem Ausland nach Vorstellung des
       Umweltministeriums durch eine zentrale Bundesbehörde überwacht werden. So
       sieht es der Entwurf zum Umweltgesetzbuch vor, das derzeit erarbeitet wird.
       
       Doch auch neue Gesetze werden kaum alle fremden Spezies aufhalten können.
       Da sie sich nicht an Grenzverläufe halten, dürfte noch so mancher
       ungebetene Gast Hallo sagen.
       
       18 Apr 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Moritz Schröder
       
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