# taz.de -- Ethik versus Religionsunterricht: Eine Frage der Weltanschauung
> Schulen müssen Werte vermitteln - darin sind sich alle Fraktionen im
> Abgeordnetenhaus einig. SPD, Linke und Grüne beharren auf dem
> Ethikunterricht für alle. CDU und FDP wollen Religion als
> Wahlpflichtfach. Umstrittene Umfrage
(IMG) Bild: Soll das Kreuz nur über dem Dom schweben? Oder auch ins Klassenzimmer?
Selten waren sich die Redner aller Fraktionen so einig. Werte sind ein Wert
an sich und müssen deshalb vermittelt werden, forderten sie am Donnerstag
in der Debatte im Abgeordnetenhaus über Ethik- und Religionsunterricht an
Schulen. Schließlich werde das Leben in einer multikulturellen Stadt ohne
verbindende Maßstäbe schwierig. Auch in der Ansicht, dass Wahlfreiheit ein
hohes Gut ist, stimmten die Vertreter von CDU bis zur Linken überein. Nur:
Was mit dieser Wahlfreiheit gemeint sein könnte, darüber gingen die
Ansichten doch sehr auseinander.
Erst seit zwei Jahren gibt es an Berliner Schulen das Fach Ethik, als
Pflichtfach für alle Schüler der Klassen 7 bis 10. Zusätzlich können sie
klassischen Religionsunterricht besuchen. Das aber reicht den Kirchen nicht
aus. Sie wollen, dass sich Schüler zwischen dem Schulfach Ethik oder dem
Unterricht ihrer jeweiligen Religion entscheiden dürfen. Das will die
Bürgerinitiative "Pro Reli" per Volksbegehren durchsetzen. Nach den
Sommerferien sollen die dafür notwendigen 170.000 Unterschriften gesammelt
werden. Kämen sie zusammen, wäre ein Volksentscheid nötig.
So lange wollte die rot-rote Koalition nicht warten. Anders als beim
Volkentscheid über den Flughafen Tempelhof setzte sie offensiv auf die
Verteidigung ihrer Position - und eine Aktuelle Stunde über das
"erfolgreiche Berliner Modell" des gemeinsamen Ethikunterrichtes auf die
Tagesordnung des Abgeordnetenhauses. Schließlich sieht sie sich durch eine
am Mittwoch veröffentliche Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa
bestätigt. Demnach haben sich 84 Prozent der Befragten für das Pflichfach
Ethik ausgesprochen. "Ein überzeugendes Ergebnis, mit dem wir selbst nicht
gerechnet hätten", jubelte die SPD-Bildungspolitikerin Felicitas Tesch.
Doch die Umfrage hat einen Makel. Selbst Forsa hat sich mittlerweile von
ihr distanziert. "Grundregeln der Frageformulierung" seien missachtet
worden, bedauerte Forsa-Chef Manfred Güllner am Donnerstag. Die Studie war
vom Humanistischen Verband in Auftrag gegeben worden, der für den
Ethik-Unterricht plädiert. Darin wurde gefragt, ob Schüler, die
Religionsunterricht besuchen, nicht mehr am Etikunterricht, der Werte wie
Toleranz und Freiheit vermittle, teilnehmen sollten. Solch suggestiven
Element hätten die gewünschten Resultate provoziert, ärgerte sich Güllner.
Als Forsa zu Jahresbeginn gefragt hatte, ob die Berliner für eine
Wahlfreiheit zwischen beiden Fächern waren, hatten dem 55 Prozent
zugestimmt.
"Lassen sie ihre Jubelchöre", rief die FDP-Politikerin Mieke Senftleben
daher in Richtung SPD. Hoch manipulativ sei die Umfrage, meinte Sascha
Steuer (CDU). Schließlich gehe es nicht darum, dass Schüler Ethik abwählen
sollen, sondern um eine Wahlfreiheit zwischen beiden Fächern. Tesch wies
das zurück. Sollte der Entscheid erfolgreich sein, müssten Schüler
tatsächlich Ethik abwählen, wenn sie Religion belegen wollen. Der Besuch
beider Fächer sei dann ausgeschlossen. Das sei das Gegenteil von
Wahlfreiheit, so Tesch.
Steffen Zillich von der Linksfraktion versuchte sich schließlich in einem
Gleichnis: Wenn man Bürger frage, ob sie einen neuen Parkplatz wollten,
bekäme man eine hohe Zustimmung. Wenn man sie aber frage, ob sie die Bäume,
die bisher auf dem Platz stünden, erhalten wollten, würden ebenfalls viele
mit Ja antworten. Die Linkspartei sei in diesem Bild für den Erhalt der
Bäume - also des gemeinsamen Ethikunterrichtes. Berlin sei eine Stadt der
Vielfalt. Das sei ein Reichtum, führe aber auch zu Konflikten. "Wir
brauchen gegenseitiges Verständnis", sagte Zillich. Das aber stelle sich
leider nicht automatisch im Alltag ein.
Auch nicht im Parlament. "Werte und Tugenden liegen jenseits der
staatlichen Zuständigkeit", sagte der Christdemokrat Steuer. Sie könnten
nur von Glaubensgemeinschaften vermittelt werden. Die liberale Mieke
Sentfleben warf den Roten und Grünen Religionsfeindlichkeit vor. Zwar gebe
der Senat jährlich 50 Millionen Euro für den Religionsunterricht an Schulen
aus. Gleichzeitig lege er ihm aber Steine in den Weg. Worauf die
Sozialdemokratin Tesch nur fragte: "Was ist das für ein Quatsch?"
Der Wahlkampf vor dem möglichen Volksentscheid dürfte ähnlich verhement
werden. "Vermeiden Sie Schritte, die einen Kirchenkampf in die Stadt
bringen", appellierte Özcan Mutlu (Grüne) an alle Beteiligten. Die
Parlamentsdebatte ließ allerdings wenig Hoffnung, dass er gehört wird.
Gereon Asmuth
30 May 2008
## AUTOREN
(DIR) Gereon Asmuth
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Volksbegehren "Pro Reli": Gott soll in die Schule
Am Montag startet die Initiative "Pro Reli" mit der Unterschriftensammlung
für einen Volksentscheid. Ist sie erfolgreich, können die Berliner
bestimmen, ob Religion Wahlpflichtfach wird - und Ethik wegfällt.
(DIR) Kommentar: Im Glauben an die Ratio
Der Berliner Senat kann im Streit um den Religionsunterricht an Schulen
gelassen bleiben.
(DIR) Ethikunterricht: Rot-Rot verhandelt mit Gott
Die Furcht vor dem nächsten Volksbegehren Pro-Religionsunterricht treibt
SPD und Linke in die Arme der Kirchen. Sie sollen mehr Platz im
Ethikunterricht bekommen. Die Religionsfreunde lehnen ab.
(DIR) Das nächste Volksbegehren: Himmel oder Erde
Thema des nächsten Volksentscheids dürfte das Schulfach Religion sein. Das
Volksbegehren dazu startet im Herbst.
(DIR) Kommentar: Und bewahre uns vor dem Blöden
Volksbegehren für Religionsunterricht an Berliner Schulen nimmt die erste
Hürde. Das untermauert den Erfolg der direkten Demokratie - und zeigt, dass
da nicht unbedingt etwas gutes bei rauskommen muss.
(DIR) Volksbegehren: Religion jetzt unterschriftsreif
Das Volksbegehren für den Religionsunterricht hat die erste Hürde genommen.
Im Juni können die Initiatoren mit der Sammlung von 170.000 Unterschriften
beginnen.