# taz.de -- Gefangen im System Britpop: Vogelfreier Doherty
       
       > Musiker Pete Doherty saß im "Wormwood Scrubbs"-Knast - einem Bau, in dem
       > schon Keith Richards und Mick Jagger und der Galerist Robert "Groovy Bob"
       > Fraser hockten.
       
 (IMG) Bild: Frei zum Abschuss: Pete Doherty
       
       Pop ist in England Volkskultur - und Volkskultur wird gnadenlos vermarktet.
       Zuletzt musste das wieder einmal der Musiker Pete Doherty (Libertines,
       Babyshambles) am eigenen Leib erfahren. Als er Ende Mai nach einem Monat
       Haft aus dem Londoner Gefängnis Wormwood Scrubbs entlassen wurde, warteten
       20 Latte macchiato schlürfende Paparazzi am Ausgang. Immerhin, den Heimweg
       konnte Doherty mit Hilfe des New Music Express (NME) antreten.
       
       Zwei Musikjournalisten des Magazins eskortierten den drogenabhängigen
       Sänger und Gitarristen und halfen ihm, die Meute abzuschütteln. Dafür
       sicherte sich das Blatt gleich selbst eine exklusive Homestory mit
       Interview, zweiseitigen Farbfotos und Dohertys Zeichnungen von den
       Haftbedingungen. "Ich war wieder zurück im Teufelskreis, habe Heroin
       genommen und bei Drogentests geschummelt", zeigte er sich reuig. Im
       Vergleich zum Boulevard liest sich die Berichterstattung im NME fast
       harmlos. Man gibt sich human, stellt besorgte Fragen, begleitet den
       Delinquenten bei seinem ersten Waldspaziergang in Freiheit. "Jetzt findet
       sich Pete Doherty auf einer weißen Leinwand wieder", mutmaßen die
       Journalisten in ihrem Schlussplädoyer, machen ihm Mut für einen Neubeginn
       und fordern auch die Leser auf, dem ehemaligen Libertin nochmals eine neue
       Chance zu geben. Aber dem Celebritysystem Britpop ist die Kunst schon
       längst abhanden gekommen, es regiert nur noch das Geschäft.
       
       Her majestys prison, das Wormwood Scrubbs, spielt im englischen Popbusiness
       ohnehin eine unrühmliche Rolle. Im Sommer 1967 wurden Keith Richards, Mick
       Jagger und der Galerist Robert "Groovy Bob" Fraser im ersten
       aufsehenerregenden Drogenprozess auf der Insel verurteilt. Auch damals war
       die Regenbogenpresse in den Fall eingeweiht. Es heißt, einer der bei der
       Verhaftung Anwesenden sei Reporter der Zeitung News of the World gewesen.
       Während die beiden Stones-Mitglieder, denen kein Heroinbesitz nachgewiesen
       werden konnte, mit je vier Wochen Knast glimpflich davonkamen, erhielt
       Fraser, bei dem heroinhaltige Pillen gefunden wurden, sechs Monate ohne
       Bewährung und musste in Wormwood Scrubbs brummen.
       
       Es ist ein Knast wie aus einem Charles-Dickens-Roman: Die Kasernengebäude
       bestehen aus rotbraunen Ziegelsteinen, Cockney sprechende Wärter tragen
       Doc-Martens-Schuhe, und der Geruch von Kernseife ist durchdringend. Anders
       als die kleinbürgerlichen Stones hatte Robert Fraser die Eliteschule Eton
       durchlaufen, in einem Regiment in Kenia gedient und stammte aus
       respektablem Hause. "Warum wird ein Schmetterling gerädert", wunderte sich
       damals die englische Presse über das harte Strafmaß. Police-Constabulary
       Don Rambridge, einer der ermittelnden Beamten, erklärte, den dreien würde
       heute auf der Wache eine Tracht Prügel verabreicht und sie kämen nach
       Zahlung von 200 Pfund Kaution wieder frei. Nur hat er die Medien bei dieser
       Rechnung vergessen.
       
       Pop war 1967 auch noch keine Volkskultur. Das Klassensystem war noch mehr
       in Schwung als das klassenübergreifende Swinging London. Die Stones hatten
       sich gerade erst von ihrem Teeniebopperimage befreit und nahmen zum ersten
       Mal eine kreative Auszeit. Groovy Bob stellte in seiner Galerie im Londoner
       Viertel Mayfair führende Popartkünstler aus. Er holte Andy Warhol erstmals
       nach Europa und machte die Musiker mit der Kunstszene bekannt: Den Beatles
       stellte er beispielsweise das Künstlerpaar Peter Blake und Jann Hanworth
       vor, das für die Fab Four das legendäre Cover des Albums "Sgt. Peppers
       Lonely Hearts Club Band" gestaltete. Kenneth Anger zeigte bei Fraser seine
       Filme. Dennis Hopper ging ein und aus. Groovy Bob, der in seinem
       Rolls-Royce immer einen Plattenspieler spazieren fuhr und die neuesten
       Soulsingles aus den USA hörte, trug schicke Anzüge und dunkle
       Sonnenbrillen. Pete Doherty ahmt ihn ein bisschen nach. In Wormwood Scrubbs
       soll Doherty immer das Beatles-Lied "Free As a Bird" gehört haben. Und doch
       unterscheidet sich seine Situation fundamental von der Frasers: Für den
       Galeristen gab es Solidaritätsbekundungen seiner Künstler, die sich für
       seine vorzeitige Freilassung einsetzten, Ausstellungen organisierten,
       Briefe in den Knast schickten und ihn besuchten. Es gab sogar kritische
       Berichte bürgerlicher Zeitungen.
       
       Skandalmusiker Pete Doherty ist dagegen nur noch in Isolationshaft der
       Medien.
       
       8 Jun 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
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