# taz.de -- Wettlauf gegen Kinderarmut: Manche Kinder sind gleicher
       
       > Die Volksparteien überbieten sich gegenseitig mit Ideen. Die SPD will ein
       > neues Modell des Kinderzuschusses: einen Einheitsbetrag für jedes Kind,
       > egal ob von armen oder reichen Eltern.
       
 (IMG) Bild: Kurt Beck will, dass der Staat für alle Kinder die gleiche Summe ausgiebt.
       
       BERLIN taz Eigentlich hat Kurt Beck eine gute Idee. "Jedes Kind soll dem
       Staat gleich viel wert sein", ruft er. Das sozialdemokratische Auditorium
       im Berliner Willy-Brandt-Haus dankt seinem Chef dafür mit ordnungsgemäßem
       Beifall. "Kinderarmut bekämpfen!" lautet der Titel der Konferenz, und Kurt
       Beck hält mal wieder eine Grundsatzrede. Er verteidigt die Lehrer und mahnt
       eine "Präventionskultur" zum Schutz der Kinder an, er empfiehlt
       Kinderrechte im Grundgesetz und wehrt sich gegen den Vorwurf, nur
       Parteipolitik zu betreiben. Es ist eine unfallfreie Rede, aber auch eine
       ohne Fokus. Es geht Beck so wie einst Johannes Rau, der auch oft Reden zu
       bedeutenden Themen hielt, ohne je die einprägsame Formulierung zu finden.
       
       Aber immerhin gibt es diesen Satz, dass Kinder dem Staat gleich viel wert
       sein sollen. Er entspricht dem sozialdemokratischen Ethos von Gleichheit
       und Chancengerechtigkeit. Mit diesem Kernsatz will sich die SPD in Stellung
       bringen gegen die Union, die wolkig die Bildungsrepublik für sich
       reklamiert.
       
       Der Satz klingt banal, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Er führt tief in
       die Untiefen des deutschen Steuerrechts und der Rechtsprechung des
       Bundesverfassungsgerichts. Eltern bekommen für ein Kind monatlich 154 Euro
       Kindergeld. Außerdem zahlten sie - via Kinderfreibetrag - weniger Steuern
       als Kinderlose. Allerdings sparen Eltern, die im Jahr mehr als 60.000 Euro
       zu versteuerndes Einkommen haben (bei Alleinerziehenden 30.000 Euro) via
       Freibetrag mehr Steuern. Faktisch bekommen sie damit vom Staat mehr als 154
       Euro Kindergeld - nämlich bis zu 230 Euro im Monat. Will sagen: Der Staat
       fördert alle Kinder gleich - aber Kinder von reichen Eltern sind gleicher.
       So hat es das Bundesverfassungsgericht 1998, angeleitet von Paul Kirchhof,
       verfügt. Damit zementierte Karlsruhe die Tatsache, dass der Staat nicht
       Kinder von Armen besonders intensiv fördert, sondern Kinder von sehr
       Reichen.
       
       Das kann man auf zwei Arten ändern. Erstens: das Kindergeld auf 230 Euro
       erhöhen. Dann bekämen die Aldi-Verkäuferin und der Investmentbanker
       wirklich gleich viel. Allerdings ist das unrealistisch. Es würde den Staat
       jährlich 16 Milliarden Euro kosten. Und es wäre, auch für die SPD, nicht
       sinnvoll. Denn die SPD will lieber in Infrastruktur, etwa Kitas und
       Schulen, investieren als in direkte Transfers an Eltern. Die zweite
       Möglichkeit klingt erfreulicher. Man ändert die Steuergesetze so, dass
       Reiche über den Kinderfreibetrag nicht mehr bevorteilt werden. Ein Konzept
       dafür, so die Staatssekretärin im Finanzministerium, Nicolett Kressl, am
       Montag in Berlin, soll bis zum Herbst vorliegen. Dieses Konzept dürfte
       allerdings dem Kirchhof-Urteil des Bundesverfassungsgerichts widersprechen.
       
       In Deutschland wächst die Kinderarmut - sogar im Boom und obwohl der Staat
       jährlich 190 Milliarden Euro für Familien ausgibt. Die Subvention von
       reichen Kindern ist eine Gerechtigkeitslücke, die vielen einleuchtet. Aber
       das nutzt der SPD nicht viel. Irgendwie fehlt ihr der zündende Slogan, der
       sich auch praktisch umsetzen lässt.
       
       Der SPD-Chef im Saarland, Heiko Maass, präferiert ein entschiedeneres
       Konzept. Er will 400 Euro für alle Kinder. Diese Grundsicherung soll das
       Kindergeld, den Kinderfreibetrag und das Ehegattensplitting ersetzen:
       gewissermaßen Kinderförderung auf einem halben Bierdeckel. "Wenn uns jedes
       Kind gleich viel wert ist, wäre das doch nur konsequent", so Maass gestern
       in Berlin.
       
       Maass muss 2009 im Saarland bei den Wahlen gegen Oskar Lafontaines
       Linkspartei antreten. Die 400-Euro-Forderung, mutmaßen manche, ist schon
       Wahlkampf. Sicher ist: Eine einheitliche, pauschale Förderung von Kindern
       wäre einfacher und auch gerechter als die derzeitige Praxis. Und: Maass
       Vorschlag, der auch die Abschaffung des Ehegattensplittings voraussetzt,
       steht gleich doppelt im Gegensatz zu geltenden Urteilen des
       Bundesverfassungsgericht. "Das wäre natürlich ein Systembruch" sagte Maass
       zur taz.
       
       Will die SPD mit dem Kampf gegen Kinderarmut nicht nur ein wenig
       Wahlkampfmunition sammeln, wird sie ein sehr, sehr hartes Brett bohren
       müssen.
       
       17 Jun 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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