# taz.de -- David gegen Goliath: Die Steinschleuder der Hamas
       
       > In Europa wird die Wirkung, die die Kassam-Raketen der Hamas zeitigen,
       > unterschätzt. In Israel entfalten die Geschosse ihr volles
       > Stresspotenzial.
       
 (IMG) Bild: Ein David namens Hamas kämpft gegen den Goliath Israel.
       
       Die israelische Tageszeitung Jediot Ahronot titelte am Tag nach der
       israelischen Offensive: "Eine halbe Million Israelis unter Feuer".
       Tatsächlich leben so viele Israelis in der Region, die von Raketen der
       Hamas getroffen werden kann. Trotzdem erschien dieser Titel unangebracht.
       Hatte die mächtige israelische Luftwaffe mit ihren Präzisionsbomben doch
       tags zuvor zentrale Institutionen der Hamas in Gaza in Schutt und Asche
       gelegt, wobei ungezählte Zivilisten starben. Am Dienstag war die Zahl der
       Toten auf ungefähr 300 angestiegen, unter ihnen befanden sich viele Kinder.
       
       Bis Dienstagmittag waren drei Israelis durch Raketen getötet worden, die
       Hamaskämpfer auf das Territorium gerichtet hatten, das sie als
       "zionistisches Gebilde" bezeichnen. Die Vergeltungsschläge der Hamas
       erreichten allerdings Ziele, die bis zu 35 Kilometer von der Grenze
       entfernt liegen. In der Hafenstadt Aschdod starben eine Frau an einer
       Bushaltestelle und ein Beduine auf einer Baustelle, als dort Katjuschas
       einschlugen.
       
       Die Kräfteverhältnisse scheinen also klar zu sein, aber sie sind es nicht.
       Zwar hat es Israel zu jedem gegebenen Zeitpunkt in der Hand, Gaza von der
       Außenwelt abzuschneiden. Die Regierung kann nach Belieben entscheiden,
       welche Waren und Personen die Grenze überqueren. Und sie kann Bomben über
       Gaza abwerfen. Doch sie wird, darüber herrscht unter den meisten
       Kommentatoren in israelischen Zeitungen Einigkeit, den Raketenbeschuss aus
       Gaza nur durch eine erneute Besetzung oder eben durch Verhandlungen beenden
       können.
       
       Israel nimmt in dieser Geschichte die Position des Goliath ein, der von
       einem David namens Hamas herausgefordert wird. Ihre Kassams sind das
       Äquivalent der biblischen Steinschleuder. Zwar kann dieser David sein
       Gegenüber nicht niederstrecken. Er kann es aber unter starken Stress
       setzen, indem er einigen hunderttausend Israelis das Leben schwer macht.
       Wenn das israelische Fernsehen in diesen Tagen ausführlich über die
       Raketeneinschläge berichtet, reflektiert das die Stimmung im Land.
       
       Am Tag vor dem Heiligen Abend schickte die Hamas achtzig Raketen aus dem
       Gazastreifen in die nahe gelegene israelische Stadt Sderot. Das waren mehr
       als sonst, was für die Bewohner von Sderot keinen großen Unterschied
       machte. Denn die Kassams, die hier seit Jahren niedergehen, richten keinen
       großen Schaden an. Nur selten verletzen oder töten sie jemanden. Doch die
       psychologische Wirkung, die sie entfalten, ist umso größer. "Die
       Wahrscheinlichkeit, dass dich eine Kassam trifft, ist äußerst gering. Und
       trotzdem: Wenn die Sirenen zu heulen anfangen, kommt die Panik. Und alle
       laufen zum nächsten Luftschutzbunker", erzählt ein Israeli über seine
       Besuche in Sderot.
       
       Die Steine Davids sind zu klein, um in den Abendnachrichten westlicher
       Fernsehsender zu erscheinen. Ihre wahre Wirkung entfalten sie
       paradoxerweise erst, wenn Goliaths mächtige Militärmaschinerie zuschlägt.
       Hier nun stößt der biblische Vergleich an seine Grenzen. Denn es ist
       letztendlich egal, ob David Steine wirft oder nicht. Die Hamas hat nichts
       zu gewinnen, wenn sie ihren Raketenbeschuss einstellt, weil Israel weiter
       die Bedingungen diktieren wird, und sie kann nicht gewinnen, wenn sie ihn
       fortsetzt.
       
       Die massive Militäraktion und ihre Folgen könnten nun zwar den Druck auf
       die israelische Regierung erhöhen, endlich direkte Verhandlungen mit der
       Hamas aufzunehmen. Noch mächtiger als Israels Luftwaffe ist allerdings das
       Klischee, auf der Gegenseite gebe es niemanden, mit dem man reden und
       verhandeln könne. So wirft man also lieber Bomben - vielleicht liegt hierin
       das größtmögliche Zeichen der Schwäche dieses Goliaths.
       
       ULRICH GUTMAIR
       
       31 Dec 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neue Romane über Erinnerungskultur: Sie denkt, sie sei weiß
       
       Elliot Perlman hat einen Roman geschrieben, der die Erfahrung der
       Konzentrationslager mit der Geschichte des Rassismus in den USA
       kurzschließt.
       
 (DIR) Palästinenser unter Beschuss: Der Lagerkämpfe müde
       
       Während Israel weiter den Gazastreifen bombadiert, regen sich auch im
       Westjordanland Proteste. Größer sind aber die Resignation - und die Angst
       vor einer dritten Intifada.
       
 (DIR) Israel will weiter bomben: Ägypten legt Vorschlag für Gaza vor
       
       Kairo und Ankara wollen einen neuen Waffenstillstand vermitteln. Am
       Mittwoch tagt die Arabische Liga in der ägyptischen Hauptstadt. Doch Israel
       eine Feuerpause derzeit ab.
       
 (DIR) Journalistenverbot im Gazastreifen: Krieg ohne Chronisten
       
       Israel versperrt internationalen Journalisten den Zugang zum Gazastreifen.
       Palästinensische Zulieferer sind die einzige Informationsquelle.
       
 (DIR) Trotz Forderungen nach Waffenruhe: Israel bombt weiter
       
       Ungeachtet internationaler Forderungen nach einem sofortigen und
       dauerhaften Waffenstillstand setzt Israel die Luftangriffe im Gazastreifen
       unvermindert fort.