# taz.de -- Rummelpott: Silvester für immer
       
       > Der Maler und Grafiker Willem Grimm hat den norddeutschen Brauch des
       > Rummelpottlaufens in der Neujahrsnacht verewigt. Die Holzschnitte sind
       > ein Dokument des desillusionierten Expressionismus, der in der
       > Hamburgischen Sezession aufblühte und heute weitgehend in Vergessenheit
       > geraten ist.
       
 (IMG) Bild: Rummelpott: Nächtlicher Zug ohne Kinderfreuden.
       
       Stöcke schwingen, Lieder singen. Verkleidet mit frechen Versen auf Beutezug
       gehen. Dass nach norddeutschem Brauch in der Silvesternacht Kinder von Tür
       zu Tür zogen und um Bontjes bettelten ist den Alten noch als Rummelpott in
       Erinnerung. Die Jüngeren erinnert es an Halloween, wobei der größte
       Unterschied zwischen beiden vielleicht sprachlicher Natur ist.
       
       Welten liegen zwischen dem heute landauf, landab "Saures oder Süßes" und
       den verschrobenen Versen der Rummelpötte: "Een Hus wieder, wohnt der
       Snieder, een Hus achter, wohnt de Slachter, een Hus wiederan, wohnt de
       Wiehnachtsmann. Hau de Katt den Steert af, hau em nich to lang af, lat enn
       lütten Stummel stahn, denn ick mutt noch wieder gahn." Und wie viel
       konrekter wurde es im Vergleich zum heutigen Schlachtruf, als man zur Sache
       kam: "Giv mi n lüttjen Appelkooken oder eene Wust. Is de Wust to kleen,
       givst mi twee för een, is de Wust to groot, smeckts noch mol so good."
       
       Als Willem Grimm (1904 - 1986) als junger Maler und Grafiker den
       Rummelpötten in einem Hamburger Vorort begegnete, war das für ihn ein
       Glücksfall. Er hatte sein Motiv gefunden, das er zeitlebens
       weiterentwickelt und variiert hat, so wie der Rummelpott selbst variierte,
       von Stadtteil zu Stadtteil, von Dorf zu Dorf. Im Museum für Kunst und
       Gewerbe sind diese Bilder nun zu sehen. Sie stammen aus dem Nachlass, den
       die Tochter des Künstlers dem Museum überlassen hat.
       
       Zuerst fällt an den farbigen Holzschnitten auf, dass sie den Rummelpott
       keineswegs wie eine heitere Kinderangelegenheit wiedergeben. Beunruhigung
       prägt stattdessen die Blätter. "Rummelpötter im Raum" heißt eins davon,
       vier, fünf Gestalten lösen von farbigen Flächen, die Gesichter sind in
       helles Rot getaucht. Von Kinderzügen keine Spur. Eins der Gesichter ist
       ganz Falte, ein anderes nichts als schreckensweite Augen und ein abgründig
       offener Mund.
       
       Auf dem Bild "Rummelpottlaufen in Holstein", das Grimm 1974 druckte,
       bemalte, nochmals druckte und bemalte, springen den Figuren groteske Nasen
       aus den von Schlapphüten beschatteten Gesichtern. Einige hantieren mit
       Schlagstöcken, Besenstielen oder misstönenden Musikinstrumenten, nicht zu
       erkennen im backsteinroten Dunkel der Szene. Ein Sprossenfenster glimmt,
       und lässt an finsteres Mittelalter denken.
       
       Es gibt einen Vers von Rilke, der sich wie das Programm zu diesen Bildern
       liest. Der Dichter schrieb: "Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme
       begeistert, darin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
       jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert, liebt in dem
       Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt." Das Rummelpott-Motiv ist
       in diesem Sinn unausdeutbar, unerschöpflich: Wirklichkeit wendet sich zum
       Traum, Gegenwart gerinnt zum Mythos, Heiteres schlägt um ins Unheimliche,
       Bekanntes in Fremdes, unendlich Fernes. Sinds Rummelpötte? Oder nicht doch
       römische Saturnalien? Oder gar die jugendlichen Schlägerbanden Savonarolas?
       
       Die Vieldeutigkeit des ästhetischen Objekts: Grimm zeigt sie uns auch mit
       verschiedenen Abzügen ein und derselben Druckplatte. Eine Szene mit fünf
       Rummelpötten von 1975, kräftig-klare Farben, es ist alles ganz diesseitig,
       aus dem Leben gegriffen. Und derselbe Druck noch mal: ein Fade-out der
       Farben, die Figuren schwinden schemenhaft ins Vergessen, vertikale
       Drucklinien treten hervor, Streifen, die die Figuren zu Sträflingen
       mutieren lassen und sie ausliefern - der größten geschichtlichen
       Katastrophe.
       
       Schreckensgesättigt waren Grimms Bilder zu jeder Zeit. Neben
       Rummelpott-Bildern sind einige Frühwerke in der Ausstellung zu sehen. Ein
       1920 angefertigter Linolschnitt mit dem Titel "Selbst" ist das Bildnis des
       Jugendlichen als ein alter Künstler. Der 17-jährige Grimm zeigt sich hager,
       mit kantigen Wangenknochen, umschatteten Augen, einem harten, verriegelten
       Mund. Vertrauen, Gelöstheit, Glück - Fehlanzeige. Zweifel und monströses
       Misstrauen beseelt die Figur. Oder die vergrübelte "Unterhaltung", ein
       Druck von 1925, bei dem man vergeblich nach einem Schimmer der 20er Jahre
       Ausschau hält. Und der das Gegenteil dessen zeigt, was der Titel erwarten
       lässt: die gespannte Stille zweier Menschen, die aneinander vorbei ins
       Leere schauen.
       
       Die frühe Desillusionierung Willem Grimms ist kein Einzelfall. Sie ist ein
       Kennzeichen der um 1900 geborenen Künstler. Denn was diese grundlegend
       prägte, war nicht mehr der euphorische Aufbruch der Avantgarde, sondern
       deren Zusammenbruch in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs.
       Weiteres Kennzeichen dieser Künstler ist, dass sie fast niemand kennt. Und
       dass Zeitumstände die Schuld dafür tragen. Der Fall Willem Grimm ist für
       seine Generation idealtypisch. 1925 kommt er als Pralinenschachtelmaler
       nach Hamburg und schließt sich der Sezession an. Als sich erste
       künstlerische Erfolge einstellen, kommen die Nationalsozialisten an die
       Macht, seine Werke werden beschlagnahmt. In den Bombennächten 1943 brennt
       sein Atelier, viele seiner Werke gehen in den Flammen verloren. Als er nach
       dem Krieg wieder zu malen beginnt, ist die Kunstwelt eine andere. Für einen
       Neuanfang ist Willem da schon zu alt. Er malt wie zuvor - und wird von der
       Kunstgeschichte übergangen.
       
       Zu recht, könnte man meinen. Und Willem Grimm eine Menge vorhalten: dass er
       der widerborstigen Wirklichkeit mit den überkommenen künstlerischen Mitteln
       des Expressionismus zu Leibe rücke; dass er gegen das Gebot des
       Zivilisationsbruchs Tradition fortführe; dass er gegenständliche, motivisch
       lesbare Bilder produziere, wo doch die Irrationalität spätkapitalistischer
       Systeme jeder Abbildbarkeit spotte; dass er sich aufs Lokale kapriziere, wo
       sich doch die Welt anschicke, global zu werden.
       
       Und was kann man Grimm zugute halten? Justament dasselbe, mit umgekehrten
       Vorzeichen. Also: Dass er die künstlerischen Mittel des Expressionismus
       entfalte; dass er nicht von den Schreckensfeldern der sichtbaren Realität
       desertiere; dass er Tradition weiterführe, sich dem Neuanfang verweigere,
       weil doch der Nationalsozialismus den Sprung aus der Geschichte bereits
       vorgeführt habe; dass er dem Lokalen die Treue halte, wo es vom Globalen
       überrollt zu werden drohe.
       
       Womit man wieder bei der Ausgangsfrage wäre: Rummelpott oder Halloween? Mit
       Sicherheit lässt sich dazu nur sagen, dass die Frage zu groß ist, um
       während einiger Tage auf dem Gang des Museums für Kunst und Gewerbe
       abgehandelt zu werden. Einen Steinwurf entfernt, in der Kunsthalle, lässt
       sich anhand der Werke von Eduard Bargheer übrigens ein ähnliches
       Künstlerschicksal studieren - auch auf dem Gang. Was eine andere Frage
       aufwirft: Ob die Stadt nicht einen Ort brauche, an dem die noch ungehobenen
       Schätze der Hamburgischen Sezession mitsamt den Werken jener Künstler aus
       der Nachkriegszeit dauerhaft zu sehen wären.
       
       30 Dec 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maximilian Probst
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