# taz.de -- Entwicklungshilfe für Deutschland: Revival der Mikrokredite
       
       > In der Wirtschaftskrise boomen die Kleinkredite für Selbständige auch
       > wieder in Deutschland. Banken winken bei den Summen oft ab – doch sie
       > sind eine Alternative zur Arbeitslosigkeit.
       
 (IMG) Bild: Muhammad Yunus hat für seine Mikrokredite in Bangladesch den Friedensnobelpreis erhalten.
       
       "Ohne den Kredit", sagt Marion Bress, "wäre ich längst pleite." Doch die
       40-jährige Friseurmeisterin sitzt im improvisierten Pausenraum ihres
       eigenen Salons in der Dortmunder Nordstadt. "Marions Abschnitt" heißt der
       Salon. Neben ihr rotieren Handtücher in der Waschmaschine, dröhnt der
       Trockner. "Ohne den Kredit", sagt Bress und zieht scharf an ihrer
       Zigarette, "wäre ich arbeitslos, genau wie meine Angestellte und meine
       Auszubildende." Lakonisch erzählt sie von "meinem Exmann", mit dem sie vor
       sieben Jahren begann, den Salon aufzubauen. Von dem Schock, als plötzlich
       dieser Brief vom Finanzamt kam, der mit Insolvenzanmeldung drohte. Ihr
       "Exmann", der sich um die Buchhaltung kümmern sollte, war da längst
       verschwunden. Zurück blieben 50.000 Euro Schulden. Und die wollte Bress
       Bank binnen zwei Wochen zurück.
       
       Gerettet hat die Friseurmeisterin die mit Unterstützung der Stadt Dortmund
       gegründete Genossenschaft Nordhand. Deren Vorstände Frank Lunke und Detlef
       Thomy wollen Kleinunternehmen wie das von Bress unterstützen, beraten,
       vernetzen. Im sozialen Brennpunkt Nordstadt, wo die Arbeitslosenquote seit
       Jahren bei 25 Prozent liegt, versuchen viele, mit einer eigenen Firma der
       Arbeitslosigkeit zu entgehen. Mit dem städtischen Wirtschaftsförderer
       Hubert Nagusch haben Lunke und Thomy der Friseurmeisterin eine
       Schuldnerberatung organisiert, bei der Umschuldung geholfen, kleinere
       Kreditraten ausgehandelt. Und ihr einen Mikrokredit vermittelt: 10.000
       Euro. "Marions Abschnitt" überlebte.
       
       Hinter Bress Mikrokredit steht die Bochumer GLS-Bank. Dort arbeitet
       Projektentwickler Falk Zientz schon seit 2000 an einer ganz eigenen
       Erfolgsgeschichte: Er überträgt die aus der Entwicklungshilfe bekannte Idee
       der Mikrokredite auf die Bundesrepublik. Der aus Bangladesch stammende
       Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus erhielt für die Kleinkredite
       seiner Grameen Bank 2006 den Friedensnobelpreis (siehe Kasten). "Wer
       arbeitslos ist, wegen bereits vorhandener Schulden einen negativen
       Schufa-Eintrag hat, kein regelmäßiges Einkommen oder sonstige Sicherheiten
       nachweisen kann, bekommt in der Regel keinen Unternehmenskredit", sagt
       Zientz. Überhaupt rechneten sich kleinere Firmenkredite für viele Institute
       oft nicht: Allein die Prüfung des Unternehmenskonzepts durch eine Bank
       könne schnell mehrere tausend Euro kosten. Kreditausfälle hinzugerechnet,
       würden für Mikrodarlehen wie das von Marion Bress Zinssätze von bis zu 50
       Prozent fällig. "Das wäre Wucher. Also lehnen die Banken ab und erklären
       das Unternehmenskonzept ganz schnell für nicht tragfähig", sagt der Banker
       Zientz.
       
       Um die Kreditkosten zu reduzieren, hat Zientz deshalb Mikrofinanzierer wie
       die Nordhand zwischengeschaltet. Nicht die GLS, sondern die Dortmunder
       Genossenschaft hat das Unternehmenskonzept und die Kreditwürdigkeit von
       Marion Bress bewertet. "Wir arbeiten viel kostengünstiger als Banken", sagt
       Nordhand-Vorstand Lunke: "Wir kannten Frau Bress und ihr Unternehmen ja
       schon aus der Beratung." Doch auch Ökonom Lunke muss die Kreditvergabe
       sorgfältig prüfen. Schließlich haftet seine Nordhand für die vergebenen
       Kredite mit: Liegt die jährliche Ausfallquote aller von ihr vermittelten
       Kredite unter 10 Prozent, bekommt die Genossenschaft eine Gutschrift von
       der GLS. Bei Ausfällen über 10 Prozent aber werden Strafzahlungen fällig.
       
       Gern unterstützt die Mikrofinanzorganisation deshalb Mitglieder wie
       Sebastian Horbach. Nur einen Kilometer von Marion Bress Friseursalon
       entfernt sitzt der Kneipier auf dem Dortmunder Nordmarkt im Biergarten
       seines Cafés "Killefitt". "Im Sommer brummt der Laden", sagt Horbach. "Im
       Winter aber kann ich allein mit dem ,Killefitt' nicht überleben." Der
       Gastronom, der im Berliner Hotel Adlon gelernt, in Amsterdam gearbeitet und
       in Dortmund die Wirtschaftsschule für Hotellerie und Gastronomie
       abgeschlossen hat, brauchte ein zweites Standbein. Im Gerichtsviertel hat
       Horbach deshalb das Bistro "Kaiserbrunnen" aufgemacht. Doch seine Hausbank,
       die Sparkasse Dortmund, wollte Horbachs Expansion nicht unterstützen: "Mein
       Berater hat mir erst abgeraten und dann trotzig abgelehnt", sagt der
       31-Jährige. Wie Bress ist Horbach deshalb Genosse der Nordhand geworden,
       hat einen Genossenschaftsanteil von 50 Euro gezeichnet, zahlt 5 Euro
       Monatsbeitrag. Das Ergebnis: Ein von der Nordhand vermittelter
       GLS-Mikrokredit über 10.000 Euro sicherte seine Existenz. "In der Nordstadt
       haben die Gäste Fünfer in der Tasche, im Gerichtsviertel sehe ich oft die
       grünen Hunderter", lacht Horbach.
       
       Dabei ist die Nordhand kein Einzelfall: Die GLS arbeitet mit neun weiteren
       Mikrokreditorganisationen zusammen. Eine davon ist die Firma AN-Consult der
       Unternehmensberaterin Anke Nägele mit Sitz in Haan bei Wuppertal. "Neben
       der Finanzierung brauchen Existenzgründer vor allem Beratung und
       Betreuung", sagt Nägele. Schließlich hätten viele der potenziellen
       Selbstständigen noch nie einen Businessplan geschrieben, sich keine
       Gedanken zum Marketing gemacht, von Buchhaltung ganz zu schweigen. "Es gibt
       aber Fälle, wo auch wir eine Finanzierung ablehnen müssen", warnt die
       Gründungsberaterin. "Wenn jemand unbedingt die fünfte Pommesbude oder das
       zehnte Sonnenstudio aufmachen will, helfen wir natürlich nicht", sagt
       Nägele.
       
       Eine ihrer Kundinnen ist die Aachener Heilpraktikerin Tamara Kirschbaum.
       "Frau Nägele hat mit sehr geholfen", sagt die 32-Jährige. "Nicht nur bei
       der Buchhaltung." Auch im Streit mit dem Jobcenter habe die Beraterin sie
       unterstützt: Die Arbeitsverwaltung wollte ihre Selbstständigkeit nicht
       unterstützen. Sie sei Mutter von drei Kindern, hieß es, und könne deshalb
       gar nicht arbeiten. Mit einem von Nägele vermittelten Mikrokredit über
       3.500 Euro aber eröffnete Kirschbaum ihre Heilpraktikerpraxis im August
       2008 dann doch. "Mittlerweile arbeite ich bereits fast kostendeckend",
       freut sich Kirschbaum. "Meine Bank hat mir trotzdem ganz klar gesagt, dass
       ich als Hartz-IV-Empfängerin von denen keinen Cent bekomme."
       
       Von Banken und Sparkassen, die trotz guter Geschäftsidee keinen Kredit
       gewähren, erzählen auch die Kunden des baden-württembergischen
       Mikrofinanzierers Monex. Dessen Vorstand Ralf Stolarski hat die Gründung
       eines Sportstudios in Öhringen bei Heilbronn genauso finanziert wie den
       Bahnhofskiosk in Mannheim oder ein Kosmetikstudio in Ulm. "Ohne den
       Mikrokredit wäre ich wirtschaftlich tot", sagt Uwe Melzer aus Rottweil bei
       Stuttgart, der bei der Errichtung von Ökohäusern Architekten und Bauherren
       zusammenbringt. Ursprünglich sei er selbst Unternehmensberater gewesen,
       sagt der 58-Jährige. "Doch als meine Firma scheiterte, war ich als
       Geschäftsführer persönlich haftbar, mein Vermögen weg." Wegen der Insolvenz
       habe er noch mindestens drei Jahre einen negativen Schufa-Eintrag. "Nicht
       einmal ein Auto könnte ich ohne Mikrokredit mieten", sagt Melzer. "Mehr als
       froh" sei er deshalb über die zweite Chance, die Monex ihm bietet. "In
       meinem Alter bekomme ich doch in der Wirtschaft keinen Job mehr."
       
       GLS-Projektentwickler Zientz setzt deshalb weiter auf Expansion. Die
       Bundesministerien für Wirtschaft und für Arbeit, die staatliche
       Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und private Investoren haben den
       Mikrofinanzfonds Deutschland der Bochumer Bank mit aktuell 3,1 Millionen
       Euro gefüllt. Bisher hat Zientz 300 Kredite mit einem Gesamtvolumen von 2,1
       Millionen Euro zu einem Zinssatz von bis zu 10 Prozent ausgegeben. Auch die
       Ausfallquoten von derzeit 6 Prozent auf die Tilgung seien vertretbar.
       Deshalb denkt Zientz bereits an eine Neuauflage des Fonds: Bei einem
       mittleren Kreditzins von 6,5 Prozent seien für private Investoren künftig
       Renditen von 3 bis 4 Prozent realistisch. Potenzielle Kreditnehmer könnte
       die GLS in jedem Fall vorweisen: 400.000 Existenzgründungen zählte das
       Bonner Institut für Mittelstandsforschung allein 2008. Davon benötigen
       200.000 einen Kleinkredit von bis zu 25.000 Euro, wie ihn die GLS anbietet,
       schätzt die KfW. "Für uns wirds jetzt erst interessant", sagt Zientz.
       
       Interessiert ist auch die Konkurrenz: So bietet etwa die landeseigene
       NRW-Bank mit Sitz in Düsseldorf seit November 2008 ebenfalls Mikrokredite
       an - allerdings erst ab einem Volumen von 5.000 Euro und nicht wie bei den
       Bochumern bereits ab 1.000 Euro. Ansonsten kopiert die NRW-Bank das
       erfolgreiche Modell der GLS: Auch die Düsseldorfer verzichten auf eine
       eigene Prüfung des Unternehmenskonzepts. Statt der Mikrofinanzierer
       übernehmen das die Existenzgründungsberater der bei den Industrie- und
       Handelskammern oder den Handwerkskammern angesiedelten Starter-Center. "Wir
       sind zwar noch in der Pilotphase", sagt Caroline Fischer, Sprecherin der
       NRW-Bank. "Aber 40 Kredite haben wir bereits vergeben - und so 76
       Arbeitsplätze geschaffen."
       
       GLS-Mann Zientz blickt dagegen auch mit etwas Skepsis auf seinen Erfolg.
       Klar denke er darüber nach, wie viele seiner Kreditnehmer nur durch
       Selbstausbeutung überleben könnten, sagt er. Und ja, er habe von den
       Kiosken gehört, die praktisch rund um die Uhr geöffnet hätten, weil die
       Betreiber in Kammern hinter ihren Läden wohnen und schlafen, um bloß keine
       Kundschaft zu verpassen. "Deshalb", sagt er, "fordern wir als GLS auch das
       bedingungslose Grundeinkommen. Die Grundbedürfnisse wären abgesichert, und
       niemand müsste sich selbst ausbeuten."
       
       14 Apr 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommentar Mikrokredite: Kredit für ein eigenständiges Leben
       
       Die GLS-Bank hat bei Muhammad Yunus abgeguckt und vergibt jetzt
       Mikrokredite - praktische Entwicklungshilfe für eine menschenwürdige
       Existenz mitten im sparwütigen Industriestaat.