# taz.de -- Neues Album von Afrobeat-Star Tony Allen: Die kühlen Energien
       
       > Tony Allen ist einer der großen afrikanischen Musiker. Der Schlagzeuger
       > spielte mit Fela Kuti. Nun hat er mit seiner fast zwanzigköpfigen Combo
       > ein Album aufgenommen, das das Leben feiert.
       
 (IMG) Bild: Noch sind die Becken unbeweglich.....bis Tony Allen kommt.
       
       Der nigerianische Schlagzeuger Tony Allen sitzt in einem abgeschrammten
       Hotelzimmer im Berliner Wedding, zieht an einem Spliff und erinnert sich an
       einen Tag in Berlin vor bald 31 Jahren. Dann verfinstert sich die Miene des
       kleinen und drahtigen Musikers, der jünger aussieht, als seine 69 Jahre
       vermuten lassen könnten. Im Herbst 1978, anlässlich der Berliner Jazztage,
       spielte Allen hier seinen letzten Gig in der Band des großen Saxofonisten
       Fela Anikulapo Kuti.
       
       Nach 14 Jahren als Schlagzeuger von Kutis Band Afrika 70 hatte er genug von
       dem Chaos, den ständigen Auseinandersetzungen mit der nigerianischen
       Staatsmacht, aber auch genug von den andauernden Auseinandersetzungen um
       Tantiemen und angemessene Entlohnung. Also verkündete Allen seinen
       Ausstieg. Danach sei das Wort "Sabotage" gefallen, sagt er und schüttelt
       den Kopf. "Sabotage führe ich gar nicht in meinem Wortschatz, ich musste
       einfach eigene Wege gehen. Das war eine Entscheidung, die mir
       schwergefallen ist." Und dann lacht Tony Allen ein meckerndes, leicht
       diabolisches Spliff-Lachen.
       
       Fela Kuti, Bandleader und Clubbesitzer in Lagos, ist in den Siebzigern auch
       Symbolfigur des Widerstands gegen die Korruption in seinem Land. Immer
       wieder wird er von Armee und Geheimpolizei Nigerias festgenommen und
       misshandelt. Auch Angehörige und Mitmusiker müssen um Leib und Leben
       fürchten, da Fela auf seinen Alben und Konzerten das Wort gegen die
       Machthaber erhebt und das Leben eines Rebellen führt. Als er mitsamt seiner
       Band 1979 schließlich nach Ghana ausgewiesen wird, steht Felas
       künstlerisches Erbe längst auf dem Spiel.
       
       Tony Allens Trennung von Afrika 70 verläuft schleichend. Für sein Solodebüt
       "Jealousy", das 1976 aufgenommen wurde, ist Fela noch als ausführender
       Produzent und Solist verzeichnet. Der Albumtitel spielt auf Allens
       Sonderstellung bei Afrika 70 an, wo er als einziger Musiker neben Fela
       komponieren darf, nicht nur zum Gefallen des Chefs. Allens Nachfolgealbum
       "No Accomodation for Lagos" (1978) nennt ihn selbst bereits als Produzenten
       und Arrangeur. Die Musik entsteht unter dem Eindruck einer brutalen
       Umsiedlungsaktion. Wohnviertel von Lagos waren auf Land gebaut, unter dem
       Öl vermutet wurde, die Bewohner hatte man deswegen zu Obdachlosen gemacht,
       die nun unter einer Stadtautobahnbrücke campieren mussten. "Wer Menschen
       umsiedelt, muss ihnen zumindest Ersatzwohnraum zur Verfügung stellen. Weil
       das nicht geschah, haben wir protestiert."
       
       Der Titelgebende Song, ein 17-minütiger Galopp durch Groove-Parallelwelten
       und manische Call-and-Response-Spiele gehört sicher zu den längsten
       Protestsongs, die je aufgenommen wurden. Auf alle Fälle ist er der
       getriebenste. Es geht hier nicht um Gewissensberuhigung. Aus "No
       Accomodation for Lagos" spricht die nackte Angst, düster und blechern
       klingt der unbehauste nigerianische Funk.
       
       Die Musik hat alle Signaturen von Tony Allens Schlagzeugstil. Er spielt
       elliptisch, taucht unter den Riffs des Fender-Rhodes-Pianos hindurch,
       betont ab und an Saxofonmelodien und Gesangslinien, ungerade Doppelschläge
       auf Bass- und Snaredrum setzend, immer wieder über alle Trommeln wirbelnd
       und so eine Energie erzeugend, die leise vor sich hin brodelt, aber über
       Minuten die Spannung am Kochen hält. Als würden vier Tony Allen
       gleichzeitig spielen und nicht nur einer. "Cool Energy" nennt der
       Schlagzeuger diese Methode. "Man kann Energie nicht sehen, aber wenn man
       mir beim Spielen zusieht, kann man bemerken, wie ich mein Schlagzeug nach
       und nach mit Energie füttere."
       
       Bevor diese Spielweise zum Markenzeichen wird, ist sie Überlebensstrategie,
       um die mehrstündigen Konzerte mit Fela durchzustehen. "Ich verändere meine
       Patterns während des Spiels. Trommeln heißt für mich fusionieren. Ob
       Marschmusik oder Jazz, alles fließt bei mir direkt in die Musik ein. Ich
       wurde schließlich in die Tradition der großen alten Trommeln der Yoruba
       hineingeboren. Wenn ich heute etwas mit dem Schlagzeug ausdrücken will,
       dann muss ich mich nur an die rhythmische Vielfalt erinnern, mit der ich
       aufgewachsen bin. Ich spiele nie zweimal das gleiche Pattern, weil es so
       viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt." Als Vorbilder nennt Allen
       afroamerikanische Jazzdrummer: Max Roach, Art Blakey, Elvin Jones. Musiker,
       die genau wie Tony Allen in der Lage waren, eigene Combos zu leiten.
       
       In den frühen Sechzigerjahren beginnt Tony Allen in den Clubs von Lagos in
       Bands zu spielen. "In Nigeria galt der Beruf des Musikers damals als
       schäbig. Mein Vater mochte zwar Musik, aber er wollte nicht, dass ich eine
       Karriere aus meiner Leidenschaft mache. Mit Musik habe ich gegen mein
       Elternhaus rebelliert. Aber ich war im Zugzwang. Ich hatte etwas zu
       beweisen und brauchte Geduld." Der Einstieg in die Musik gelingt Allen über
       den Umweg Radio. Vier Jahre arbeitet er beim staatlichen Rundfunk als
       Techniker, dort trifft er 1963 auch auf Fela, der eine Jazzsendung als DJ
       gestaltet. Der Traum von der Jazzband erfüllt sich nicht sofort,
       stattdessen spielt Allen in Coverbands und klappert mit Fela die Nachtclubs
       in Lagos ab, bis sie 1965 unter dem Namen Koola Lobitos eigene Musik
       komponieren. Afrobeat aber wird ihre Musik erst nach einer US-Tour 1969.
       Dort triggerten die Ideen von Blackpower und Funk etwas an, was jenseits
       von nigerianischer Popmusik steht. Seltsamerweise rücken dann auch die
       Jazzeinflüsse in den Hintergrund. Statt des Solos steht auch heute noch bei
       Allen der Bandklang im Vordergrund, der Sound des Kollektivs gilt mehr als
       der Beitrag des Einzelnen.
       
       Auch auf seinem neuen Album, "Secret Agent", spielt Allen mit seinen gut 20
       Mitmusikern die ganze Pracht des Kollektivklangs aus. Die elf Songs,
       aufgenommen in Lagos, London und Paris mit nigerianischen und französischen
       Musikern, fassen den Komplex Afrobeat in dichte, teils zügige Arrangements.
       Als erstes fällt der gegenintuitive Albumtitel auf. "Für mich ist der
       Geheimagent teilweise positiv kodiert", wieder lacht Tony Allen meckernd.
       "Das ist nur eine Warnung, die Leute sollen auf der Hut sein vor dem besten
       Freund, der auch zum schlimmsten Feind werden kann, wenn er dir in den
       Rücken fällt." Ob er denn selbst Geheimagenten kenne? "Sie sind immer unter
       uns", orakelt Allen, "wir wissen nur nicht, wo." Hmm. "Music is okay",
       schiebt er hinterher, lacht meckernd.
       
       Allens Schilderungen klingen emotionslos. Dabei geschieht seine Flucht aus
       Lagos in den frühen Achtzigern unter teilweise abenteuerlichen Umständen.
       In London angekommen, lebt er eine Zeit lang als Illegaler, bis er 1984
       endlich vom französischen Label Barclay einen Plattenvertrag erhält, seine
       Familie nachholen und an die afrikanische Community in Paris andocken kann.
       Der zentrale Song auf "Secret Agent" hat eine positive Message: "Celebrate"
       hat gloriose Bläsersätze, ein federleichtes Pianobett, wieder die
       Call-and-Response-Gesangslinien, die von Allens Schlagzeugbeats levitiert
       werden. "Wenn du schläfst, kommst du dem Tod schon nahe. Also ist jeder
       neue Tag eine Feier der Gegenwart. Wir wissen nicht, wie es in der Zukunft
       aussieht, also feiert ,Celebrate' das Lebendige. Sei dankbar, dass du am
       Leben bist, das ist die Botschaft meiner Musik."
       
       14 Jul 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
 (DIR) Julian Weber
       
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 (DIR) Jazz
       
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