# taz.de -- Machtinstrument E-Petition: Die Online-Opposition
       
       > E-Petitionen bringen frisches Blut für die Demokratie. Mit wenig Aufwand
       > kommen neue Themen auf die politische Agenda.
       
 (IMG) Bild: Hat die bisher größte Online-Petition initiiert: Franziska Heine.
       
       Anfangs wurden die Onlinepetitionen belächelt. Wer interessiert sich schon
       für Petitionen? Doch dann hatten einige Eingaben einen fast schon
       sensationellen Erfolg. Und plötzlich wird das neue Instrument ernst
       genommen - als Werkzeug für Politik von unten.
       
       Den Anfang machte Susanne Wiest, eine Tagesmutter aus Greifswald. Im
       Februar hauchte sie der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen
       neues Leben ein. Aus dem Stand fand sie 53.000 Mitstreiter - ein
       Achtungserfolg. Dann kam Franziska Heine. Die 27-jährige Webdesignerin
       mobilisierte 134.000 Leute, die ihre Petition gegen Internetsperren
       unterzeichneten. Es war die bisher größte Onlinepetition aller Zeiten. Aber
       nicht nur junge Netizens nutzen das Instrument. Ohne Bewegung im Rücken
       machte die 60-jährige Monika Bestle, die in Sonthofen eine Kleinkunstbühne
       betreibt, ihren Ärger über die Gema, eine Musikverwertungsgesellschaft, zum
       politischen Thema. 106.500 Menschen unterstützten ihre Onlinepetition.
       
       Es geht nicht um ausufernde Manifeste: 1.000 Zeichen für die Forderung,
       3.000 Zeichen für die Begründung, länger darf eine Onlinepetition gar nicht
       sein. Steht sie erst einmal auf dem Server des Bundestags, beginnt die
       Mobilisierung. Alle Freunde bekommen eine Mail mit der Bitte, zu
       unterzeichnen. Es ist ja auch ganz einfach. Man muss nur die richtige
       Petition suchen und bei "Petition mitzeichnen" klicken. Schon ist man Teil
       der Bewegung. Nur beim ersten Mal muss man sich noch mit Name, Anschrift
       und E-Mail-Adresse registrieren. Wenn die Petitionen den Nerv der Freunde
       trifft, machen diese auch ihre Freunde auf sie aufmerksam. Und schon läuft
       eine E-Mail-Lawine durch das Land. Haben erst einmal 10.000 Leute die
       Petition unterzeichnet, gibt es auch Medienberichte, die neue Kreise
       aufmerksam machen. Die Petition wird zum Selbstläufer. Ohne lästiges
       Unterschriftensammeln auf der Straße, ohne Stände auf dem Marktplatz. Ein
       schnelles Instrument für eine schnelllebige Zeit.
       
       Anreiz ist die Marke 50.000. Wer binnen drei Wochen so viele Mitzeichner
       gefunden hat, wird persönlich vom Petitionsausschuss des Bundestags
       eingeladen. 50.000, das klingt ehrgeizig, aber gerade noch machbar. Eine
       psychologisch gute Marke. Dass das auf dem Server des Bundestags
       stattfindet, gibt dem Ganzen noch einen offiziösen Anstrich.
       
       Für die Medien sind erfolgreiche Petitionen ein dankbares Thema, denn die
       Zahlen gehen nur in die Höhe - anders als bei Demonstrationen, die jedes
       Mal bei null anfangen. 50.000 Mitzeichner, 75.000, 100.000, jede neue Marke
       ein neuer Bericht. Und nach sechs Wochen ist Schluss. Doch davor gibt es
       einen Endspurt, die Teilnahme zieht am Ende noch einmal massiv an und die
       Berichterstattung auch.
       
       Eigentlich sind Petitionen ein alter Hut. Es gibt sie schon seit der
       Antike. Aber es sind bloße Bitten, früher an den Kaiser, heute ans
       Parlament. Neue soziale Bewegungen wie die Umwelt-, Friedens- und
       Frauenbewegung gingen auf die Straße, besetzten Bauplätze, marschierten
       durch die Institutionen.
       
       Auch heute geht es nicht wirklich darum, dem Bundestag eine Bitte vortragen
       zu dürfen. Was soll schon ein halbstündiges Gespräch mit dem
       Petitionsausschuss bewirken, das erst Monate später folgt, wenn auch die
       Regierung Stellung genommen hat? Die Petition ist vor allem Mittel zum
       Zweck - ein Vehikel, um eine Forderung schnell und effizient publik zu
       machen.
       
       Bisher werden Onlinepetitionen vor allem von Einzelpersonen lanciert, nicht
       zuletzt von couragierten Frauen. Der Erfolg des neuen Instruments dürfte
       aber bald Verbände, Lobbyisten und Parteien anlocken. Auch sie dürfen das
       Instrument nutzen. Dann wird es wohl bald Millionen-Petitionen geben. Davon
       können Graswurzelinitiativen profitieren: Wenn erst einmal Millionen
       Deutsche beim Bundestagsserver registriert sind, wird die Mobilisierung
       leichter. Derzeit sind erst rund 470.000 Deutsche im Server vermerkt.
       
       Für "Netzpolitik"-Blogger Markus Beckedahl haben Onlinepetitionen ihren
       Nutzen bewiesen. "Wenn man schnell genug die kritische Masse
       zusammenbekommt, kann dies das politische Klima verändern." Die Petition
       gegen Internetsperren sei ein gutes Beispiel: "Als innerhalb von nur 4
       Tagen mehr als 50.000 Personen unterzeichnet hatten, kippte die Stimmung.
       Plötzlich kam die Kritik auch breiter in den Medien vor."
       
       Bewegungsforscher Dieter Rucht von der FU Berlin ist dagegen eher
       skeptisch. "Der mediale Erfolg der Onlinepetitionen hängt auch mit dem
       Neuigkeitswert zusammen", sagt der Soziologe. "Wenn ich erst mal jeden Tag
       zehn Werbemails für Petitionen in meinem Postfach habe, werde ich wohl
       zunehmend unlustig reagieren."
       
       Entwertet würden die Onlinepetitionen natürlich auch, wenn auf Bundesebene
       endlich Volksbegehren und Volksentscheide eingeführt würden. Wer würde sich
       noch mit Petitionen abgeben, wenn er auch ganz handfest ein Plebiszit
       einleiten kann? Eingeführt wurden die Onlinepetitionen 2005, am Ende der
       rot-grünen Regierungszeit. Zunächst gab es nur einen Probelauf mit Software
       vom schottischen Parlament, die leicht manipuliert werden konnte. Seit
       Oktober 2008 läuft das endgültige System. Derzeit liegen auf dem
       Bundestags-Server 75 "öffentliche Petitionen". Spitzenreiter ist mit über
       70.000 Unterstützern eine Eingabe, die sich gegen das von der
       Innenministerkonferenz geplante Verbot von "Action-Computerspielen" wendet.
       Eine eher defensive Eingabe, die bisher aber erfolgreich war. Die
       Verbotsforderung der Landesminister wurde vom Bundestag nicht aufgegriffen.
       
       Auf dem Server kann nicht nur unterzeichnet, sondern auch diskutiert
       werden. So befassen sich allein 3.500 Meinungsbeiträge mit den
       Killerspielen. Die Seite ist also nebenbei auch eines der größten
       Politikforen Deutschlands. Kaum zu glauben, dass das ganze System ohne
       zusätzliches Personal läuft. Die rund 80 Mitarbeiter der
       Bundestagsverwaltung, die sich schon bisher um Petitionen kümmerten, prüfen
       die eingehenden Vorschläge und sortieren vor allem private sowie bereits
       behandelte Themen aus. Sie moderieren die Diskussionsforen und befriedigen
       das Medieninteresse.
       
       Der Bundestag hat eine eigentümliche Rolle in diesem Spiel. Zwar stellt er
       das weltweit modernste elektronische Petitionssystem zur Verfügung,
       zugleich wissen die Abgeordneten aber auch, dass erfolgreiche Petenten vor
       allem auf die Wirkung in den Medien abzielen. Doch der Bundestag spielt
       gerne mit. Denn es wertet das Parlament ja auch irgendwie auf, dass der
       neue elektronische Marktplatz gerade auf seiner Website steht.
       
       8 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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       Verbindung mit der realen Welt.
       
 (DIR) Kommentar zu Meinungsbildung: Onlinepetitionen sind ernst zu nehmen
       
       Alte Protest-Instrumente wie Demos und neue wie die Onlinepetitionen
       ergänzen sich gegenseitig. Das eine liefert schöne Bilder, das andere große
       Zahlen.