# taz.de -- Piratenpartei und "Junge Freiheit": Die Untiefen der Freiheit
       
       > Das Interview mit der "Jungen Freiheit" entlarvt die Piraten: Freiheit
       > allein ist kein Parteiprogramm. Die Piratenpartei muss schleunigst ihren
       > Freiheitsbegriff klären – und zwar ernsthaft.
       
 (IMG) Bild: Fahne rechts oder links - die Piratenpartei hat ihren Freiheitsbegriff zu klären.
       
       Seit einigen Tagen schlägt ein Interview hohe Wellen, das der
       stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei Andreas Popp der rechten
       Wochenzeitschrift "Junge Freiheit" gegeben hat. Wenn es sich dabei bloß um
       einen Ausrutscher handeln würde, könnte man von den Geburtswehen einer noch
       jungen, aber hoffnungsvollen Partei sprechen.
       
       Tatsächlich aber ist, mehr noch als das Interview selbst, die Art, wie der
       Interviewte sich dafür entschuldigte, symptomatisch für den nach wie vor
       höchst unpolitischen Charakter der neuen Partei. "Mir war die Zeitung
       überhaupt nicht bekannt, also dachte ich mir nichts dabei", lautete Popps
       denkbar schlichtes Eingeständnis. Dabei handelt es sich bei der "JF" nicht
       um ein neues Blatt, sondern um eine Zeitschrift, die seit nun schon über 20
       Jahren ihr rechtslastiges Unwesen im Sinne ihres Vordenkers Carl Schmitt,
       des "Kronjuristen des Dritten Reichs" (Bernd Rüthers), treibt.
       
       Deutlicher als mit der Unkenntnis ihres Vize-Chefs hätte die erstaunlich
       unpolitische Arg- und Sorglosigkeit wohl nicht auf den Punkt gebracht
       werden können, die erhebliche Teile der Piratenpartei bis heute
       auszeichnet. Insofern war es wohl auch mehr als ein Zufall, dass das
       Interview der "Jungen Freiheit" gegeben wurde. "Die wollen die Freiheit,
       das wollen wir, die Piraten, auch, und jung sind wir obendrein. Was also
       sollte dabei schon schiefgehen?", mag sich der Interviewte gedacht haben.
       Schließlich lautete der zentrale Slogan, hinter dem sich unlängst 25 000
       Piraten-Demonstranten versammelten, kurz und knapp: "Freiheit statt Angst".
       
       Also alles Freiheit – oder was? Hier aber liegt das eigentliche Problem.
       Hier nämlich zeigt sich, dass das Freiheitslabel keineswegs hinreichend
       ist, um die für eine Partei erforderliche inhaltliche Übereinstimmung zu
       stiften. Denn offensichtlich verbirgt sich hinter dem Flaggschiff der
       Freiheit höchst Unterschiedliches.
       
       Richtig ist, dass sich das Freiheitsverständnis der Piraten bisher in
       erster Linie auf die Freiheit im world wide web bezieht. Diese Schöne Neue
       Welt ist eine gewaltige Projektionsfläche für ein enormes Unbehagen an der
       realen alten und immer stärker "verwalteten Welt" (Max Weber). Insofern ist
       es kein Wunder, dass vor allem ein freies Internet im Fokus der
       Freiheitsbedürfnisse der Piraten ist.
       
       Wie problematisch dieses unhinterfragte Freiheitsverständnis sein kann,
       zeigte jedoch bereits die völlig unkritische Aufnahme des früheren
       SPD-Abgeordneten Jörg Tauss, der allein seiner Prominenz wegen jubelnd
       begrüßt wurde – ungeachtet der bis heute nicht ausgeräumten Vorwürfe gegen
       ihn. Hier bereits zeigte sich, dass es der Piratenpartei an Gespür dafür
       fehlt, dass sich hinter dem Freiheitspostulat sehr unterschiedliche
       Positionen verbergen, die Lichtjahre voneinander entfernt sind.
       
       Noch weit problematischer wird dies jedoch in der realen Welt, die stets
       neben – und vor – der virtuellen Welt existiert. Jede virtuelle Welt hat
       eine reale Basis; und kaum eine Freiheit kommt ohne materielle Basis aus.
       Auch deshalb ist mit dem großen Liberalen Isaiah Berlin stets zu
       unterscheiden zwischen negativer Freiheit (von etwas, etwa dem Staat) und
       positiver Freiheit (zu etwas, etwa zur Betätigung der freien Meinung). Für
       Letzteres müssen aber in der Regel erst die die politischen und materiellen
       Voraussetzungen geschaffen werden. Hierfür reicht es nicht aus, gegen den
       "Überwachungsstaat" zu demonstrieren.
       
       Schon aus diesem Grund wird die neue Partei nicht umhin kommen, ihren
       Freiheitsbegriff zu klären. Mit dem bloßen Postulat nach "mehr Freiheit"
       ist es in der politischen Auseinandersetzung nicht getan. Letztlich geht es
       darum, zu definieren, in welchem Verhältnis die drei großen Werte der
       Moderne "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" (bzw. Solidarität) für die
       Piratenpartei zueinander stehen. Daran wird sich klären müssen, ob eine
       Partei in Zukunft eher rechts- oder linksliberal ist. Alles andere ist
       letztlich unpolitisch und eine Illusion.
       
       "Was bedeutet ‚links’ in der heutigen Politik? Dass die Piraten liberal
       sind, steht außer Frage. Allerdings ist die Aufteilung in linke und rechte
       Lager, in meinen Augen, Schnee von gestern." Diese heute für die
       Piratenpartei typische Position eines Bloggers geht völlig an der Sache
       vorbei und ist Ausdruck der beschriebenen unpolitischen Haltung.
       
       Denn auch CDU und Linkspartei würden stets für sich reklamieren, liberal,
       also freiheitlich zu sein – und die FDP als "Freiheitlich Demokratische
       Partei" sowieso, wie auch die österreichischen Freiheitlichen um
       Heinz-Christian Strache, den Nachfolger Jörg Haiders. Und doch bestehen
       offensichtlich bis heute gewaltige Unterschiede. In Zukunft wird die
       Piratenpartei also klären müssen, um welche Form des Liberalismus es sich
       bei ihr handeln soll.
       
       Tut sie dies nicht, kann sie sich über das Ergebnis nicht wundern. Denn bei
       einem derart unhinterfragten, undifferenzierten Freiheitsbegriff wie bisher
       können sich alle möglichen Gruppen auf die neu gegründete Partei berufen.
       Hier zeigt sich das eigentliche Problem der Partei – und ihrer Erfolge:
       Bisher firmiert sie als ein großes Sammelbecken vermeintlich "Liberaler" –
       von den rechten "Freiheitlichen" der Jungen Freiheit, die ihre Freiheit vor
       allem von einer angeblich linken Deutungselite bedroht sehen – wobei man
       sich fragt, wo diese in den letzten beiden, neoliberal dominierten
       Jahrzehnten gewesen sein soll – bis zu jenen Radikalliberalen, die gegen
       jeglichen sozialstaatlichen Etatismus kämpfen.
       
       Die Radikalsten unter ihnen um André F. Lichtschlag und seine Zeitschrift
       "eigentümlich frei" fordern bereits, sogenannten "Nettostaatsprofiteuren"
       das Wahlrecht zu entziehen. Denn: "Beamte, Politiker, Arbeitslose und
       Rentner stimmen mit ihren Mehrheiten jeden noch produktiven Menschen nieder
       und beuten ihn weiter und immer mehr aus." Deshalb fordert Lichtschlag den
       Wahlrechtsentzug für die "Unproduktiven": "Wählen dürfen demnach in Zukunft
       nur noch die Nettosteuerzahler, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der
       privaten Wirtschaft".
       
       Damit argumentiert Lichtschlag ganz im Geiste von
       Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek, des Gurus der
       Wirtschaftsliberalen, der in seiner "Verfassung der Freiheit" gefordert
       hatte: "Es kann vernünftigerweise argumentiert werden, dass den Idealen der
       Demokratie besser gedient wäre, wenn alle Staatsangestellten oder alle
       Empfänger von öffentlichen Unterstützungen vom Wahlrecht ausgeschlossen
       wären." Letztlich ist die Devise klar: "Weniger Demokratie wagen", sprich:
       vom Verhältniswahlrecht zurück zum Zensus- oder Klassenwahlrecht.
       
       Hier zeigt sich, was mit einem undifferenzierten Freiheitsgedanken alles
       angestellt werden kann. Der völlige Einklang von "Junger Freiheit" und
       "eigentümlich frei" in ihrem Kampf gegen die angebliche Dominanz der
       political correctness (Lichtschlag: "Und aus ist es mit dem möglichen
       Wahlerfolg der Piratenpartei. Nicht aufgrund des Interviews, sondern wegen
       solch formvollendeter Selbstenthauptung vor dem Altar der Politischen
       Korrektheit."), diese Übereinstimmung zeigt auch, wie glänzend sich
       rechtsradikale und neoliberale Strömungen vertragen – nämlich in ihrem
       "freiheitlichen Kampf" gegen einen linksliberalen Sozialstaat. Beide können
       sich dabei auf Carl Schmitt berufen. Dieser war entschiedener Apologet
       eines zwar autoritär-machtvollen, aber stets schlanken Staates, der sich
       aus der Wirtschaft heraus halten sollte. Sprich: Für seine
       ökonomisch-soziale Absicherung soll der Einzelne schon selber sorgen.
       
       Angesichts dieser Untiefen des Freiheitsbegriffs ist klar, vor welcher
       Herausforderung die Piratenpartei heute steht. Die Gretchenfrage lautet
       nicht schlicht: Wie hältst Du‘s mit der Freiheit?, sondern komplexer: Was
       verbirgt sich konkret hinter Deinem Freiheitbegriff? Was ist damit gemeint?
       Eine inklusive Freiheit für alle Bürger, zu deren Gunsten Staat und Politik
       Handlungschancen und -möglichkeiten schaffen. Oder eine exklusive Freiheit,
       in der sich Staat und Politik aus allem heraushalten, getreu der zynischen
       Devise: Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt.
       
       Wird diese Debatte um das konkrete Freiheitsverständnis der neuen Partei
       jedoch nicht ernsthaft geführt, wird man sich nicht darüber wundern können,
       wenn sich auch in Zukunft hinter dem Piraten-Label alle möglichen
       zwielichtigen "Freiheitlichen" versammeln werden.
       
       18 Sep 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Albrecht von Lucke
       
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