# taz.de -- Interview zum Holocaust im Film: "Filme vereinfachen, das macht nichts"
       
       > Von "Inglourious Bastards" bis "Shoah": In Berlin beginnt ein Symposium
       > über die filmische Erinnerung an den Holocaust. Ein Gespräch mit der
       > Kulturwissenschaftlerin Asal Dardan.
       
 (IMG) Bild: "Mich erstaunte, dass niemand sagte: 'So darf man das nicht machen.'"
       
       taz: Frau Dardan, als im Sommer "Inglourious Basterds" in die Kinos kam,
       hatte ich den Eindruck, dass sich die Diskussion darüber, wie das Kino mit
       dem Nationalsozialismus und der Verfolgung und Ermordung der Juden umgeht,
       stark verändert hat. Wie sehen Sie das? 
       
       Asal Dardan: Mich erstaunte an "Inglourious Basterds", dass niemand sagte:
       "So darf man das nicht machen." Das geht auf "Schindlers Liste" zurück,
       weil die Kritiker damals zum ersten Mal sagten: "Da wurde ein Film gemacht,
       den man versteht, der den Holocaust richtig repräsentiert und authentisch
       ist." Was bei der Fernsehserie "Holocaust" noch ein Riesentabu war -
       nämlich die Popularisierung des Holocaust -, war mit "Schindlers Liste"
       plötzlich kein großes Problem mehr. Ich finde das auch gar nicht so
       schlecht. Man muss ja nicht immer wieder sagen: "Nein, so darf man das
       nicht machen!" Diese Filme werden seit über 60 Jahren gedreht. Immer wieder
       darüber zu reden, dass man das nicht darf, hat wenig Sinn.
       
       In Deutschland gab es wenige skeptische Stimmen, in den USA sehr wohl,
       jüdische Filmkritiker wie Jonathan Rosenbaum oder Daniel Mendelsohn warfen
       Tarantino vor, er schreibe die Geschichte auf obszöne Weise um. 
       
       "Inglourious Basterds" nutzt den Holocaust eher wie ein Zitat, als
       sinnfällige Kulisse für eine Actionstory. Ich habe die amerikanische Kritik
       nicht wahrgenommen, vermute aber, dass die Kritik insgesamt nie abreißen
       wird. Der Diskurs ist - viel mehr als der Film - die Erinnerungsleistung,
       und es wäre schrecklich, wenn sich irgendwann niemand mehr über die
       Profanisierung des Holocaust erzürnt. Der Holocaust ist für den Westen ein
       Superzeichen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Imperative "Das
       darf nie mehr passieren" und "Wir müssen uns erinnern" dasjenige, was den
       Westen verbindet. Ganz selten wird die Frage gestellt: Woran erinnern wir
       uns eigentlich genau?
       
       In "Inglourious Basterds" wird die Tradition der Nazi-Exploitation-Filme
       zitiert; in italienischen Filmproduktionen zum Beispiel reichte das ja bis
       ins Pornografische. Gibt es ein Bedürfnis nach solchen extremen Fiktionen? 
       
       Ja, in jedem Fall. Sogar in Israel wurden in den 60er-Jahren diese
       Stalag-Heftchen veröffentlicht.
       
       Was genau ist das? 
       
       Israelische Autoren schrieben unter einem amerikanisch oder britisch
       klingenden Pseudonym Groschenromane. Auf dem Cover war eine SS-Frau, die
       einen Mann unterjocht, in Farbe, und das Muster der Geschichten war immer
       dasselbe: Ein alliierter Soldat wird von SS-Frauen gefangen genommen,
       vergewaltigt und gefoltert. Am Ende unterwirft und vergewaltigt er seine
       Peinigerinnen. Ich finde interessant, dass es diese Fantasie gibt - eine
       deutsche Frau zu vergewaltigen als Racheakt. Ruth Klüger hat gesagt, dass
       der Holocaust alles durchdringt, dass es sich um ein starkes
       Menschheitsthema handelt. Warum sollte es da nicht in allen Genres
       stattfinden? Das hat es ja von Anfang an getan, mit Komödien, mit Charlie
       Chaplin, und als in den 70ern eine Popularisierung des Holocaust einsetzte,
       wurden eben auch Pornos und Softpornos gedreht. Wir wollten in unserer
       Filmreihe einen zeigen, "The Night Porter" von Liliana Cavani. Doch die
       Rechte waren so horrend teuer, dass wir das leider nicht machen konnten.
       
       Über die Art und Weise, wie zum Beispiel ein Konzentrationslager
       dargestellt werden kann, wurde immer wieder erbittert gestritten, ich denke
       nur an die Diskussion um den Film "Kapò" von Gillo Pontecorvo aus dem Jahr
       1959. Der französische Filmemacher Jacques Rivette schrieb damals über ein
       Travelling, es verdiene tiefste Verachtung. Die Kamera nähert sich einer
       Frau, die sich tötete, indem sie in den Elektrozaun lief. So heftig wie
       damals wird heute nirgendwo mehr gestritten, heute wird einfach gedreht. 
       
       Vielleicht ist es so, wie Susan Sontag sagt: Je mehr Bilder man sieht, umso
       mehr stumpft man ab. Und vielleicht ist die zeitliche Entfernung ein Grund
       dafür, dass wir damit besser leben können. Vieles hat sich mittlerweile in
       einer symbolischen Erinnerungskultur verfestigt. Ich fand die Dispute von
       damals angenehmer.
       
       Mich wundert zum Beispiel, dass ein Film wie "Der Junge im gestreiften
       Pyjama", der nicht davor zurückscheut, die Kamera in einer Gaskammer
       aufzustellen, nicht so scharf attackiert wird wie einst "Kapò". Im
       Gegenteil, er eröffnete im Frühsommer das Jüdische Filmfestival in Berlin. 
       
       Die neueren Filme erzählen gerne die Geschichte, dass wir alle potenzielle
       Opfer sind. Wir identifizieren uns mit den Opfern. Ein Film aus den 60ern
       bedeutet mir viel, "The Pawnbroker" von Sidney Lumet. Dem wurde
       vorgeworfen, er habe antisemitische Anteile, weil die Hauptfigur so
       unsympathisch und dann auch noch ein Pfandleiher ist, was ja heikel ist
       wegen des Klischees. Ich kann diese Kritik nicht ganz verstehen, umso
       weniger, wenn die Leute heute mit "Der Junge im gestreiften Pyjama" leben
       können.
       
       Wenn wir heute dazu neigen, uns lieber nur diffus zu erinnern, dann gibt es
       ja ein Gegenmittel, den Dokumentarfilm "Shoah" von Claude Lanzmann. Der
       erklärt ja enorm viel von dem, von dem man so leichtfertig sagt, es lasse
       sich nicht erklären. 
       
       Manchmal fühle ich mich unwohl mit "Shoah", weil die Überlebenden Lanzmann
       nicht sehr interessieren. Aber der Film ist natürlich eine immense
       Leistung. Er fasst etwas, wovon viel zu oft gesagt wird, es sei nicht zu
       verstehen, es sei das absolut Böse.
       
       Nun war nicht "Shoah" der Film, der die Deutschen Empathie für die Opfer
       des Holocaust lehrte, sondern die Fernsehserie "Holocaust". Gibt es da
       nicht ein Missverhältnis? Die durchdachte, ihre Mittel reflektierende
       Dokumentation wird wenig wahrgenommen, das zugängliche, sentimentale,
       kitschige Format findet ein Massenpublikum. 
       
       Für Israel zum Beispiel stimmt das gar nicht. Da gibt es den Trend, dass
       Enkel die Handkamera auf ihre Großeltern halten und sich damit in die
       Tradition von Lanzmann stellen. Und "Schindlers Liste" greift Dinge auf,
       die in "Shoah" vorkommen. Wenn etwa eine der Figuren bei Spielberg aus dem
       Zug heraus sieht, wie jemand an den Bahngleisen die Geste des
       Kehledurchschneidens macht, dann ist das ja ein Zitat aus "Shoah",
       Lanzmanns Gesprächspartner berichten davon. "Shoah" war für viele andere
       Filmemacher unglaublich wichtig, für viele hat er den Zugang überhaupt erst
       möglich gemacht. Was seit den 80er-, 90er-Jahren viel gemacht wird, sind
       Filme, die sich auf tatsächliche Begebenheiten und Biografien beziehen, so
       als würden die Filmemacher sich gar nicht mehr trauen, sich selbst etwas
       auszudenken.
       
       Das heißt auch, dass in erster Linie die Geschichten von Überlebenden
       verfilmt werden, während es Lanzmann darum geht, die Vernichtung zu
       dokumentieren. 
       
       Darum heißen die Filmreihe und das Symposium auch: "Welchen der Steine du
       hebst". Das stammt aus einem Gedicht von Paul Celan; für uns weist es auf
       die Leerstelle hin. Claudia Bruns sagte bei der Eröffnung der Filmreihe,
       dass die Steine etwas verdecken. Man hebt sie auf, darunter ist das
       Verkrustete, die Erde. Die Geschichten, die wir eigentlich erzählen müssen,
       können nicht erzählt werden, weil die Protagonisten gestorben sind. Filme
       wie Harun Farockis "Aufschub" oder Thomas Braschs "Der Passagier" deuten
       das zumindest an: Hier ist etwas, darüber können wir nicht reden, weil wir
       es nicht wissen. Von den Filmen, die eine klassische Narration wählen, wird
       das verdeckt. Selbst in Resnais "Nacht und Nebel" gibt es ein Problem: Wenn
       diese Berge von Toten gezeigt werden, dann nehmen wir die Ermordeten als
       Masse wahr. Das ist überwältigend, keine Frage, aber zugleich ist das Bild,
       das wir von den Opfern haben, geprägt von dem, was die Täter aus ihnen
       gemacht haben.
       
       Das ist ein heikler Punkt in vielen Filmen. Gerade die Aufnahmen von
       ausgezehrten, abgemagerten, krank aussehenden Menschen, ob in einem Ghetto
       oder einem Konzentrationslager, erfüllten in der Bildpolitik der Nazis ja
       eine Funktion. Sie sollten die rassistische Ideologie untermauern. 
       
       Hannah Arendt hat darauf hingewiesen, dass die wenigen Bilder, die wir aus
       dieser Zeit haben, Bilder von einem Ausnahmezustand sind, Bilder der
       Konzentrationslager im Auflösungszustand, meist von den Alliierten gemacht,
       nur wenige von den Tätern. Es steckt eine Perspektive in diesen Bildern,
       aber das wird im heutigen Umgang selten reflektiert. In
       Fernsehdokumentationen laufen die Bilder oft einfach so im Loop. Während
       von der Judenvernichtung gesprochen wird, werden Bilder eingespielt, die
       einen Transport von Roma und Sinti zeigen, als wäre das alles egal, nach
       dem Motto: "Hauptsache, wir zeigen den Gräuel." Aber natürlich spielt es
       eine Rolle, ob Roma und Sinti oder Juden transportiert wurden. "Nacht und
       Nebel" habe ich am Wochenende zum ersten Mal auf der Leinwand gesehen.
       Einerseits kann man diese Bilder nicht unterschlagen, andererseits will man
       gar nicht hinsehen, weil man diese Menschen gar nicht anders denn als
       Objekte wahrnehmen kann. Was wird ihnen angetan, dadurch, dass sie ständig
       in diesem Loop in den Dokumentationen laufen?
       
       Für Spielfilme stellt sich diese Frage auch. Ich muss an Artur Brauners
       "Babij Jar" denken, der die Massenerschießungen bei Kiew zeigt und dabei
       viele nackte, tote Leiber ins Bild rückt. Zugleich zeigt er eben auch, wie
       die Deutschen konkret agieren. 
       
       Es ist es wichtig, die Tat und den Täter zu zeigen. Aber auch diese Bilder
       vermitteln nicht die Tatsachenwirklichkeit des Holocaust. Der Holocaust hat
       keine Narration. Es ist eine Vernichtung. Alles, was wir narrativ darüber
       stülpen, ist eine Vereinfachung. Andererseits: Das macht nichts. Wir können
       den Gegenstand in seiner Komplexität nicht greifen. Die Filme vereinfachen,
       aber sie geben uns wenigstens die Möglichkeit, in Ansätzen zu verstehen.
       
       2 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
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