# taz.de -- Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Kurs auf Straßburg
       
       > Die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung wurde im ersten Moment
       > bejubelt – doch nach genauer Lektüre relativiert sich die Freude. Nun
       > geht es auf europäischer Ebene weiter.
       
       Mit seiner heutigen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht
       klargemacht: Die Vorratsdatenspeicherung in ihrer bisherigen Ausgestaltung
       ist grundgesetzwidrig. Das Verfassungsgericht gibt, so wie es seine Aufgabe
       ist, das Gesetz zurück, damit der Gesetzgeber nachbessern kann – bis es
       grundgesetzkonform ist.
       
       Das Gericht nahm durchaus Kritik auf. So wies es darauf hin, dass der
       Gesetzgeber für Sicherheit der gespeicherten Daten zu sorgen hat. Die aus
       der Telefonseelsorge erhobenen Vorratsdaten sind von der Übermittlung
       ausgenommen. Die Geheimdienste sollen nur Zugriff haben, wenn "konkrete
       Gefahr" besteht – doch in einem solchen Fall ist normalerweise die Polizei
       zuständig. Ein Zugriff der Geheimdienste auf die Vorratsdaten ist somit
       kaum zu etablieren. Auch dass jetzt ein Straftaten-Katalog erstellt werden
       soll, erscheint erst einmal als eine sinnvolle Klärung. Spannend wird’s,
       wenn der Katalog konkret wird: mit Sicherheit wird es ein hartes Ringen
       geben, welche Straftaten in ihn aufgenommen werden.
       
       Das Gericht hat verstanden, dass sich mithilfe der Kombination aus Telefon-
       und Funkzellendaten Bewegungsprofile erstellen lassen und dass diese
       Speicherung Geheimnisse bis in die Intimsphäre verraten kann. Es
       unterscheidet auch zwischen der Nutzung von Telefon-Daten und IP-Adressen.
       Auch das ist richtig und nichts Neues. Das Gericht hat lediglich
       festgestellt, dass IP-Adressen nicht so viel über die Persönlichkeit
       aussagen wie der Zeitpunkt eines Telefonats, die angerufene Nummer und die
       Funkzelle.
       
       Jedoch: Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht einer
       verdachtsunabhängigen Speicherung von Telekommunikationsdaten keine Absage
       erteilt. Das hatten Bürgerrechtler erhofft und seit Jahren gefordert.
       Weiterhin wird das rechtsstaatliche Grundprinzip der Unschuldsvermutung
       ausgehöhlt und die Bürger der Bundesrepublik Deutschland unter
       Generalverdacht gestellt. Damit fällt das Gericht übrigens auch hinter das
       Volkszählungsurteil von 1983 zurück. Das Grundrecht auf informationelle
       Selbstbestimmung ist im Internetzeitalter offenbar nicht mehr so wichtig.
       
       Die bislang gespeicherten Daten müssen jetzt gelöscht werden. Der erste
       Versuch mit der Vorratsdatenspeicherung ist schief gegangen, das bedeutet
       aber nicht, dass der Gesetzgeber keinen zweiten Anlauf unternehmen wird.
       Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hilft ihm, ein
       Speicher-Gesetz zu machen, das genau in die äußersten Ränder des
       Grundgesetzes eingepasst ist. Dass es der FDP gelingen wird, eine
       Speicherung auf Vorrat ganz vom Tisch zu bekommen, ist so gut wie
       ausgeschlossen.
       
       Wer keine Daten auf Vorrat gespeichert sehen will, muss nun mit einem
       größeren Gegner kämpfen: Mit der EU-Richtlinie, auf der das deutsche
       Speicher-Gesetz fußt. Seit heute morgen wird der europäische Kampf für die
       Privatheit auch von Deutschland aus gefochten. Sofort nach der Entscheidung
       haben Bürgerrechtler angekündigt: Kurs auf Straßburg, zum Europäischen
       Menschenrechtsgerichtshof. Wenn der die Vorratsdatenspeicherung für
       unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt, wird
       sich keine Bundesregierung mehr trauen, ein neues Speichergesetz zu machen.
       
       2 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Seeliger
       
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