# taz.de -- Debatte FDP und Liberalismus: Mehr Freiheit wagen!
> Guido Westerwelle und der FDP fehlt ein klarer Begriff von Freiheit. Denn
> eine wahrhaft freiheitliche Politik müsste für mehr Chancengleichheit
> sorgen.
(IMG) Bild: Die FDP will laut eigenem Programm Bürgern "gleiche Chancen auf freie Entfaltung" bieten.
Wenn Guido Westerwelle über die Gefahren "anstrengungslosen Wohlstands"
jammert, dann klingt das gerade so, als seien wir Bürger im Naturzustand
faul und müssten möglichst mit Anstrengung zur Beschäftigung angehalten
werden, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Dabei hatte man sich von
seiner Partei eigentlich weniger Bevormundung erhofft als mehr, nun ja,
Freiheit.
Besser als ein Vorsitzender, der wenig Verständnis von den Problemen
erkennen lässt, die er lautstark kommentiert, stünde der FDP ein Vordenker
zu Gesicht. Schließlich läge für eine Partei, die für eine "Stärkung der
Freiheit" stehen will, kaum etwas näher, als sich eine klare Definition von
"Freiheit" zuzulegen.
In ihrem Parteiprogramm geht die FDP immerhin einen kleinen Schritt in
diese Richtung. Sie nennt als ihr Ziel, "Bürgern gleiche Chancen auf freie
Entfaltung zu eröffnen". Noch im selben Atemzug folgt allerdings das große
Aber: Als "Partner der Mitte" versteht sich die FDP als Anwalt für Menschen
mit Leistungsbereitschaft, Eigeninitiative und Patriotismus. Wer diese
Eigenschaften bereits hat, soll belohnt werden, und ein Schelm, wer dabei
denkt, dass sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen muss, wer all das
nicht bereits in die Wiege gelegt bekommen hat. In dieser beinahe
calvinistischen Ethik soll jeder seines Glückes Schmied sein. Des Staates
höchstes Anliegen sei es lediglich, diesem Unternehmensdrang möglichst
nicht im Weg zu stehen.
Glück, im Trockenen zu sitzen
Was sich in der Theorie und mit einem zugedrückten Auge noch halbwegs
plausibel anhört - und in der Praxis umstandslos zu einem Instrument der
Politik für jene wird, die glücklich im Trockenen sitzen -, fällt
allerdings bereits unter dem Gewicht eines lästigen kleinen Faktums
zusammen: Menschen werden nicht mit gleichen Chancen geboren, und auch ihr
soziales Umfeld trägt selten zu einem Ausgleich bei. Der Abbau
gesellschaftlicher Hürden, die darüber noch hinaus gehen, ist für den Staat
zwar löblich, stellt aber kaum mehr als einen ersten zaghaften Schritt zu
tatsächlicher Chancengleichheit dar.
Wenn wir es damit ernst meinen, müssen wir vor allem wissen, was unsere
Freiheit eigentlich ausmacht. Fangen wir bei ein paar alltäglichen
Beobachtungen an. So würde niemand bestreiten, dass er selbständige
Entscheidungen treffen kann. Klar ist aber auch, dass unsere Entscheidungen
von vielen äußeren Faktoren beeinflusst werden. Wir sind weder Zombies, die
nur ein Handlungsziel haben, noch können wir leugnen, von guten Verkäufern
oder anderen Psychologen zu Handlungen gebracht zu werden, bei denen das
Bewusstsein nicht das letzte Wort hat. Kurz gesagt: Freiheit ist relativ.
Wir jagen nicht etwas Absolutem nach, das man hat oder eben nicht, sondern
haben immer einen (höheren) Grad an Freiheit vor Augen.
Innere und äußere Freiheiten
Zuerst ein Blick auf die innere Seite der Freiheit. Ohne Hilfsmittel können
wir weder fliegen noch längere Zeit unter Wasser verbringen, und auch
Hilfsmittel lassen nicht allzu viele Freiheitsgrade zu. Im Vergleich zu
unserem Körper ist unser Verstand dagegen viel freier formbar - wir nennen
es Bildung. Zu einem freien Geist gehört es, Alternativen sehen und deren
Konsequenzen einschätzen zu können. Frei ist, wer in vergleichbaren
Situationen, statt wie ein Süchtiger reflexhaft immer dasselbe zu tun,
flexibel reagieren kann und die Folgen seines Handelns sieht.
Der äußere Aspekt der Freiheit betrifft den Einfluss der Situation, in der
wir eine Entscheidung treffen. Hierzu gehören positive Anreize ebenso wie
mögliche Benachteiligung oder Bestrafung. Wir können zwar über die rote
Ampel fahren, aber tun es aus guten Gründen besser nicht. Auch sind manche
äußeren Anreize unproduktiv oder geradezu freiheitshemmend. Der soziale
Preis, sich beispielsweise als schwul, Atheist oder Bayern-Fan zu outen,
variiert zwar von Ort zu Ort, er zeigt aber unmissverständlich, wo der
Freiheit ein mitunter böiger Wind ins Gesicht bläst.
Hieraus folgt: Jegliche Politik, die die Freiheit der Bürger als ihr Ziel
formuliert, hat an zwei Fronten zu kämpfen. Deren erste ist ein
Bildungsauftrag: Wer umfassend gebildet ist und sowohl viele als auch
flexibel einsetzbare Fähigkeiten hat, ist immerhin mit innerer Freiheit
gesegnet. Die zweite Front liegt in der Mitte der Gesellschaft: Hier gilt
es, die Hürden abzubauen, die den Einzelnen davon abhalten, seine Freiheit
tatsächlich auszuüben, seien es nun gesellschaftliche wie ökonomische
Zwänge, Vorurteile oder autoritäre Regeln. Im Zusammentreffen beider
Aspekte liegt der eigentliche Kern freiheitlicher Politik.
Individuelle Begabung fördern
Wo wir individuelle Begabungen ausmachen und ausbilden, um mit ihnen
persönliche Erfüllung zu finden, haben wir eines der höchsten
freiheitlichen Bildungsideale im Blick. Freiheitliche Politik hat aber
nicht nur für "Hochbegabte" und Besserverdienende da zu sein, sondern für
jede und jeden. Der erste Schritt zu diesem Ziel sind sicher nicht
gleichmacherische Bildungsstandards, die zu fordern gerade der FDP peinlich
sein sollte, sondern das Aufspüren und Ausbilden persönlicher Stärken, die
in einen größeren Bedeutungszusammenhang gestellt gehören. Ersteres ist die
aktive Suche nach Freiheitspotenzial sowie die Übung im Umgang mit ihm.
Letzteres stellt die gemeinsame Basis her, auf der eine Gesellschaft
konstruktiv miteinander reden kann: Das ist der einzig relevante
Bildungsstandard.
Gleichzeitig können wir heute, dank Industrialisierung und immenser
Produktivitätssteigerungen, jedem die Freiheit der (gesellschaftlich!)
produktiven Selbstverwirklichung geben. Niemand bräuchte Angst zu haben,
ohne geregeltes Arbeitsverhältnis auf der Straße zu sitzen oder keine
Krankenversicherung zu haben. Das Instrument dafür heißt bedingungsloses
Grundeinkommen: die unbürokratische Absicherung eines würdigen
Lebensstandards. Dieses einfache Prinzip ist der natürliche Feind jeglicher
Bevormundung und könnte beachtliche Mengen gesellschaftlicher Energie
freisetzen. Es ist längst bezahlbar und wäre das Freiheitlichste und in der
Tat Befreiendste, was unserer Gesellschaft seit Langem passiert ist.
29 Mar 2010
## AUTOREN
(DIR) Peter Monnerjahn
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