# taz.de -- Kunstfestival "Himmel auf Zeit": Hamburgensie als Standortbestimmung
       
       > Waren sie golden oder nicht doch eisern? Sind sie uns nah oder fern? Ein
       > Kulturfestival widmet sich quer durch die Gattungen den 1920er Jahren im
       > Hamburger Kunstgeschehen.
       
 (IMG) Bild: Hamburgensie: Kal Kluths "Akt auf rotem Sofa" (1933).
       
       Allen fällt immer gleich Berlin ein. Oder München, wenn es um die Kultur
       der 1920er Jahre geht. Keinem fällt Hamburg ein. Zurecht? Das ist die
       Frage, die über dem interdisziplinären Festival "Himmel auf Zeit. Die
       Kultur der 1920er Jahre in Hamburg" schwebt, die Frage, die sich an jede
       der etwa 90 Veranstaltungen herantragen ließe, die in den nächsten vier
       Monaten sämtliche Facetten der Kultur jener Jahre beleuchten sollen, die
       Frage auch, der keiner der zehn Kulturwissenschaftler entgangen sein wird,
       die das Thema in einjähriger, nun publizierter Forschungsarbeit erschlossen
       haben.
       
       So absehbar die Frage, so überraschend ist, wenn man so will, die Antwort
       des Festivals darauf. Was auch daran liegen könnte, dass - anstelle der
       Stadt - die Reemtsma-Stiftung die Finanzierung übernommen hat. Keiner, der
       aufsteht und in die Lande ruft: Schaut auf diese Stadt, was sie ist, was
       sie war! Nirgends das gefallsüchtige Auftrumpfen, vor dem im Schlepptau des
       Standortwettbewerbs auch in Hamburg nicht mal mehr das Gewesene davor
       sicher zu sein scheint.
       
       Zwar wird im Vorwort des Festivalkatalogs die "kulturelle Strahl- und
       Anziehungskraft" der Stadt gepriesen, noch einmal der Besuch Samuel
       Becketts beschworen, der Hamburg 1936 allen anderen deutschen Städten
       vorzog, mit der Ausdruckstänzerin Mary Wigman aufgewartet, den
       Dichterkindern Klaus und Erika Mann, mit Gustav Gründgens oder dem
       bauhausaffinen Architekten Karl Schneider - hinter dessen Namen außerhalb
       Hamburgs wohl schon ein Fragezeichen gesetzt gehörte. Der Katalog zeigt es
       dann aber doch: Die Kultur der 20er Jahre in Hamburg war und bleibt
       weitgehend eine Hamburgensie.
       
       Das ist nicht weiter schlimm. Ja gerade in der Genügsamkeit, zeigt sich die
       Größe nicht nur des Festivals, sondern auch der Künstler, derer es sich
       annimmt. Obgleich von Genügsamkeit zu reden, wenn man die Kunst der 20er
       Jahre vor der Nase hat, erstmal nach Widerspruch riecht. Die 20er Jahre,
       das ist, wie Ulrich Tukur im Grußwort zum Fest schreibt, überstürzter
       Aufbruch, Fiebrigkeit, explosive Kreativität. In Hamburg kommt aber etwas
       hinzu, wie es in der Festivalausstellung der Kunsthalle über die Malerei
       der 20er Jahre augenfällig wird. Es ist der Grundsatz: Kenne deine Grenzen
       (die dir andere stecken). So malte Friedrich Ahlers-Hestermann seine
       südliche Landschaft im Stil von Cézanne, Fritz Kronenburg ein Stillleben
       wie Braque, Emil Maetzel mit dem Vokabular der "Brücke"-Künstler. Und die
       zur "Hamburgischen Sezession" zusammengeschlossenen Maler wie Eduard
       Bargheer, Karl Kluth oder Willem Grimm sehen ihre norddeutschen Motive im
       beschwingten Modus eines Edvard Munch.
       
       Es ist das Spannungsfeld von ab- und etwas anders malen, in dem sich die
       Hamburger Malerei der 20er Jahre bewegt. Das ließe sich fein
       herunterputzen: Die Bilder, könnte man mit Lessing sagen, enthalten Neues
       und Gutes, nur ist das Gute nicht neu und das Neue nicht gut. In einer
       Lokalzeitung lässt sich der Versuchung jedoch kaum widerstehen, die
       Kunstprovinz (mit Montaigne) gegen den caesarischen Hype der Hauptstädte zu
       verteidigen: Lieber in Hamburg Dritter oder Vierter sein, als in Berlin der
       Erste!
       
       Wem Einübung in die Genügsamkeit als Motiv nicht reicht, um den Hamburger
       Kulturfrühling zu begrüßen, dem sei die Aufarbeitung der 20er Jahre aus
       anderem Grund empfohlen. Es geht um Selbstvergewisserung, hier und jetzt.
       Zwar nennt Ulrich Tukur, wieder in seinem Grußwort, die bisweilen als
       golden apostrophierten Jahre eine "ferne, schillernde Epoche", aber das mag
       dem Umstand geschuldet sein, dass der Schauspieler die Worte aus Venedig
       übersandte, und dort ist, was schillert, nun wirklich eine ferne Zeit.
       
       Anders die 20er Jahre: Sie sind nicht nur zum Greifen nahe, laut dem
       italienischen Philosophen Gorgio Agamben stehen wir noch mitten drin. Haben
       hier und da etwas ergänzt, über den Rahmen aber, so Agamben, den jene Jahre
       uns stecken, sind wir nicht hinaus.
       
       Tatsächlich lenkt das 20er-Jahre-Festival den Blick immer wieder auf Dinge,
       die aus dem Heute entnommen zu sein scheinen. Die legendären Künstlerfeste
       etwa, bei denen sich das Curio-Haus für ein paar Tage im Jahr in ein
       Gesamtkunstwerk verwandelte, die sich mit der Zeit aber stetig
       kommerzialisierten: Haben sie nicht seit einigen Jahren ihre Wiederauflage
       im kunst-, musik- und bierseligen "Dockville"-Festival gefunden? Oder die
       Notsituation der bildenden Künstler, über die Richard Tüngel im Vorwort
       einer Ausstellung der Hamburgischen Sezession 1928 schrieb: "Das Fehlen von
       Werkstätten und Ateliers endlich wird mit der Zeit alles Schaffen an der
       Wurzel vernichten." Schon mal gehört?
       
       Mehr als vertraut auch das erstmals in den 1920er Jahren auftauchende
       Phänomen der Masse und der Massenmedien, von Film und Rundfunk. Beim Besuch
       des Filmstars Henny Porten 1929 strömten spontan Zigtausende zum
       Dammtorbahnhof, um die Diva in Empfang zu nehmen, allein drei Stunden soll
       sie gebraucht haben, um den Bahnhof zu verlassen. Der in Hamburg ansässige
       Radiohersteller Philips brachte 1927 das Heimradio Paladin auf den Markt,
       ein Massenkonsumartikel, der wie heute das iPhone über die Technik Zugang
       zu einem neuen Leben versprach. Empfangen konnten Krethi und Plethi mit dem
       Gerät das Programm der Norag, der Vorgängerin des NDR - deren unpolitische
       Ausrichtung die Arbeiterradio-Bewegung auf den Plan rief, als Vorläuferin
       der Radiopiraten und Freien Sender Kombinate.
       
       Eins erscheint uns in dieser Zeit allerdings ungeheuerlich, und nun doch
       fern, wenn auch gar nicht schillernd, sondern einfach nur dumpf und düster:
       das völkische Denken, für das Hamburg in den 20er Jahren eine Hochburg
       gewesen ist. Ein Denken, das auch weit in die künstlerischen und
       literarischen Zirkel der Stadt hineinreichte, wie es die beiden Kuratoren
       des Festivals, Friederike Weimar und Dirk Hempel in ihren Katalogbeiträgen
       zeigen. Die damals führende Hamburger Kulturzeitschrift Der Kreis etwa: Für
       sie geschrieben haben Literaten wie Hans-Henny Jahnn und Hans Leip, aber
       auch der Oberbaudirektor Fritz Schumacher; herausgegeben wurde sie vom
       völkisch-national gesinnten Ludwig Benninghoff. Das gemeinsame Terrain, auf
       dem man sich bewegte, war dabei oft eine Begeisterung für nordische Motive.
       Die hätten sich nicht immer völkisch instrumentalisieren lassen, schreibt
       Friederike Weimar, aber die "nordische" Gedankenwelt popularisieren
       geholfen und damit den Nationalsozialisten in die Hände gespielt.
       
       Das katastrophische Ende der Weimarer Republik im Blick, haben die
       Kuratoren des Festivals das ahnungsvolle Motto des letzten freien
       Künstlerfestes zu Beginn des Jahres 1933 entlehnt: "Himmel auf Zeit". Was
       die Frage aufwirft, ob nicht auch wir, die laut Agamben aus den 1920er
       Jahren noch gar nicht heraus sind, nicht auch unter einem Himmel auf Zeit
       leben. Nun ist der Geschichtspessimismus ein Spiel mit dem Feuer. Nicht
       minder als blinder Fortschrittsoptimismus. Also: Bleibe die Frage offen!
       
       15 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maximilian Probst
 (DIR) Maximilian Probst
       
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