# taz.de -- Wundersame Installationen: Olafur hinter den Spiegeln
       
       > Unterhaltsam, vergnüglich, komplex: Olafur Eliasson offeriert
       > Wahrnehmungserfahrungen und selbstbewusstes Staunen im Martin-Gropius-Bau
       > und in der Stadt Berlin.
       
 (IMG) Bild: "Mikroskop" heißt der verspiegelte Ausstellungsraum des dänischen Künstlers Olafur Eliasson.
       
       BERLIN taz | Auf nach Berlin. Ab 10 Uhr in der Früh kann sich Mittwoch
       jedermann bis in die Nacht um 24 Uhr hinein, ohne Eintritt zu bezahlen,
       dort im Martin-Gropius-Bau vergnügen. Und die Wette gilt, dass sich
       jedermann vergnügen wird bei der Ausstellung "Innen Stadt Außen" von Olafur
       Eliasson, der mit dieser großzügigen Einladung seine Werkschau wenigstens
       einen Tag lang der Bevölkerung zum Geschenk macht.
       
       Dabei erinnert sich der Hauptstadtbewohner unwillkürlich daran, dass es vor
       zehn Jahren einen großen Streit um ein Kunstwerk gab, das "Der Bevölkerung"
       gewidmet war. Der Künstler Hans Haacke hatte per Neonschrift mit seiner
       partizipatorisch angelegten Erdreichinstallation im Lichthof des Berliner
       Reichstags ästhetisch ein Verhältnis zum Staat beschworen, dem die
       Abgeordneten folgen und Erde aus ihren Wahlkreisen samt Unkrautsamen und
       Würmern ankarren sollten, weil keine Politik heute mehr beanspruchen kann,
       allein für Deutsche gemacht zu werden, wie es die Inschrift "Dem Deutschen
       Volke" im Giebel des Hauses noch aus früherer Zeit kundtut.
       
       Anders als Olafur Eliasson hängt nun Hans Haacke das Label des Linken und
       politischen Künstlers an. Doch Eliasson betrachtet die Öffnung des
       Martin-Gropius-Baus durchaus als eine dezidiert politische Geste, wie er in
       seiner "Berliner Lektion" vor einem Monat erklärte. Mit ihr verteidigt er
       ein demokratisches Kulturverständnis gegen die Ausschlussmechanismen der
       Kunstwelt, beispielweise mit ihren heute üblichen VIP-Vernissagen für die
       happy few.
       
       Und wirklich, sobald man den Ausstellungsparcours betritt, erkennt man,
       dass Olafur Eliassons Kunst eine demokratische ist: antielitär für alle
       gedacht, unterhaltsam, vergnüglich, weil unkompliziert und dabei doch von
       komplexer Natur. Der kunsthistorisch bewanderte Betrachter mag bei der
       "Round Rainbow"-Installation (2005) die Geschichte des avantgardistischen
       Experiments im 20. Jahrhundert und den Licht-Raum-Modulator von László
       Moholy-Nagy aus dem Jahr 1930 erinnern.
       
       Deswegen ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Mehrheit der Optiker unter
       den Besuchern den vielleicht noch größeren Spaß am Spiel der
       Lichtbrechungen hat als die Minderheit der Kunsthistoriker - und ziemlich
       sicher ist es, dass sämtliche Ausstellungsbesucher dem Moment
       entgegenfiebern, in dem die weißen, schwarzen und regenbogenbunten
       Lichtschleifen in drei perfekt ineinander stehenden Kreisen zur Ruhe
       kommen.
       
       Ähnliches gilt für "Your roundabout movie", eine Installation aus diesem
       Jahr, in der ein dunkellilafarbenes Rechteck und ein grüner, rechteckiger
       Rahmen sich in verschiedenfarbigem Licht drehen, wobei sich ihre Geometrie
       ständig neu zusammenfügt und es wirkt, als ob eine von Kasimir Malewitschs
       suprematistischen Kompositionen lebendig würde.
       
       Wir spielen, so könnte man sagen, mit Olafur Eliasson im Kindergarten der
       Abstraktion, wo der Architekt Frank Lloyd Wright an einem in zehn
       Zentimeter große Rasterquadrate aufgeteilten Tischchen beschäftigt war, wie
       er in seinen Memoiren berichtete. An diesem Tischchen spielten auch Wassily
       Kandinsky, Piet Mondrian, George Bracque, Paul Klee oder Le Corbusier mit
       den "Spielgaben" von Friedrich Fröbel (1782-1852), an die Olafur Eliassons
       Projektionen erinnern. Mit den bunten, einfachen, abstrakten Formen von
       Dreieck, Kreis, Quadrat etc. wollte der Erfinder des Kindergartens seine
       kleinen Zöglinge ermuntern, a) Formen der Natur und des Lebens, b) Formen
       des Wissens und der Mathematik sowie c) Formen der Schönheit und der Kunst
       zusammenzusetzen. Auch R. Buckminster Fuller besuchte einen solchen
       Fröbel-Kindergarten und behauptete später, er habe dort schon um 1900, eben
       in seinen ersten Kindergartentagen, die Form seiner berühmten geodätischen
       Kuppel gefunden.
       
       Es wundert also nicht, wenn unter den großen und kleinen Maquetten und
       Prototypen, die Olafur Eliasson auf seinem "Model room"-Tisch (2003) zu
       einer ausladenden Modellstadt zusammengeschoben hat, immer wieder Varianten
       der Buckminster-Fuller-Kuppel zu entdecken sind. Allesamt sind diese
       Modelle Experimentalmaschinen, die Formen des Wissens und der Mathematik in
       Formen der Natur und des Lebens - und umgekehrt - verwandeln, wobei sie
       sich gleichzeitig als Formen des Spiels, der Schönheit und der Kunst
       entpuppen.
       
       Olafur Eliassons Konstruktionen wollen den Betrachter in eine Art
       selbstbewusstes Staunen versetzen, das "den kognitiven Gehalt dieser
       Leidenschaft wieder in sein Recht setzt", wie die Wissenschaftshistorikerin
       Lorraine Daston in ihrem unbedingt lesenwerten Katalogbeitrag meint. Ob es
       seine "New Berlin Sphere" oder "Yellow to purple acitivity sphere" (beide
       2009) genannten Lüster sind, die aus der einen Perspektive als paradoxe
       schwarze Discokugel auftreten, während sie aus der anderen Perspektive in
       allen Regenbogenfarben strahlen; ob es bei "Your uncertain shadow" (2010)
       die verschiedenfarbigen Scheinwerferbatterien sind, in deren Licht die
       Besucher bunte Schatten von jeweils unterschiedlicher Größe an die Wand
       werfen: Immer offeriert uns Olafur Eliasson wundersame
       Wahrnehmungserfahrungen, deren Herstellungsprinzip zu erkunden uns schon
       die eigene Irritation zwingt.
       
       Hinter die Fassade schauen 
       
       Und hier ist der Künstler großzügig, stets lässt er uns hinter die Fassade
       schauen, selten allerdings so unzweideutig wie bei "The curious museum"
       (2010). In dem außen am Haus vor einem Fenster angebrachten Spiegel kann
       sich der Martin-Gropius-Bau endlich einmal selbst betrachten, und auch wir
       sehen seine Außenhaut zunächst wie ein zweites Gebäude vis-à-vis, bis wir
       näherkommen und das nun sichtbare Gerüst samt Spiegelfolie in seinem ganzen
       Heimwerkercharme die Illusion wohltuend zerstört.
       
       Das Museum erweitert sich auch über "Succession" (1998), einen kleinen
       Rasenanbau vor einem anderen Fenster, in den Stadtraum und umgekehrt dringt
       der über den "Berliner Bürgersteig" (2010) wieder in das Museum ein, wo
       Eliasson die typischen schweren Granitplatten durch drei Räume hinweg wie
       einen Laufsteg für die Stadtbewohner, seine Berlin Models, ausgelegt hat.
       
       Sie könnten Mode machen, falls sie seine Idee der "Spiegelfahrräder" (2010)
       massenhaft adaptierten und so bei jeder Fahrt die Architektur, die anderen
       Fahrzeuge wie die Straßenpassanten in ihren mit Spiegelfolie verkleideten
       Rädern ins Rollen brächten. Solche verhexten Fahrräder waren in den letzten
       Wochen überall in der Stadt anzutreffen. Sie gehörten, wie sich jetzt
       herausstellt, zur Schau, und irritierten, genauso wie die in den Straßen
       liegenden Baumstämme - vor Island gefundenes Treibholz - oder der seltsame
       Spaziergänger, der im Zeitlupentempo durch den Park schlenderte, den
       alltäglichen Fluss der Dinge; so wie es auch ein kleiner Transporter tat,
       allerdings sehr viel spektakulärer, wobei dieses Wort schon auf die
       entscheidende Modifikation hinweist, die an ihm vorgenommen wurde - den
       großen Spiegel, der einer Wagenseite vorgeblendet war.
       
       Die zehn Minuten, in denen der Videoloop "Innen Stadt Außen" diese Aktion
       dokumentiert, sind die womöglich lustigsten, zauberhaftesten und dabei
       riskantesten Kunstminuten der letzten Zeit. Schon beim Zuschauen wird einem
       ganz schwindelig und man möchte nicht darauf wetten, ob man als Autofahrer
       diesem Fahrzeug gerne begegnet wäre. Irgendwo im Hintergrund jedenfalls
       lauert der große Knall, zersplitterndes Glas - und also wieder eines der
       vom isländischen Künstler so geliebten Kaleidoskope, in denen unsere
       gängige Weltwahrnehmung zu Bruch geht.
       
       Bis 5. September, Martin-Gropius-Bau, Berlin, Katalog (Hatje Cantz) 29,80
       Euro
       
       27 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bildende Kunst
       
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