# taz.de -- Interview Innenminister de Maizière: "Keine No-go-Area im Internet"
       
       > Was Lebensmittelkontrolleure im Supermarkt tun, müsse auch im Netz
       > möglich sein, so Thomas de Maizière. Dabei wolle er aber versuchen,
       > "neues Vertrauen" zwischen Staat und Netzgemeinde herzustellen.
       
 (IMG) Bild: Sauber! Innenminister Thomas De Maizière will im Netz aufräumen.
       
       taz: Herr de Maizière, nach einem halben Jahr im Amt gelten Sie als sanfter
       Sheriff, als Minister für Entwarnung. Sind Sie in Wahrheit ein harter Hund
       wie Ihre Vorgänger und verkaufen es nur besser? 
       
       Thomas de Maizière: Niemand sollte eine vorsichtige Sprache mit mangelnder
       Härte und Entschlusskraft verwechseln, das ist wahr.
       
       Inhaltlich unterscheidet Sie kaum etwas von Ihren Vorgängern Wolfgang
       Schäuble und Otto Schily? 
       
       So ist es. Ich komme, was die öffentliche Sicherheit betrifft, zu keiner
       anderen Lagebeurteilung als in den vergangenen fünf oder sechs Jahren.
       
       Bei den Internetsperren gegen Kinderpornografie wenden Sie ein Gesetz nicht
       an, das Sie als Kanzleramtsminister selbst auf den Weg gebracht haben.
       Warum? 
       
       Wir wenden es nur in einer bestimmten Weise an, weil wir bei den
       Koalitionsverhandlungen eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben.
       
       Anstatt Internetseiten zu sperren, soll nun erst mal versucht werden,
       Kinderpornos im Netz löschen zu lassen. Sie halten Sperren aber nach wie
       vor für richtig? 
       
       Schauen Sie doch mal, wie viele Länder die Sperren praktizieren, auch
       solche mit einer langen liberalen Tradition wie in Skandinavien. Die
       öffentlich diskutierte angebliche Alternative zwischen Löschen und Sperren
       von kinderpornografischen Seiten gibt es im Grunde gar nicht. Beides muss
       möglich sein. Beides wirkt nicht absolut. Insofern wollen und müssen wir
       noch nachbessern.
       
       Wenn Sie Internetseiten sperren wollen, brauchen Sie Zensurlisten. In
       Australien haben sich auf solchen Listen schon ganz harmlose Seiten
       wiedergefunden. 
       
       Ganz deutlich: Eine Zensur gibt und wird es in Deutschland nicht geben.
       Aber Sie können doch ein Verfahren nicht schon deshalb ablehnen, weil es
       möglicherweise missbraucht werden kann. Denken Sie zum Beispiel an die
       Telefonüberwachung. Sie ist bei uns unter bestimmten, strengen
       Voraussetzungen erlaubt. Trotzdem findet - wie von interessierter Seite
       gerne behauptet wird - kein wildes Abhören der ganzen Bevölkerung statt.
       
       Sie können ein neues Medium nicht mit dem altmodischen Telefon vergleichen.
       Hat Ihre Politikergeneration das ganze Thema falsch eingeschätzt? 
       
       Ein Fehler war, dass wir bisher nur Einzeldebatten geführt haben - über
       Kinderpornografie, Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung. Das hat
       dazu geführt, dass das Verhältnis zwischen Staat und Netzgemeinde gestört
       ist. Ich arbeite hier an einem neuen Vertrauen. Noch in diesem Jahr werde
       ich ein paar grundlegende Vorschläge machen, welche Rolle der Staat im Netz
       spielen soll.
       
       Welche Rolle soll das denn sein? 
       
       Vor allem, dass er seine Bürger vor Übergriffen durch Private schützt.
       Datensicherheit wird ein großes Thema. Hier hat der Staat eine Aufgabe. Die
       Probleme im Verhältnis zwischen Staat und Bürger werden für meine Begriffe
       überschätzt.
       
       Google ist der Böse? 
       
       Nein. Ich rede hier nicht über ein einzelnes Unternehmen. Aber wenn der
       Staat seine Lebensmittelkontrolleure in die Supermärkte schickt, dann muss
       er auch im Internet für Verbraucherschutz sorgen. So wie er in der analogen
       Welt Personalausweise ausstellt, muss er auch im Netz eine verlässliche
       Identifizierung garantieren können. Und schließlich: Wenn das Internet eine
       Infrastruktur ist wie Strom oder Wasser, muss er für alle Bürger eine
       verlässliche Grundversorgung gewährleisten.
       
       Einer Weltfirma wie Facebook können Sie nicht von Deutschland aus die
       Geschäftsbedingungen diktieren. 
       
       Warum soll der Staat auf Vorschriften verzichten, nur weil ein Phänomen
       international verbreitet ist? Wenn Toyota in Deutschland ein Auto verkauft,
       gilt die deutsche Zulassungsordnung. Auf den G-20-Treffen reden wir über
       internationale Regeln für die Finanzbranche, die national umgesetzt werden.
       Übrigens hat die Internetgemeinde so etwas schon selbst gemacht: Die
       Adressvergabe funktioniert, obwohl sie nur von Privatleuten verabredet ist.
       
       Das erstaunt den deutschen Juristen de Maizière? 
       
       Es ist zumindest ein Phänomen.
       
       Warum muss sich der Staat einmischen, wenn es auch ohne ihn funktioniert? 
       
       Weil das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf. In der analogen Welt
       wollen wir keine No-go-Areas, in die sich kein Außenstehender mehr
       hineinwagen kann. Das darf es auch in der digitalen Welt nicht geben. Sonst
       haben wir vielleicht bald eine Verkehrung der Diskussion, in der wir sagen
       müssen: So viel Schutz, wie die Verbraucher vom Staat wollen, kann er ihnen
       im Netz gar nicht bieten.
       
       Also ein Gütesiegel vom Staat, wie es die Deutschen lieben? 
       
       Eine Zertifizierung kann ich mir vorstellen. Es geht nicht zu allererst um
       Verbote. Auch der Straßenverkehr funktioniert ja nicht, weil Linksfahrer
       bestraft werden. Er funktioniert, weil das Rechtsfahrgebot in der
       Bevölkerung auf Akzeptanz stößt.
       
       Und wenn ein Gesetz diese Akzeptanz nicht hat? 
       
       Der Staat sollte auch keine Gesetze erlassen, die er hinterher nicht
       durchsetzen kann. Nehmen Sie nur die Debatte um ein Burka-Verbot. Sollen
       dann Polizeistreifen die Frauen auf der Straße anhalten und festnehmen?
       Oder ihnen gar die Burka herunterreißen? Da kann ich nur zur Vorsicht
       mahnen.
       
       Der Staat ist bei Ihnen immer der Gute? 
       
       In einer freiheitlichen Demokratie ist eine staatliche Regelung prinzipiell
       gut. Die Glaubwürdigkeit des Staates lebt davon, dass er diesen Ruf hat und
       behält.
       
       Trotzdem gibt es Fehler. In Ihrer Amtszeit als sächsischer Innenminister
       hat ein Sondereinsatzkommando irrtümlich eine unbeteiligte Familie zu Hause
       überfallen. Die Aktion galt eigentlich dem Bruder der Frau, der im selben
       Haus wohnte. Nachher haben Sie sich bei der Familie nicht etwa
       entschuldigt, sondern erklärt, jeder sei für seinen Umgang selbst
       verantwortlich. 
       
       Der Einsatz war kein Fehler. Er war zwar nicht erfolgreich, aber er war
       richtig.
       
       Auch Ihr Kommentar dazu? 
       
       Auch der war richtig. Als Innenminister müssen Sie bereit sein, umstrittene
       Bemerkungen zu machen. Sonst können Sie das Amt nicht ausüben.
       
       Warum tut sich der Staat so schwer, Fehler zuzugeben? 
       
       Niemand gibt gern Fehler zu. Allerdings wird eine Entschuldigung im
       privaten Bereich im Zweifel als honorig akzeptiert. Im öffentlichen Bereich
       gilt sie eher als Versagen und als Grund für einen Rücktritt. Die
       Hemmschwelle, einen Fehler zuzugeben, ist deshalb höher. Das ist schade,
       aber es ist leider so.
       
       Hatten Sie je ein ungutes Gefühl, wenn Sie mit der Polizei in Kontakt
       kamen? 
       
       Dass ich mich bedroht gefühlt hätte, meinen Sie?
       
       Zumindest unwohl gefühlt. 
       
       In keinem Moment. Dass die Polizei in voller Ausrüstung etwa auf
       Demonstrationen einen psychologischen Effekt auslöst, ist wahr. Das ist zum
       Teil auch Absicht. Deshalb wird mit Blick auf Eskalation oder Deeskalation
       jedes Mal genau überlegt, ob der Helm aufgesetzt oder Schutzkleidung
       angelegt wird. Manchmal ist eben ein starker Auftritt erwünscht, der auch
       einschüchtern soll. Das finde ich in Ordnung.
       
       Eine Phase jugendlicher Rebellion hatten Sie nie? 
       
       Doch, klar. Als junger Student wusste ich ganz genau, dass die letzten
       hundertfünfzig Jahre der Juristenausbildung ein einziger Fehler waren. Dass
       sich alles zum Besseren wendet, wenn man meinen Vorschlägen folgt. Ein
       Semester später war mir klar: Die Reform der Juristenausbildung gehört zu
       den Dingen, die in Deutschland besonders schwierig sind. Natürlich gibt es
       das. Ich würde sogar sagen: Wer nicht als junger Mensch größere Schritte
       von Veränderungen will, dem sollte man skeptisch begegnen.
       
       Der Protest gegen Internetsperren oder Studiengebühren ist Ihnen also
       sympathisch? 
       
       Sind das Demonstrationen für Veränderung? Ich fürchte, das Gegenteil ist
       der Fall. Nicht nur bei der jüngeren Generation. Einerseits wird der Status
       quo beklagt, andererseits die Veränderung gefürchtet. Das bedeutet, es
       bewegt sich überhaupt nichts mehr. Diese Form von Immobilität ist eine
       Falle, das finde ich ganz schrecklich.
       
       Deswegen treten Sie so sanft auf: Weil man Veränderungen nur durchsetzen
       kann, wenn sie nicht als solche daherkommen? 
       
       Mit weich oder hart hat das nichts zu tun. Ich formuliere meine Ziele etwas
       vorsichtiger, weil ich sie auch tatsächlich erreichen will. Man kann seine
       Vorhaben auch so groß formulieren, dass man sie schon allein dadurch
       unmöglich macht. Das sind nun mal die Strukturmerkmale von Reformprozessen.
       
       27 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) S. am Orde
 (DIR) R. Bollmann
 (DIR) W. Schmidt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) De Maizière will Internetsperren: Netzcommunity und FDP enttäuscht
       
       Der Plan von Innenminister de Maizière, Internetsperren doch noch zu
       ermöglichen, verärgert die Netzgemeinde - und die FDP, die auf den
       Koalitionsvertrag pocht.