# taz.de -- TV-Duell in NRW: Kein Vulkanausbruch am Rhein
       
       > In der Kölner Vulkanhalle versuchen sich Hannelore Kraft (SPD) und Jürgen
       > Rüttgers (CDU) in einer TV-Debatte. Dabei zeigt sich Kraft
       > angriffslustig, ihr Kontrahent angespannt.
       
 (IMG) Bild: Bis auf kleine Sticheleien nicht viel Brodeln gewesen: Rüttgers (CDU) und Kraft (SPD)
       
       KÖLN taz | Ein Duell – zwei Sieger? Der große Showdown ist erst wenige
       Minuten vorbei, da vermelden die Parteizentralen bereits, wer gewonnen hat.
       „Klarer Punktsieg für Jürgen Rüttgers“, verkündete der
       nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Andreas Krautscheid. „Hannelore
       Kraft gewinnt TV-Duell“, konterte sein SPD-Pendant Michael Groschek.
       
       So schnell, wie sie mit ihren Pressemitteilungen am Start sind, sind
       Zweifel angebracht, ob sie ihre Erklärungen nicht schon vorab verfasst
       haben. Warum auch nicht, denn die Gefahr, Lügen gestraft zu werden, war
       schließlich gering. Wer hätte Rüttgers oder Kraft schon bei ihrem direkten
       Aufeinandertreffen einen glatten K.o.-Sieg zugetraut? Zu Recht niemand.
       Punktentscheidungen bieten hingegen ausreichend Interpretationsspielraum
       für beide Seiten.
       
       Für das Duell der beiden Bewerber um den Ministerpräsidentenjob im größten
       Bundesland hatte der WDR einen der angesagtesten Veranstaltungsorte in Köln
       ausgesucht: Die Vulkanhalle im früheren Kölner Arbeiterstadtteil Ehrenfeld.
       In ferner Vergangenheit wurden hier an der Lichtstraße Straßenlaternen
       hergestellt, jetzt hüllen Fernsehscheinwerfer den zwei Tennisplätze großen
       Backsteinsaal in gleißende Helligkeit. Auch vor fünf Jahren trafen die
       Kontrahenten um das NRW-Ministerpräsidentenamt in einem früheren
       Industriegebäude aufeinander.
       
       Damals reichte es für den seinerzeitigen Herausforderer Rüttgers aus, nur
       keinen groben Fehler zu begehen. Der jetzige Ministerpräsident lag bereits
       uneinholbar in den Umfragen in Führung als er in der Gebläsehalle des
       früheren Duisburger Thyssen-Stahlwerks auf den schwer angeschlagenen
       SPD-Amtsinhaber Peer Steinbrück traf. Diesmal ist die Ausgangslage für ihn
       komplizierter. Noch vor ein paar Monaten wie der sichere Sieger aussehend,
       muss Rüttgers um seine Wiederwahl bangen. Alle Demoskopen sagen für den 9.
       Mai den Verlust seiner schwarz-gelben Landtagsmehrheit voraus, falls die
       Linkspartei den Sprung in den Landtag schafft. Entsprechend angespannt
       wirkt er.
       
       Als Rüttgers das Gelände betritt und die Kamerateams sich auf ihn stürzen,
       mutet sein demonstratives Lachen wie eine Grimasse an. Begleitet wird
       Rüttgers von einer Schar von Beratern. Neben Generalsekretär Krautscheid
       ist sein umstrittener Wahlkampfmanager Boris Berger mit dabei, ebenso wie
       Spin Doctor Willi Hausmann, der ehemalige CDU-Bundesgeschäftsführer und
       Regierungssprecher Hans-Dieter Wichter.
       
       Die Entourage von Herausforderin Hannelore Kraft besteht aus zahlreichen
       Landtagsabgeordneten. Aber auch der Kölner Bundestagsabgeordnete Karl
       Lauterbach leistet ihr Beistand, ebenso wie der nordrhein-westfälische
       DGB-Chef Guntram Schneider, ihr schwergewichtiger Schattenarbeitsminister.
       Sie alle sind mitgekommen, um nachher bei den versammelten Journalisten um
       die Deutungshoheit zu kämpfen.
       
       Aus gutem Grund: Der Abend zeigt, wie knapp das Rennen zwischen Rüttgers
       und Kraft geworden ist. Die Spielregeln des von den WDR-Moderatoren Gabi
       Ludwig und Jörg Schönenborn geleiteten Duells sind vorher genau festgelegt
       worden - zuerst antwortet Kraft, das letzte Wort hat Rüttgers. Die
       sozialdemokratische Oppositionsführerin, die er lange Zeit nicht wirklich
       ernst genommen hatte, liefert Rüttgers eine Stunde lang einen
       Schlagabtausch auf Augenhöhe, was nicht nur daran liegt, dass sie auf einem
       kleinen Podest steht, um nicht optisch dem längeren Rüttgers unterlegen zu
       wirken. Sie agiert nicht aggressiv, zeigt sich aber angriffslustig.
       
       Immer wieder attackiert Kraft geschickt, schafft es das ein und andere Mal,
       den Landesvater in die Defensive zu bringen. Beispiel Studiengebühren: „Die
       Tatsache, dass wir heute 14.000 mehr Studienanfänger haben, zeigt ja, dass
       das nicht abschreckt“, behauptet Rüttgers. Natürlich seien die absoluten
       Zahlen angestiegen, weil jetzt die geburtenstarken Jahrgänge von den
       Schulen an die Hochschulen kämen, kontert Kraft, aber innerhalb eines
       Jahrgangs würden prozentual weniger junge Menschen ein Studium beginnen:
       „Das heißt, Studiengebühren schrecken ab.“ Beispiel Lehrer: Stolz verweist
       Rüttgers darauf, während seiner Amtszeit seien 8.000 neue Lehrerstellen
       geschaffen worden. Etliche dieser Stellen seien jedoch nicht besetzt
       worden, vermiest Kraft ihrem Rivalen seine Erfolgsbilanz: "Das Problem ist,
       Stellen geben keinen Unterricht."
       
       Ohnehin gibt Rüttgers beim Thema Bildung keine gute Figur ab. Er verspricht
       zwar, dass jedes Kind "die Chance zum sozialen Aufstieg" bekommen soll,
       aber gleichzeitig verteidigt er starrköpfig das dreigliedrige Schulsystem.
       Ein Widerspruch, den der CDU-Mann nicht auflösen kann. "Im jetzigen System
       sitzen die Kinder ab zehn Jahren in den Schubladen und kommen da nicht mehr
       raus“, hält ihm Kraft vor. Sie plädiert stattdessen für ein
       Gemeinschaftsschulmodell, denn "längeres gemeinsames Lernen
       
       erhöht die Chancengerechtigkeit." Doch davon will Rüttgers nichts wissen:
       "Ich warne davor, mit einem Schulkrieg zu beginnen." Man könne Hauptschüler
       nun mal „nicht einfach zu einer anderen Schule schicken“, ist seine
       trotzige Behauptung. Außerdem führe die Abschaffung des dreigliedrigen
       Systems „zum Schluss zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft, weil
       dann diejenigen, die es sich leisten können, sofort Privatschulen gründen“,
       so Rüttgers. „Und die anderen sind dann auf der Einheitsschule.“ Ein
       kurioses Argument.
       
       Eine Stunde dauert der Disput zwischen Rüttgers und Kraft. Sie sprechen
       über alles Mögliche: Von Griechenland geht der Themenstrauß über die
       Arbeitsmarktpolitik und die Staatsverschuldung bis hin zum Kohlebergbau.
       Ihr Umgang miteinander ist gepflegt, der Ton moderat. Beide bemühen sich,
       die herzliche gegenseitige Abneigung in der Körpersprache nicht allzu
       deutlich sichtbar werden zu lassen. Streckenweise dümpelt die Diskussion
       kräftig dahin.
       
       Der Vulkan in der Kölner Halle ist weit entfernt davon auszubrechen, mehr
       als ein leichtes Brodeln kommt nicht zustande. Abgesehen von ihrer heftigen
       Kontroverse in der Schulpolitik könnte man fast den Eindruck bekommen, hier
       bereiten sich zwei auf die Große Koalition vor. Immerhin jedoch kann sich
       Kraft einen leichten Vorsprung erarbeiten. Das liegt nicht zuletzt daran,
       dass sie auch bereit ist zur Selbstkritik: "Wir sind 2005 abgewählt worden,
       weil wir nicht alles richtig gemacht haben."
       
       Wirklich punkten kann Rüttgers nur kurz vor Schluss: in der Frage des
       Umgangs mit der Linkspartei, der großen Schwachstelle seiner
       Herausfordererin. „Frau Kraft muss nur noch beantworten, wie sie es mit
       extremistischen Parteien hält und extremistische Parteien heißt im
       konkreten Fall mit der Linkspartei“, nutzt Rüttgers seine Chance. Er finde,
       dass man „klar sagen muss, dass man sich mit den Extremisten nicht abgibt“.
       Die SPD-Frontfrau erwidert mit den sattsam bekannten Plattitüden: Die
       Linkspartei sei „nicht regierungs- und koalitionsfähig“, die SPD suche „die
       Auseinandersetzung und nicht die Zusammenarbeit“ und ihr Ziel sei es, „die
       Linkspartei unter fünf Prozent zu halten", was der Linie entspreche, "die
       wir seit vielen, vielen Monaten haben.“
       
       Genau das ist jedoch das Problem. Denn ihre vermeintliche Linie ist keine.
       Weder schloss Kraft eine Koalition mit der Linkspartei definitiv aus, noch
       nahm sie diese vor dem Extremistenvorwurf in Schutz. Nur passt das nicht
       zusammen. In dem sie – aus taktischen Gründen, um der Linkspartei zu
       schaden - die Aussage von Rüttgers unwidersprochen lässt, die Linkspartei
       gehöre nicht zum Spektrum der demokratischen Parteien, desavouiert Kraft
       sich selbst. Denn falls diese Behauptung stimmen würde, müsste sie in der
       Tat eine Kooperation kategorisch ablehnen. Ein klares Nein kommt ihr aber
       weiterhin nicht über die Lippen. Auch auf mehrfache Nachfrage vermied Kraft
       erneut eine klare Absage an ein rot-rot-grüne Bündnis, aber verteidigen
       gegen die Angriffe von rechts will sie die linke Konkurrenz auch nicht.
       
       Kraft hätte sich entscheiden müssen. Sie tat es nicht und ging prompt in
       die Falle. Von den Moderatoren auf eine mögliche schwarz-grüne
       Zusammenarbeit angesprochen, antwortete Rüttgers: „Ich möchte nicht mit den
       Grünen koalieren.“ Kraft meinte, nachsetzen zu können: „Aber das ist auch
       keine Klarheit, Herr Rüttgers.“ Ein dummer Fehler, den ihr Kontrahent
       brillant nutzte: „Ja, ich habe nur nicht das Problem wie Sie, mich
       abgrenzen zu müssen von einer extremistischen Partei, weil die Grünen eine
       demokratische Partei sind.“ Ein klarer Wirkungstreffer. „Sie reden die
       ganze Zeit über die Linke, sie reden sie in den Landtag rein, weil das ihre
       einzige Machtoption ist, das ist eine perfide Strategie“, ätzte Kraft
       angeschlagen. "Ausdrücklich" wies Rüttgers das zurück: "Wenn die
       reinkommen, ist das ihre Schuld."
       
       Zum Glück für Kraft folgt danach das Thema Sponsoring. Hier sieht Rüttgers
       erwartungsgemäß alt aus. Allzu deutlich ist ihm anzumerken, dass er die
       peinliche Affäre der CDU schnell hinter sich bringen will. Er belässt es
       kurzangebunden bei der Versicherung, ein NRW-Ministerpräsident sei nicht
       käuflich. Zur Sache sagt Rüttgers nichts. Jeder hat seine Achilles-Ferse.
       
       Um kurz nach 21 Uhr endet das Duell mit den einstudierten Schlussworten der
       beiden Konkurrenten. Wie schon während fast des gesamten Abends kommt auch
       hierbei Kraft etwas besser rüber, wirkt dynamischer und näher am Menschen.
       Dem Fernsehpublikum zwinkert sie zum Abschied zweimal fröhlich zu.
       „Nordrhein-Westfalen ist ein wunderschönes Land“, beginnt Rüttgers mit
       feierlich-schwerer Stimme sein einstudiertes Statement. So
       patoralpathetisch hätte es Loriot nicht besser gekonnt. Dann ist die Show
       vorbei. Die Entscheidung am 9. Mai jedoch ist weiter völlig offen.
       
       27 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pascal Beucker
       
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