# taz.de -- Kommentar Kirgisien: Die Logik des Pogroms
       
       > Die Übergriffe in Kirgisien sind nicht einfach ein "ethnischer Konflikt".
       > In ihnen zeigt sich eine allgemeine Logik des Pogroms.
       
 (IMG) Bild: Usbeken aus Osch auf der Flucht ins Nachbarland Usbekistan am 17. Juni 2010.
       
       Pogrome gehören zum Schlimmsten, was Menschen einander antun können.
       Pogromtäter sind in moralischer Hinsicht Scheusale.
       
       Nach außen hin stellen sich die Ereignisse in Zentralasien als "ethnischer
       Konflikt" zwischen Kirgisen und Usbeken dar. In den Übergriffen zeigt sich
       aber eine allgemeine Logik des Pogroms, die immer wieder erkennbar wird. So
       sind die aktiven Täter fast ausnahmslos junge Männer, die die Marxisten
       einst dem "Lumpenproletariat" zurechneten. Angefeuert werden sie von einer
       Ideologie, die sie nicht selbst ersonnen haben und in der ihre
       Schlachtopfer als bedrohliche Schädlinge gebrandmarkt werden.
       
       Wieweit eine solche Ideologie durch Alkohol oder andere Tapferkeitsdrogen
       unterstützt oder ergänzt wird, ist praktisch unerheblich. Auf jeden Fall
       herrscht unter den Tätern während des Pogroms eine Feststimmung.
       
       Neben diesen Aktiven gibt es eine weitaus größere Zahl von Menschen, die
       sich aus den brennenden Geschäften und Häusern holen, was sie zu benötigen
       glauben. Auch sie lassen sich oft kurzzeitig von der Feststimmung
       anstecken; später sind sie wieder ernüchtert. Von ihnen sind jene zu
       unterscheiden, die die Pogrome organisieren. Holzknüppel, Eisenstangen und
       Brennmaterial sind zu beschaffen. Waffenlager müssen geschützt, Häuser von
       Opfern und Nicht-Opfern markiert werden. Es bedarf also verlässlicher
       Mitglieder von einschlägigen Organisationen oder Netzwerken. Und es braucht
       politisch lenkende Köpfe.
       
       Im Falle von Osch und Dschalalabad besteht kein Zweifel, dass hier das
       familiäre und freundschaftliche Netzwerk des im April vertriebenen
       usbekischen Präsidenten Bakijew aktiv geworden ist. Für eine Rückkehr an
       die Fleischtöpfe der Macht ist jedes Mittel recht. Wer die enthusiastischen
       Volksmassen zum Pogrom mobilisieren kann, hat eine fürchterliche Waffe in
       der Hand.
       
       Es ist in dieser Situation wenig aussichtsreich, von außen bewaffnet
       einzugreifen. Die russische Regierung handelt vielleicht amoralisch, aber
       nicht unklug, wenn sie den Bitten der provisorischen Regierung Kirgisiens
       nicht folgt. Auch vor dem Einsatz internationaler Friedenstruppen sollte
       man sich hüten. Sie werden zwischen Pogromtätern und Bevölkerung nicht
       unterscheiden können. Allenfalls kann man die provisorische Regierung in
       ihren Bemühungen unterstützen, wieder Ruhe herzustellen.
       
       Der Autor ist Politologe an der Uni Potsdam.
       
       15 Jun 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erhard Stölting
       
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