# taz.de -- WM-Bilanz III: Afrika auf Augenhöhe
       
       > Das Fußballfest spielt in Afrika, die Hexerei mit dem Tintenfisch in
       > Deutschland: Wie die WM Vorurteile zurechtrückte und was das für Afrika
       > und unser Bild davon bedeutet.
       
 (IMG) Bild: Ein Kontinent wurde entdeckt, so als habe es ihn bis dahin nicht gegeben.
       
       Als Deutschland gegen Uruguay am Samstagabend gerade 1:2 zurücklag, fragte
       mich ein Freund aus Uganda, wann wir denn endlich "diesen Tintenfisch"
       essen - Tintenfisch Paul, der sämtliche deutschen WM-Ergebnisse korrekt
       vorhergesehen hat.
       
       Paul wird nicht gegessen, antwortete ich, nachdem die deutsche Mannschaft
       den Ausgleich geschossen hatte. Die Bundesregierung brauche ihn noch, damit
       er ihr das Schicksal der schwarz-gelben Koalition verrät.
       
       Blitzschnell kam die Antwort: Könnten wir den Tintenfisch nicht nach Uganda
       ausleihen? In acht Monaten stehen dort Wahlen an. Bisher verliert der ewige
       Oppositionsführer Kizza Besigye immer gegen den ewigen Präsidenten Yoweri
       Museveni. Vielleicht könnte der Tintenfisch eine Vorhersage für 2011 wagen?
       Niemals!, schrieb ich zurück. Einen solchen Einsatz würde Paul nicht
       überleben. Nehmt doch eure eigenen Tintenfische.
       
       Wahrsagerei und Hexerei werden in Deutschland gerne mit Afrika in
       Verbindung gebracht. Pünktlich zur WM sind darüber sogar Bücher erschienen.
       Aber die Fußball-WM 2010 ist verkehrte Welt: Die Fußballspiele finden in
       Afrika statt, die Fußballhexerei in Deutschland. Fernsehteams aus aller
       Welt pilgerten nach Oberhausen zu Tintenfisch Paul. Man stelle sich vor,
       Paul lebte, sagen wir, in Nigeria. Was für ein belustigtes Entsetzen über
       afrikanischen Aberglauben würde das hier hervorrufen!
       
       Nicht nur deswegen verrät die mediale Afrika-Hysterie, die die WM in
       Deutschland hervorrief, mehr über Deutschland als über Afrika. So mancher
       blickte vor allem zu Beginn der WM auf Afrika mit geheuchelter Bewunderung
       wie auf ein Baby, dem seine ersten selbständigen Schritte geglückt sind.
       Ein Kontinent wurde entdeckt, so als habe es ihn bis dahin nicht gegeben.
       Ans Tageslicht kam damit allerdings nicht Afrika, sondern vor allem das
       deutsche Unwissen. In Ländern wie Frankreich oder Großbritannien, die
       Afrika besser kennen, war eine solche Attitüde selten.
       
       Im Laufe des Turniers wurden die Vuvuzelas leiser, das Staunen über Afrika
       trat hinter der Analyse der Sports zurück. Unbemerkt konnte Afrika damit
       sein eigenes Image zurechtrücken, und es traten einige Wahrheiten zum
       Vorschein. Erstens: Südafrika war ein mehr als kompetenter Gastgeber, und
       das muss niemanden wundern. Zweitens: Südafrika ist nicht mit Afrika
       gleichzusetzen; es gibt keinen Grund, warum afrikanische Teams in Südafrika
       besser abschneiden sollten als woanders. Allein Ghana kam voran, jubelte
       und wurde vor allem deswegen gefeiert, weil es sich erhobenen Hauptes aus
       dem Turnier verabschiedete.
       
       Der Schluss aus all dem lautet: Afrika ist nichts Besonderes. Weder im
       Positiven noch im Negativen, weder im Guten noch im Schlechten. Der Rest
       der Welt darf Afrika weder künstlich auf ein Podest stellen noch es
       rassistisch niedermachen. Afrika auf Augenhöhe - das ist die Bilanz der WM
       in Südafrika 2010.
       
       Afrika auf Augenhöhe, das ist ein Gedanke mit erheblicher Sprengkraft. Er
       entzieht vielen gutmenschelnden Dritte-Welt-Bestrebungen die Legitimität,
       jedenfalls solange sie Afrikaner nicht als eigenständig Handelnde ernst
       nehmen. Er nimmt Afrikas Machthabern zugleich die Ausreden für ihr eigenes
       Versagen. Nein, es ist nicht in Ordnung, wenn im Kongo über 250 Menschen
       sterben, weil ein Tanklastwagen neben einem WM-Public-Viewing in einem
       Schlagloch stecken bleibt, umkippt und explodiert. Nein, es ist nicht
       hinzunehmen, wenn sich Terroristen beim WM-Finale zwischen 1.000 Zuschauern
       in Uganda in die Luft sprengen und über 60 Menschen mit in den Tod reißen.
       
       Beide Ereignisse hätten genauso stattfinden können, wenn die WM in
       Deutschland gespielt hätte. Aber gerade weil die erste Fußball-WM auf
       afrikanischem Boden so perfekt ablief, weil Südafrika das Besondere als
       Normalität zelebrierte, stößt die niederschmetternde Realität von Afrikas
       Alltag besonders übel auf. Es ist nicht in Ordnung, wie elend das
       Townshipleben im südafrikanischen Winter ist, wenn direkt nebenan ein
       milliardenschweres Fußballfest läuft.
       
       Auch Zauberei und Hexerei, darauf wies mich mein Freund aus Uganda hin, ist
       in Afrika überhaupt kein Spaß. Es ist lebensgefährlich. In Uganda und
       Tansania, erzählte er, ist derzeit das Babyopfer in Mode. Einzelne Teile
       oder ganze Körper von möglichst "unbeschädigten" Babys, oder von
       Albino-Kindern, werden von witch doctors bei Zauberritualen geopfert, weil
       das angeblich demjenigen Reichtum schenkt, der das Opfer bringt. So haben
       jetzt immer mehr Eltern Angst, dass jemand ihre Kinder stiehlt, zum witch
       doctor bringt und rituell umbringen lässt, wenn sie zu perfekt sind. Um dem
       vorzubeugen, greifen immer mehr Eltern zur Jungenbeschneidung oder auch zum
       Ohrloch-Piercing bei kleinen Mädchen, damit die Babys bleibende Narben
       bekommen, die sie vor einer Entführung zwecks Opferkult schützen.
       
       Wer glaubt denn ernsthaft, dass ein Babyopfer reich macht, fragte ich
       zurück. Wer sind diese witch doctors überhaupt? Es sind, antwortete er,
       einfach Betrüger, die Habgier ausnutzen: Sie versprechen schnellen Reichtum
       ohne Arbeit, allein durch die Opferung von etwas, was einem selbst nicht
       gehört. Ähnlich wie die globalen Finanzmärkte, die mit fremdem Geld zocken.
       Es ist ein universelles Prinzip. Und die Angstreaktion der Eltern ist da
       völlig rational.
       
       Auch um all dies zu verstehen und zu beurteilen, gilt: Afrika ist nichts
       Besonderes. Es sind an Afrika keine anderen Maßstäbe anzulegen. Gerade auch
       während einer Fußballweltmeisterschaft - und wenn sie vorbei ist.
       
       12 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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