# taz.de -- WM-Bilanz II: Hinter dem Jubel wächst die Wut
       
       > Südafrika hat vier Wochen lang friedlich zusammengelebt. Und nun, wenn
       > alles vorbei ist? Die sozialen Verteilungskämpfe beginnen von neuem. Und
       > sie werden härter.
       
 (IMG) Bild: Vier Wochen lang zusammen gejubelt. Und jetzt?
       
       KAPSTADT taz | Als der südafrikanische Nationalspieler Siphiwe Tshabalala
       im WM-Eröffnungsspiel gegen Mexiko das erste Tor schoss, explodierte
       Südafrika in Euphorie. Die WM war endlich in Afrika angekommen, und
       Südafrikaner schienen es kaum fassen zu können. Es war fast schon surreal -
       endlich konnte man mitten in der Nacht sicher durch die Straßen spazieren,
       die Menschen feierten bunt gemischt zusammen, das Land stellte sich
       geschlossen hinter sein zuvor geächtetes Nationalteam.
       
       Man hörte Südafrikaner die WM-Stimmung mit der Stimmung nach Nelson
       Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis vor zwanzig Jahren vergleichen. Der
       tägliche Überlebenskampf war für vier Wochen abgeschaltet.
       
       "Ich war total überrascht, wie gut alles gelaufen ist", fasst die
       31-jährige Bankangestellte die Stimmung zusammen. "Das Bemerkenswerteste
       für mich war die Sicherheit, denn das ist normalerweise etwas, worüber wir
       uns Sorgen machen. Ich habe mich zu keinem einzigen Augenblick während der
       WM unsicher oder gefährdet gefühlt. Das hat die WM zu so einer positiven
       Erfahrung gemacht."
       
       Neben dem Sicherheitsgefühl freut sich Faieda über die neue Infrastruktur:
       "Unsere neuen Busse, Stationen, Stadien, Straßen - das ist alles wirklich
       toll. Hätte die WM nicht bei uns stattgefunden, hätten wir vieles davon
       erst in vielen Jahren gesehen, Oder vielleicht auch nie."
       
       Ein neugewonnenes Selbstbewusstsein, ein neues positives Selbstbild - das
       ist jetzt zum WM-Abschluss bei Südafrikanern unterschiedlichster
       Hintergründe spürbar. "Diese WM war die großartigste, die ich je gesehen
       habe", sagt Adam Salie, ein "farbiger" Klempner. "Niemand hat uns
       zugetraut, dass wir so einen guten Job machen. Aber die WM war makellos.
       Wirklich spitzenmäßig." Honorattar, eine Xhosa-Haushaltshilfe aus dem
       Township Khayelitsa, die von 100 Euro im Monat lebt, meint: "Ich glaube,
       diese Weltmeisterschaft könnte unser Land verändern. Vielleicht werden die
       Menschen, die hergekommen sind und gesehen haben, wie gut alles ist,
       nochmal zurückkommen."
       
       So hat die WM in Südafrika vier Wochen lang Balsam auf alte Wunden gelegt.
       Der viel missbrauchte Begriff "Ubuntu", der für ein afrikanisches
       Zusammengehörigkeitsgefühl stehen soll, scheint plötzlich zu stimmen. Nicht
       Weiße, Schwarze, Farbige und so weiter haben die Welt willkommen geheißen,
       sondern Südafrikaner. "Die WM hat viele Südafrikaner jenseits von
       Rassenzugehörigkeit vereint - wenn auch natürlich nicht jeden", sagt Suren,
       ein indischstämmiger Videokünstler aus Durban.
       
       Doch nicht alle haben von der WM profitiert. Thabo, Sicherheitswächter aus
       dem Kapstädter Township Philippi, schließt sich der ganzen Euphorie nicht
       an: "Ich sehe keine Veränderung durch die WM. Keine Jobs. Keine
       Veränderung. Die Regierung hat gesagt, mit der Weltmeisterschaft werden
       Jobs kommen. Aber es gibt keine Jobs. Und auch keine Häuser. In Kapstadt
       gibt es jetzt weniger Kriminalität. Aber in Philippi ist alles gleich
       geblieben."
       
       Der Klempner Adam Salie, der die WM eigentlich "großartig" findet, fühlt
       sich genauso desillusioniert: "Wir haben überhaupt nichts durch die
       Weltmeisterschaft gewonnen. Alle Vuvuzelas und Klamotten wurden in China
       hergestellt. Meine Frau arbeitet in einer Bekleidungsfabrik, und die hat
       keinen neuen Auftrag durch die WM bekommen. Ich hoffe, wir bekommen noch
       einmal eine WM und dass wir dann Geld machen können."
       
       Die Bevölkerungsgruppe, die die WM wohl am wenigsten als Segen sah, sind
       die vielen afrikanischen Einwanderer in Südafrika. Wie paradox: Südafrika
       vermarktete diese WM als Weltmeisterschaft für ganz Afrika - und es sind
       die Immigranten aus ganz Afrika, die jetzt in Südafrika nach der WM um ihr
       Leben und ihr Hab und Gut fürchten müssen. Die immer wieder angekündigten
       xenophoben Attacken liegen in dieser Woche wie ein dunkler Schatten über
       der WM-Schlussphase. Wer aufmerksam durch die Straßen von Kapstadt geht,
       kann zwischen den vielen fröhlichen Gesichtern auch eingeschüchterte,
       angsterfüllte, aber auch wütende Mienen sehen.
       
       Tony, ein junger Simbabwer, der in der simbabwischen Hauptstadt Harare IT
       studiert hat, jetzt aber in Kapstadts Innenstadt Sandwiches verkauft, sagt:
       "Die einzige gute Veränderung, die die WM gebracht hat, ist die verbesserte
       Infrastruktur. Aber wir, die Ausländer, wir werden bald Ärger haben. Sie
       wollen uns hier vertreiben. Ich werde meine Sachen nehmen und am Wochenende
       zurückgehen, auch wenn ich in Simbabwe keine Aussicht auf einen Job habe.
       Südafrikaner sind so xenophob, weil sie keine Ahnung haben, wie die Welt
       außerhalb ihres Townships aussieht. Sie wissen nicht einmal, wie
       Johannesburg aussieht! Viele Südafrikaner fragen mich: Wozu brauche ich
       einen Pass? Eish! Es interessiert sie nicht einmal, einen Pass zu haben.
       Alles, was sie können, ist, sich bei den Gewerkschaften beschweren."
       
       Was von den vielen guten Nebenwirkungen der WM wird also bleiben - und was
       wird verfliegen? Theo Pieters, Bauarbeiter aus Kuilsriver, der anlässlich
       der WM nach vier Jahren Arbeitslosigkeit endlich einen Job gefunden hatte,
       findet: "Die Weltmeisterschaft hat die Menschen hier näher aneinander
       gebracht. Weil die Welt auf uns aufmerksam ist, rücken die Menschen
       zusammen. Aber ich glaube nicht, dass das nach der WM so bleibt."
       
       Joe, ein Abkömmling des Indigenenvolkes der San, der in Kapstadt einen
       Rastafari-Laden betreib, sieht die Nachhaltigkeit kritisch: "Die
       Weltmeisterschaft war eine gute Erfahrung für uns. Aber um die Menschen
       wieder zusammenbringen wie jetzt, werden wir ein neues Event wie die WM
       brauchen. Während des Events vergessen die Menschen ihren täglichen
       Überlebenskampf. Unsere Gesellschaft ist völlig unfair. Ich bin ein sehr
       wütender Mann, und ich denke, es geht vielen so. Uns wurde unser Land
       weggenommen. Mit Ende der Apartheid haben sie uns Freiheit gegeben, aber
       was für eine Freiheit habe ich? Ich habe die Freiheit, arm zu sein und um
       mein Überleben zu kämpfen, ohne die Aussicht, jemals ein Stück Land oder
       gar eine kleine Wohnung zu besitzen. Die Weltmeisterschaft war eine schöne
       Erfahrung, aber die Menschen hier sind wütend. Die Dinge hier gleichen sich
       nicht aus."
       
       10 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elena Beis
       
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