# taz.de -- Afghanistan-Protokolle von Wikileaks: Die neue Weltmedienmacht
       
       > Für eine der größten Enthüllungen seit Jahren arbeitete die Internetseite
       > "Wikileaks" mit drei klassischen Medien zusammen. Diese jubeln. Denn: Sie
       > fühlen sich gebraucht.
       
 (IMG) Bild: Kann sich nach dem neuen Coup von Wikileaksein wenig entspannen: Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt.
       
       Das hat es noch nicht gegeben: Ein deutsches Magazin, eine englische und
       eine US-amerikanische Zeitung werten gemeinsam Tausende geheime
       Militärdokumente aus - zur Verfügung gestellt von einer Internetseite, die
       ein australischer Exhacker gegründet hat. Als "Medienpartner" werden der
       Spiegel, der Guardian und die New York Times auf der Webpage der
       Whistleblowerplattform "Wikileaks" bezeichnet. Ein Begriff, den man sonst
       eher von Open-Air-Festivals oder Tennisturnieren kennt, an die sich
       Regionalzeitungen kletten, um lobhudelnd über sie zu berichten.
       
       Doch diese neue Form der Medienpartnerschaft hat das Potenzial, die Welt zu
       verändern - zum Besseren. Denn für die nun von den drei Medien
       veröffentlichten "Kriegstagebücher" aus Afghanistan wurden die Stärken des
       neuen Mediums Wikileaks mit denen der alten Medien kombiniert: Wikileaks
       schafft es, an Dokumente zu kommen, die sonst keiner bekommt. Und der
       Spiegel, der Guardian und die New York Times machen das, was sie am besten
       können: Sie analysieren die Dokumente, checken sie gegen, ordnen ein,
       bewerten. Und sie sorgen dafür, dass die Leser die mehr als 90.000
       Dokumente überhaupt bewältigen können.
       
       Auf den Onlineseiten der [1][New York Times] sind die wichtigsten der
       internen militärischen Meldungen aus Afghanistan nachzulesen, mit einer
       Kurzusammenfassung und einer Übersetzung der zahlreichen Kürzel. Der
       [2][Guardian] hat eine interaktive Karte angelegt, in der die aus Sicht der
       englischen Zeitung 300 wichtigsten Ereignisse der "Kriegstagebücher"
       eingezeichnet sind. Aus einer weiteren Karte geht hervor, wann und wo
       zwischen 2004 und 2009 Sprengvorrichtungen, sogenannte IEDs, explodierten.
       
       Ein "Musterbeispiel" einer Zusammenarbeit mit den Medien, sieht der
       Sprecher von Wikileaks, Daniel Schmitt. "Wir haben das Material, aber nicht
       die Kapazitäten, es auszuwerten." Auch David Leigh, Chef der
       Investigativabteilung beim Guardian, schwärmt von der Partnerschaft mit
       Wikileaks, die auch zeige, dass die alten Medien nicht tot seien. "Man
       braucht nach wie vor Journalisten, die das Material bearbeiten und eine
       fundierte Analyse erstellen", sagte Leigh der taz.
       
       Für Wikileaks ist die Veröffentlichung der "Kriegstagebücher" zugleich ein
       Befreiungsschlag. Denn nach drei Jahren, in denen die Plattform ein
       brisantes Dokument nach dem anderen ins Netz stellte - ein geheimes
       Guantánamo-Handbuch etwa oder Interna zum isländischen Bankenskandal -,
       wurde vor acht Wochen erstmals eine Wikileaks-Quelle enttarnt: Der
       22-jährige US-Soldat Bradley Manning. Dem drohen nun bis zu 52 Jahre Haft,
       weil er Wikileaks unter anderem ein geheimes Video zugespielt haben soll.
       In dem Mitschnitt von der Bordkamera eines US-Kampfhubschraubers ist zu
       sehen, wie US-Soldaten in Bagdad grundlos mehrere Zivilisten töten. Auch
       wenn Wikileaks nichts für die Enttarnung konnte - Manning soll von einem
       Hacker verraten worden sein, mit dem er gechattet hatte -, so war der
       Vorfall doch als schwerer Rückschlag für die Organisation gewertet worden.
       
       Mit der Veröffentlichung der geheimen Dokumenten über den Afghanistankrieg
       kann Wikileaks seinen Kritikern kontern - auch jenen, die das
       Enthüllungsportal und seine Macher seit Wochen wegen angeblich veruntreuter
       Spendengelder unter Druck setzen. Die Vorwürfe richten sich gegen den
       australischstämmigen Wikileaks-Gründer Julian Assange und sind bei der
       Website Cryptome nachzulesen, die ebenfalls auf die Veröffentlichung
       brisanter Dokumente spezialisiert ist.
       
       Der New Yorker Architekt John Young, der Cryptome betreibt, wirft Assange
       vor, Spenden an Wikileaks für einen aufwendigen Lebensstil zu missbrauchen.
       Young gehörte ursprünglich zu den Gründungsmitgliedern von Wikileaks.
       "Wikileaks gibt keinerlei Rechenschaft über die Spenden ab", sagte John
       Young in einem Interview mit dem Fachdienst CNET. Er kritisiert "Wikileaks"
       als "sektenhaft" und "geldgierig".
       
       Auf Youngs Website schätzen anonyme "Insider" die Ausgaben von Assange für
       Reisen und Unterkünfte in den letzten drei Monaten auf 52.000 US-Dollar.
       Assange habe - trotz fehlendem Einkommen - im vergangenen Jahr 225.000
       Dollar für persönliche Ausgaben verbraucht, behaupten die "Wikileaks
       Insider" auf Cryptome - allerdings ohne Belege. Nur der Wikileaks-Chef habe
       Zugriff auf Spenden, es gehe zu wie in einer Diktatur.
       
       Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt aus Deutschland wies die Vorwürfe
       gegenüber der taz zurück. "Die angeblichen Insider haben nicht im
       Entferntesten etwas mit uns zu tun. Sie schreiben Dinge, die weder Hand
       noch Fuß haben", sagte er. Schmitt ist neben Assange der einzige, der für
       Wikileaks öffentlich auftritt - wenn auch unter falschem Nachnamen.
       
       Das bislang eine öffentlich nachvollziehbare Buchführung fehle, liegt laut
       Schmitt auch daran, dass die Wikileaks-Macher das Projekt bis vor kurzem
       mit ihrem eigenen Geld finanziert haben: "2009 habe ich 25.000 oder 30.000
       Euro aus privater Tasche in dieses Projekt gesteckt. Da schreibe ich doch
       nicht in der Zeit einen Jahresbericht."
       
       Die Lage änderte sich Ende letzten Jahres, als Wikileaks erfolgreich einen
       Spendenaufruf startete, um den drohenden Bankrott des Projektes abzuwenden.
       Den bisherigen Höhepunkt erreichte der Spendenfluss, nachdem Wikileaks im
       April das US-Militärvideo aus Bagdad im Internet veröffentlichte. Seitdem
       sind aus Europa mehr als 400.000 Euro auf das Konto der gemeinnützigen Wau
       Holland Stiftung eingegangen, die das Geld für Wikileaks treuhänderisch
       verwaltet.
       
       Das größte Hindernis für die Weiterentwicklung von Wikileaks ist laut
       Schmitt die dünne Personaldecke. Noch immer werde die Hauptarbeit von einem
       fünfköpfigen Kernteam bewältigt, das bislang ohne Bezahlung in Vollzeit für
       das Projekt arbeite. Zwar gebe es viele Hilfsangebote von Unterstützern,
       aber diese in hochbrisante Projekte einzubinden, sei schwierig.
       
       Wikileaks-Chef Julian Assange bestätigte in der vergangenen Woche bei einem
       seiner seltenen öffentlichen Auftritte, der Mangel an qualifizierten und
       vertrauenswürdigen Mitarbeitern würde auch beim Ausbau der Computersysteme
       von Wikileaks zu Engpässen führen. "Zur Zeit bauen wir unsere Technik
       grundlegend um", sagte Assange bei einer Konferenz in Oxford. Ein Ziel sei
       dabei, die Computerkapazitäten von Wikileaks an das riesige öffentliche
       Interesse anzupassen. Über einige Wochen hätte das die Funktionsfähigkeit
       der Website von Wikileaks beeinträchtigt. Durch die Umstellung sei auch die
       Zahl der Veröffentlichungen in den letzten Monaten gering gewesen. "Wir
       erhalten weiterhin viele Enthüllungsdokumente von hoher Qualität", sagte
       Assange. "Aber wir haben nicht genügend Leute, um diese Informationen zu
       verarbeiten."
       
       Auch die Medienpartnerschaften will Wikileaks ausbauen. Bisher, so Sprecher
       Schmitt, suche man sich Medien und Redakteure aus, denen man eine solide
       Arbeit zutraue. In Zukunft sollen aber die Whistleblower selbst - also die
       Quellen, die anonym ihr Material einreichen - entscheiden, welche Medien
       das Erstzugriffsrecht haben. Erst nach einer bestimmten Zeit stellt
       Wikileaks die Daten dann komplett auf seine Seite. Wie auch bei den
       "Kriegstagebüchern". Seit Sonntagabend, 21.50 Uhr, kann sich jeder durch
       die Dokumente aus dem Afghanistankrieg wühlen - sofern die Server wegen des
       großen Ansturms nicht gerade überlastet sind.
       
       26 Jul 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.nytimes.com/2010/07/26/world/asia/26warlogs.html?_r=1&bl
 (DIR) [2] http://www.guardian.co.uk/world/blog/2010/jul/26/afghanistan-war-logs-wikileaks
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) T. Ahmia
 (DIR) W. Schmidt
       
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