# taz.de -- Nach Ausbildung verschwundene Polizisten: Deutsches Debakel in Somalia
       
       > Unter Umgehung von UN-Richtlinien bezahlte Deutschland eine Million Euro
       > für die Ausbildung von 1000 somalischen Polizisten. Nun sind die Personen
       > nicht mehr aufzufinden.
       
 (IMG) Bild: Gleichschritt: somalische Soldaten.
       
       NAIROBI taz | Fast 1.000 somalische Polizisten, die Anfang des Jahres mit
       deutschem Geld in Äthiopien ausgebildet wurden, sind auf dem Weg in die
       somalische Hauptstadt Mogadischu spurlos verschwunden. Weder die somalische
       Übergangsregierung noch die deutsche Regierung sehen sich in der Lage, die
       Polizisten, deren Ausbildung Ende Mai abgeschlossen sein sollte, ausfindig
       zu machen. Dies erfuhr die taz aus verlässlichen diplomatischen Quellen in
       der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Der zuständige Referent im Auswärtigen
       Amt wollte sich am Donnerstag dazu nicht äußern.
       
       Noch vor einer Woche, beim Gipfeltreffen der Afrikanischen Union im
       ugandischen Kampala, bezeichnete Bundesaußenminister Guido Westerwelle die
       deutsche Hilfe beim Aufbau der Polizei, die neben der Ausbildung auch die
       befristete Übernahme der Gehaltskosten umfasst, als "substanziellen
       Beitrag" zur Stabilisierung Somalias. Doch derzeit ist nicht
       auszuschließen, dass manche oder alle mit deutschem Geld ausgebildeten
       Sicherheitskräfte an der Seite äthiopischer Truppen kämpfen - oder sogar
       auf die Seite islamistischer Milizen gewechselt sind.
       
       Das Verschwinden der Sicherheitskräfte ist der Höhepunkt einer Affäre, die
       unter Somalia-Spezialisten seit Monaten für Unverständnis sorgt. Dabei geht
       es um eine Million Euro aus Mitteln des Auswärtigen Amtes, die der
       äthiopischen Regierung zugesagt wurden, um 1.000 Somalier zu Polizisten
       auszubilden.
       
       Problematisch ist nicht diese Zusage selbst. Denn die UN haben immer wieder
       die Notwendigkeit betont, im gesetzlosen Somalia mit Polizeikräften für
       mehr Sicherheit zu sorgen und Gebernationen wie Deutschland schon
       wiederholt um Unterstützung gebeten, weil erst nur wenige der benötigten
       10.000 Polizisten ausgebildet werden konnten. Doch anstatt das Training mit
       den zuständigen UN-Stellen abzustimmen, unternahm Deutschland einen
       Alleingang, der fatale Folgen haben könnte.
       
       So versäumte es das Auswärtige Amt nach Angaben eines UN-Diplomaten in New
       York, den Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsrats oder das
       Entwicklungshilfeprogramm UNDP zu informieren, obwohl derlei militärische
       Hilfen für die somalische Übergangsregierung, zu denen auch
       Ausbildungsmaßnahmen gehören, angemeldet und genehmigt werden müssen.
       
       Denn um einheitliche Standards bei der Ausbildung von Sicherheitskräften zu
       gewährleisten, haben die UN nicht nur einen Lehrplan entwickelt. Sie
       kontrollieren auch bei Ausbildungen durch Dritte, dass ihre Standards
       eingehalten werden. Dazu gehören die Beachtung von Menschenrechtsfragen,
       Geschlechtergerechtigkeit, HIV/Aids und die Grundlagen von "community based
       policing", also einer Polizeiarbeit, die nicht gegen, sondern mit der
       Bevölkerung durchgeführt wird. Die UN kontrollieren zudem die
       Teilnehmerlisten, um zu gewährleisten, dass weder Kindersoldaten noch
       Angehörige ausschließlich eines Clans ausgebildet werden. Auf dieser
       Grundlage übernehmen sie die Kosten für Uniformen, Ausrüstung und Gehälter.
       
       Wie wichtig dies ist, zeigt sich auch bei der von der UN legitimierten
       EU-Trainingsmission zum Aufbau der somalischen Armee. Die EU hat
       zugesichert, die Gehälter der Soldaten zu übernehmen, die derzeit in einem
       Camp in Uganda ausgebildet werden. "2.000 trainierte Soldaten können im
       somalischen Bürgerkrieg den entscheidenden Unterschied machen", sagt Juan
       Pita, der Sprecher der EU-Trainingsmission.
       
       Die Zahl der islamistischen Al-Shabaab-Milizionäre schätzt er auf 3.000 bis
       4.000, die Afrikanische Union hat zum Schutz der Übergangsregierung 6.000
       Soldaten in Somalia stationiert. In den vergangenen Wochen scheint es ein
       militärisches Patt zu geben. Umso bedeutender ist es für die internationale
       Gemeinschaft, dass die Übergangsregierung nicht weiter destabilisiert wird
       - erst recht nicht durch gut ausgebildete Sicherheitskräfte, die die Seiten
       wechseln.
       
       Die aus Deutschland finanzierte, aber allein von Äthiopiern durchgeführte
       Polizeiausbildung fand unter strengster Geheimhaltung statt. Der
       Trainingsplatz von Hurso liegt in Äthiopiens östlicher Ogaden-Region, die
       an Somalia grenzt und ohne Sondergenehmigung nicht bereist werden kann.
       
       Was diesmal genau mit deutschen Steuergeldern dort unterrichtet wurde, ist
       ebenso ungewiss wie die Frage, nach welchen Kriterien die Rekruten
       ausgesucht wurden. Deutsche Ausbilder jedenfalls waren nicht beteiligt.
       Dreimal versuchten UN-Beobachter vergeblich, nachdem sie davon erfahren
       hatten, sich ein Bild von der Lage zu machen - stets wurden die geplanten
       Besuche in letzter Minute abgesagt. Medienanfragen, die persönlich an den
       Büroleiter des äthiopischen Außenministers Mulugeta Zewdie gerichtet sein
       mussten, wurden nie beantwortet.
       
       Immerhin nahm der deutsche Vizebotschafter Michael Biontino Ende Mai an der
       Abschlussfeier teil. Im staatlichen äthiopischen Fernsehen erklärte er,
       Deutschlands Unterstützung für das Training zeige den Wunsch der
       Bundesrepublik, Verbrechen und Instabilität in Somalia zu bekämpfen. Doch
       spätestens mit dem Verschwinden der Polizisten drängt sich die Frage auf:
       Hat Äthiopien womöglich mit deutschem Geld anstelle von Polizisten
       paramilitärische Truppen ausgebildet?
       
       Denn es ist nicht nur so, dass der UN-Sanktionsausschuss für Somalia dem
       Nachbarland derlei Verstöße gegen das Waffenembargo vorwirft. Allein den
       Umstand, dass ausgerechnet Äthiopien mit der Auswahl und dem Training der
       Polizisten beauftragt wurde, halten Somalia-Experten wie Ulrich Delius von
       der Gesellschaft für bedrohte Völker für nicht nachvollziehbar: "Man hätte
       kein schlimmeres Land finden können, um Sicherheitskräfte für Somalia
       auszubilden." Spätestens seit dem Truppeneinmarsch in Somalia Ende 2006 ist
       Äthiopien selbst Partei im somalischen Bürgerkrieg. "Da hat man den Bock
       zum Gärtner gemacht", meint Delius.
       
       Der UN-Sanktionsausschuss warnt zudem vor "unbeabsichtigten Konsequenzen"
       der Unterstützung im Sicherheitsbereich: "Etwa 80 Prozent der ausgebildeten
       Sicherheitskräfte desertieren und nehmen ihre Waffen, Munition, Ausrüstung,
       Uniformen und das gelernte Wissen mit", heißt es in einem im Dezember
       vergangenen Jahres veröffentlichten Bericht. Genau das sollen die
       UN-Kontrollen und die Gehaltszusagen verhindern. Den zuständigen Diplomaten
       war das ebenso bekannt wie allen anderen, die mit Sicherheitsfragen in
       Somalia betraut sind. Warum sich die Deutschen nicht danach richteten, ist
       unklar.
       
       Womöglich war es Unvermögen der Verantwortlichen. Ein diplomatischer
       Schriftwechsel vom Januar, der der taz vorliegt, gesteht nicht nur deutsche
       Fehler bei den Absprachen ein, sondern stellt auch offen die Frage, ob die
       Vereinten Nationen die Folgekosten des deutschen Alleingangs übernehmen
       würden. Die dort Verantwortlichen lehnten dies ab, ebenso wie eine Anfrage
       der äthiopischen Regierung, ob die fertig ausgebildeten Polizisten von den
       UN nach Mogadischu geflogen werden könnten. Für den Rücktransport, so hieß
       es von Äthiopiens Regierung, habe Deutschland kein Geld bereitgestellt.
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass die äthiopische Regierung ohne Absprache
       somalische Polizisten ausbildet. Nach einer ersten Ausbildung von 1.000
       Polizisten ersuchte sie die UN darum, deren Gehälter zu übernehmen.
       Schließlich einigte man sich auf ein dreiwöchiges Aufbautraining in
       Mogadischu, wo die Rekruten auf UNDP-Standards gebracht werden sollten.
       Nach dem Bekanntwerden der unangemeldeten Ausbildung in Äthiopien beschloss
       man, auch die in Hurso trainierten Polizisten einem solchen Aufbautraining
       zu unterziehen. Nur unter dieser Bedingung waren die UN-Stellen dazu
       bereit, die deutschen Gelder für die Gehälter der Polizisten auch an diese
       auszubezahlen - wenngleich nur für ein halbes Jahr. Denn zu mehr sei
       Deutschland nicht bereit gewesen, weiß ein ausländischer Diplomat. "Selbst
       das war wie Zähneziehen."
       
       Sogar wenn die Polizisten nicht verschwunden wären oder sie wieder
       auftauchen, verweist diese Befristung auf eines der größten Probleme der
       Polizeiausbildung: "Es ist durchaus möglich, dass man da Polizisten
       ausbildet, die am Ende für diejenigen kämpfen, die am meisten zahlen",
       glaubt Delius. Was für eine Langzeitwirkung unkoordinierte Ausbildungen in
       einem Land haben können, wo trainierte Kämpfer begehrte Mangelware sind,
       zeigt das Beispiel der britischen Sicherheitsfirma Hart Group. Diese
       bildete zwischen 1999 und 2002 in der Region Puntland im Norden Somalias im
       Auftrag der dortigen Regierung eine Küstenwache aus. Der Auftrag umfasste
       den Umgang mit Waffen, das Entern von Schiffen und taktisches Vorgehen auf
       dem Meer. Als die Küstenwächter nicht mehr bezahlt wurden, orientierten sie
       sich neu. Heute gehören sie am Horn von Afrika zu den erfolgreichsten
       Piraten.
       
       29 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marc Engelhardt
       
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 (DIR) Mit deutschem Geld ausgebildete Polizisten: An der somalischen Bürgerkriegsfront
       
       Die 1.000 mit deutschem Geld ausgebildeten Polizisten, über deren
       Verschwinden die taz kürzlich berichtet hatte, stehen nun im somalischen
       Kriegsgebiet.
       
 (DIR) Trainingsprogramm in Somalia: Deutschland sucht verschwundene Polizei
       
       Die Bundesregierung will den Verbleib somalischer Polizisten, "konsequent
       nachverfolgen". Es wird spekuliert, dass sie sich im somalisch-äthiopischen
       Grenzgebiet aufhalten.
       
 (DIR) Kommentar Somalia: Deutschland im somalischen Sumpf
       
       Wer den Konflikt am Horn von Afrika lösen will, sollte den Mut haben,
       direkt militärisch einzugreifen – oder ganz die Finger davon lassen.