# taz.de -- Geo-Engineering gegen Klimawandel: Plan B funktioniert nicht
       
       > Eine "Schwefelglocke" für die Atmosphäre, CO2-Lager unter der Erde:
       > Versuche, mit Geo-Engineering den Klimawandel zu bremsen, sind nicht nur
       > fragwürdig – sie kommen auch zu spät.
       
 (IMG) Bild: Flucht vor der Schmelze: Eine Eisbärenmutter mit ihren Jungen im Gebiet der Nordwest-Passage in Kanada.
       
       "Man kann da nicht einfach auf die Bremse treten", sagt John Moore,
       Gletscherforscher und Professor mit dem Spezialgebiet Klimawandel an der
       Lappland-Universität im finnischen Rovaniemi: "Bei der Erwärmung der
       Erdatmosphäre ist zu viel Trägheit im System. Der Anstieg des
       Meeresspiegels wird deshalb dann erst einmal unaufhaltsam weitergehen." Bis
       zum Jahre 2100 werde sich dieser Anstieg auf 50 bis 100 Zentimeter
       belaufen, meint Moore. Je nachdem ob zwischenzeitlich mehr oder weniger
       durchgreifende Erfolge bei der Klimagasreduktion gemacht werden könnten.
       
       Selbst wenn einzelne der "extremsten" bislang diskutierten
       Geo-Engineering-Projekte verwirklicht würden, werde dies nur zu einem um 20
       bis 30 Zentimeter geringeren Anstieg des Meeresspiegels führen. Errechnet
       hat Moore dies zusammen mit der Ozeanografin Svetlana Jevrejeva und dem
       Glaciologen und Statistiker Aslak Grinsted in einer jetzt in der
       Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)
       [1][veröffentlichten] Studie.
       
       Unter Berücksichtigung historischer Daten aus den letzten 300 Jahren, vor
       allem Messwerten von Pegeln und Aufzeichnungen über Gezeitenunterschiede,
       haben die ForscherInnen verschiedene Szenarien über den Einfluss einiger
       Geo-Engineering-Pläne auf das Niveau des Meeresspiegels durchgerechnet.
       Einerseits Vorschläge, die die Einstrahlung des Sonnenlichts auf die Erde
       vermindern wollen. Was zu einem Abkühlungsprozess führen soll.
       
       Zum anderen Projekte zur Modifikation des Kohlenstoff-Zyklus, die den
       Klimagasgehalt der Atmosphäre tatsächlich reduzieren würden. Abgesehen von
       der Frage ihrer Realisierbarkeit halten sie die meisten derartigen
       "Notbremsen" entweder für unverhältnismäßig teuer oder sie schätzen sie in
       ihren Nebenwirkungen als unkalkulierbar ein: Alle seien darüberhinaus in
       ihrem Einfluss auf die Erwärmung der Erdatmosphäre und damit den Anstieg
       des globalen Meeresspiegels letztendlich zu wenig wirksam.
       
       Mit Hilfe von Ballons oder Flugzeugen Millionen Tonnen feinster
       Schwefelteilchen in einer Höhe von 10 bis 50 Kilometer in der Stratosphäre
       zu verteilen, wird derzeit als eines der erfolgversprechendsten
       Geo-Engineering-Projekte diskutiert. In kleinerem Maßstab wurde dies in
       Russland bereits getestet.
       
       Die Grundidee stammt von dem Meteorologen und Chemienobelpreisträger Paul
       J. Crutzen: Chemische Reaktionen würden das Schwefeldioxid in der
       Atmosphäre in Sulfat-Partikel umwandeln. Diese wirkten dann wie ein Spiegel
       und würden einen Teil der Sonnenstrahlung zurück ins All reflektieren.
       Damit dieser Effekt Wirkung entfalten könnte, müsste alle ein bis zwei
       Jahre eine solche Menge an Schwefel-Aerosolen in die Atmosphäre gepumpt
       werden, wie sie etwa bei einem der größten Vulkanausbrüche der Neuzeit, dem
       des philippinischen Vulkans Mount Pinatubo im Jahre 1991, freigesetzt
       wurden.
       
       Mit einer solchen "Schwefel-Glocke" über der Erde und einer gleichzeitigen
       Umsetzung ehrgeiziger Klimagasreduktionsziele könne durchaus - aber eben
       auch nur - eine Abbremsung des globalen Temperaturanstiegs um ein Grad und
       ein Abbremsen des Anstiegs des jetzigen Meeresspiegelniveaus auf 30
       Zentimeter bis 2100 erreicht werden, meint die Co-Autorin Svetlana
       Jevrejeva [2][in einem BBC-Interview]. Das Kohlendioxid würde mit einem
       solchen Projekt jedoch nicht verschwinden.
       
       Zudem "wissen wir ganz einfach nicht, wie das globale Öko-System darauf
       reagiert". Im Ergebnis würde ein derart wahnwitziges Experiment nur
       kommenden Generationen "ein immenses Risiko aufhalsen". Ineffektiver und
       auch noch wesentlich kostspieliger sei eine Dämpfung der Sonneneinstrahlung
       mit Hilfe riesiger "Weltraumspiegel", die auf eine Erdumlaufbahn gebracht
       werden sollen.
       
       Die Alternative der ForscherInnen: Speichern von CO2 in Biomasse. Das
       weitreichendste aller Aufforstungsmodelle, das nicht nur mittlerweile
       abgeholzte Erdregionen, sondern auch zusätzlich Gegenden, in denen bislang
       kein Wald gewachsen war, umfassen müsste, würde den CO2-Gehalt in der
       Atmosphäre bis 2060 um bis zu 42 ppm senken können. Eigentlich ein durchaus
       ansehnlicher Wert, der aber weit hinter den 100 ppm des anthropogen
       verursachten Anstiegs der Treibhausgaskonzentration seit Beginn der
       Industrialisierung auf aktuell rund 388 ppm liegen würde. Außerdem sei eine
       derartige umfassende Bewaldung des Globus weder realistisch noch
       beispielsweise aus Gründen des Wasserhaushalts wünschenswert.
       
       Ein demgegenüber vergleichsweise hohes Klimagas-Reduktions-Potenzial räumt
       die Studie BECS-Modellen (Bioenergy with carbon storage) ein, dem
       umfassenden Einsatz von biologischen Brennstoffen mit gleichzeitiger
       Abscheidung und Lagerung des dabei frei werdenden Kohlendioxids. Gelinge
       es, eine sichere unterirdische Lagermethode für das bei der Verbrennung von
       Agrobrennstoffen - also nicht fossilen Brennstoffen wie Kohle und Erdgas -
       frei werdende CO2 zu finden, könne der Klimagasgehalt in der Atmosphäre
       langfristig auf ein vorindustrielles Niveau gesenkt und der
       Meeresspiegelanstieg bis 2100 auf 22 bis 38 cm begrenzt werden. Ungeklärt
       seien hier aber Fragen wie die nach dem tatsächlichen
       Agrobrennstoff-Potenzial der Landwirtschaft in Konkurrenz zur
       Lebensmittelproduktion oder der Energiebedarf für die BECS-Technik.
       
       Das Fazit: Die vermeintlichen "Notbremsen" greifen nicht wirklich.
       Sinnvoller als die zweifelhaften Geo-Engineering-Pläne wäre es, alle
       finanziellen Ressourcen in eine Reduktion der Klimagasemissionen zu
       stecken. Ansonsten würden allein durch den klimabedingten Anstieg des
       Meeresspiegels, ausgelöst durch Festlandeis- und Gletscherschmelze, sowie
       der Expansion des wärmeren Meerwassers in den nächsten 90 Jahren mindestens
       150 Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden.
       
       27 Aug 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.pnas.org/content/early/2010/08/20/1008153107
 (DIR) [2] http://www.bbc.co.uk/news/science-environment-11076786
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Minderheiten
       
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