# taz.de -- Vertriebene Roma in Frankreich: Auf der Flucht vor den Bulldozern
       
       > Die Stadt Saint-Denis nördlich vor Paris ärgert sich über den Umgang der
       > Regierung mit den Roma. Sie lässt vertriebene Familien ein neues Lager
       > aufbauen.
       
 (IMG) Bild: Am Donnerstag wurden erneut mit Sonderflügen 300 Roma nach Bukarest geflogen.
       
       SAINT-DENIS taz | Nur ein paar hundert Schritte vom Stade de France
       entfernt entsteht auf vier Parzellen im Norden von Paris zwischen
       Saint-Denis und Aubervilliers ein neues Roma-Lager. Einige Hütten sehen
       schon bewohnbar aus, ein großer Teil der Leute aber schläft noch in
       Igluzelten, wie sie die Hilfsorganisation Médecins du Monde sonst an
       Obdachlose verteilt. Daneben liegen diverse gefundene und eingesammelte
       Gegenstände und Möbelstücke, die noch verwendet oder weiterverkauft werden
       könnten. Ein junger Schwarzer stoppt sein Fahrzeug und ruft durch das
       geöffnete Autofenster von der Straße: "He, der blaue Sessel dort gehört
       mir!" Das sollte wohl ein Scherz sein, denn alle lachen. Ein junger Mann
       bringt eine tiefgefrorene Lammkeule und legt sie zum Auftauen an die Sonne.
       Die Campingromantik trügt, die Lebensverhältnisse hier sind äußerst prekär.
       Das Einkommen stammt aus ein bisschen Schwarzarbeit, dem wenig
       einträglichen Verkauf von Alteisen und Betteln.
       
       Wie lange wird das Provisorium dieser kinderreichen Familien aus Rumänien
       dieses Mal dauern? Die Betroffenen zucken fatalistisch die Achseln. Die
       meisten der anwesenden Erwachsenen sprechen ohnehin nur "Romani", die von
       ihren Urahnen bei der langen Völkerwanderung aus Indien mitgebrachte
       Sprache, oder Rumänisch. Nur die Kinder und Halbwüchsigen können sich auf
       Französisch unterhalten. Sie reißen sich aber nicht darum, den Dolmetscher
       zu spielen, lieber tollen sie herum, sie haben noch Schulferien. Über den
       neugierigen Besucher in ihrer "Siedlung" machen sie sich lustig, eine der
       Größeren verlangt Geld für Bonbons. Sie heißt Bianca, ist 14 und sagt, sie
       sei in Frankreich auf die Welt gekommen. Vom Land, aus dem ihre Eltern
       stammen, weiß sie nur so viel, dass es dort für Roma weder Wohnung noch
       Arbeit gebe und dass es allemal besser sei, hier in Saint-Denis zu bleiben,
       wo sie wie die allermeisten Kinder dieser Roma-Familien den Unterricht
       besucht. Ihr Schulweg sei sogar viel kürzer als von ihrem früheren Camp
       aus, das am 6. Juli von der Polizei geräumt worden ist.
       
       Allen Besitz verloren 
       
       "Die Leute wurden um sechs Uhr früh aus dem Schlaf gerissen", berichtet
       Coralie Guillot von der Hilfsorganisation Parada, die bei der Räumung
       zugegen war. "Sie haben vergeblich versucht, mit improvisierten Barrikaden
       Widerstand zu leisten. Alle wurden einzeln abgeführt oder weggezerrt. Sie
       haben alle Habseligkeiten verloren, weil die Bulldozer ihre Wohnwagen,
       Hütten und Zelte niedergewalzt haben." Die Beamten führten einen Befehl des
       Innenministers aus, der alle für illegal erklärten Lager abreißen und die
       unerwünschten Nomaden nach Rumänien und Bulgarien abschieben will.
       
       Das beseitigte Lager im Quartier Hanul war eines der ältesten in der Region
       Paris. Von den 150 bis 200 Roma, die dort auf einem besetzten Gelände eines
       stillgelegten Gaswerks lebten, sind angeblich nur ganz wenige freiwillig
       nach Rumänien zurückgereist oder dorthin abgeschoben worden. Für alle
       anderen habe nun aufs Neue die Suche nach einem Ort, wo man sie toleriert,
       begonnen. An ihrer neuen Zufluchtsstelle will die Stadtbehörde, welche die
       repressive Regierungspolitik nicht billigt, ihnen eine Wasserleitung zur
       Verfügung stellen. Vizebürgermeisterin Florence Haye meint zuversichtlich,
       es müsse für diese Roma aus EU-Mitgliedsländern doch eine Alternative geben
       zwischen Abschiebehaft und einer Randexistenz im Slum. Eine ideale Lösung
       aber hat sie ebenso wenig wie der kommunistische Bürgermeisternachbar von
       Choisy-le-Roi: Er beherbergt 50 von der Polizei vertriebene Roma bis auf
       Weiteres in einer Turnhalle.
       
       Als "Schandfleck auf dem Banner der Republik" verurteilte der frühere
       Premierminister Dominique de Villepin das Vorgehen der Regierung. Scharfe
       Kritik kam vom UNO-Komitee gegen Diskriminierung und Rassismus. Auch der
       Druck aus der EU wächst. Die schwedische Ministerin Birgitta Ohlsson
       schlägt Sanktionen gegen EU-Länder vor, die ihre Minderheiten schikanieren.
       Besonders zu schaffen machen die Ermahnungen der katholischen Kirche. Wie
       diverse ausländische Medien zog am Wochenende der Bischof von Toulouse
       einen Bogen von den heutigen Roma-Abschiebungen zu den antijüdischen
       Razzien unter dem Kollaborationsregime von Vichy während des Zweiten
       Weltkriegs. Er rief die Gläubigen zur Solidarität auf: "Die Roma sind
       unsere Brüder!"
       
       Immigrationsminister Eric Besson erwiderte pikiert auf die Proteste,
       Frankreich müsse sich "keine Lektionen erteilen lassen". Mit Interventionen
       in Brüssel und bei einem informellen Treffen mit den Innen- und
       Immigrationsministern aus Deutschland, Italien, Spanien und Griechenland am
       6. September möchte er den angerichteten Imageschaden für Frankreich
       begrenzen und für eine koordinierte Roma-Politik werben.
       
       Außenminister Bernard Kouchner, wie Besson ein ehemaliger Sozialist, räumte
       ein, das Schicksal dieser Roma gehe ihm so sehr ans Herz, dass er - nur
       kurz - mit dem Gedanken eines Rücktritts gespielt habe. Keine solchen
       Gewissensbisse hat Innenminister Brice Hortefeux, er rechtfertigt sein
       gezieltes Vorgehen mit der verschärften Sicherheitspolitik: "Die Roma
       werden nicht ausgewiesen, weil sie Roma sind. Wir wenden nur das Gesetz an.
       Man besetzt nicht illegal und ungefragt Grundstücke. Es gibt bei uns keine
       Statistik über die Delinquenz bestimmter ethnischer Gruppen, aber die Zahl
       von Straftaten rumänischer Staatsangehöriger hat im letzten Jahr um 138
       Prozent zugenommen", trumpft der Minister auf.
       
       Vor Kurzem hatte Hortefeux angekündigt, dass bis zu 900 "illegale"
       Roma-Lager beseitigt werden sollen. Inzwischen weiß man, dass das keine
       leere Drohung war. Am Donnerstag wurden erneut mit zwei Sonderflügen 300
       Roma nach Bukarest geflogen. Diese "freiwilligen" Heimkehrer erhalten eine
       Prämie von 300 Euro. Einige von ihnen sagten aber noch am Flugplatz, sie
       würden so bald wie möglich zurückkommen. Seit Jahresbeginn wurden laut
       Innenministerium 8.340 Roma abgeschoben, die Zahl von 9.000 im letzten Jahr
       dürfte bei diesem Rhythmus übertroffen werden. Das ist nach Meinung der
       Organisation Voix des Roms (Stimme der Roma) nicht nur inhuman, sondern
       eine völlig ineffiziente Augenwischerei: Das Innenministerium frisiere mit
       der Rückführung von Roma die Abschiebestatistik, um so die Öffentlichkeit
       zu beeindrucken.
       
       Unbeeindruckt von solchem politischem Kalkül geben sich die Roma in
       Saint-Denis. Sie wollen sich in ihrem neuen Quartier so rasch wie möglich
       einrichten. Die Hoffnung, hier akzeptiert zu werden, haben sie ebenso wenig
       aufgegeben wie ihren christlich-orthodoxen Glauben. Via Dolmetscherin
       erklärt ein Familienoberhaupt, er träume davon, wie die Roma im Pariser
       Vorort Courbevoie im Lager eine eigene Kirche zu bauen.
       
       31 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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