# taz.de -- US-Abzug aus dem Irak: "Es braucht nur einen Funken"
       
       > Ansätze zur Verbesserung der Lage werden nach dem Ende des US-Einsätzes
       > untergehen, fürchten viele in der Provinz Diyala. Die Region zählt zu den
       > gefährlichsten Gebieten im Irak.
       
 (IMG) Bild: Kontrollen sind eine gefähliche Sachen in der Region Bakuba.
       
       BAKUBA taz | "Willkommen in der Stadt der Orangen", wirbt am Ortseingang
       ein Schild. Bakuba ist berühmt für Orangengärten und Palmenwälder. Doch die
       erste Begegnung mit der Stadt 50 Kilometer nordöstlich von Bagdad ist
       weniger idyllisch.
       
       Von einem Wehrturm aus richtet ein Scharfschütze sein Gewehr auf unser
       Auto. Die Straße ist mit Barrikaden verengt. Mürrisch prüfen Soldaten jedes
       Fahrzeug. Ein Polizist faucht einen Fahrer an, er soll den Kofferraum
       schneller öffnen. Die Soldaten und Polizisten sind nervös. Verständlich.
       Diyala mit seiner Hauptstadt Bakuba ist nach wie vor eine der
       gefährlichsten Regionen im Irak.
       
       In jüngster Zeit häufen sich die Morde und Anschläge auf die
       Sicherheitskräfte. Diese müssen nach dem Rückzug der letzten
       US-Kampfbrigade die Verantwortung für Recht und Ordnung weitgehend allein
       schultern. Zwar sind noch knapp 50.000 US-Soldaten im Irak. Hält
       US-Präsident Barack Obama sein Versprechen, den Irakkrieg zu beenden, wird
       bald die nächste Abzugswelle beginnen. Ali Rashid befürchtet schon eine
       neue Gewalteskalation. "Bakuba war früher die Hauptstadt der
       Selbstmordattenäter", sagt der Lokaljournalist. Im Vergleich mit damals sei
       es heute einigermaßen sicher. "Aber die Aufständischen schlafen nicht. Sie
       warten nur darauf, erneut zuzuschlagen."
       
       Mit ihrem Bevölkerungsmix aus Sunniten und Schiiten, Arabern, Kurden und
       Turkmenen ist Diyala ein Spiegelbild der religiösen und ethnischen Vielfalt
       des Irak wie seiner mörderischen Konflikte. Bis zu seinem Tod vor vier
       Jahren steuerte der Terrorfürst Abu Mussab al-Sarkawi von hier aus seinen
       Mordfeldzug gegen die Schiiten, der Al-Qaida-Ableger "Islamischer Staat im
       Irak" errichtete ein Terrorregime, bei dem Bombenanschläge und
       Enthauptungen fast so alltäglich waren wie anderswo Verkehrsunfälle.
       Schiitische Milizionäre rächten sich, in dem sie Dörfer überfielen und
       wahllos Sunniten umbrachten.
       
       Der Krieg hinterließ in der Region eine Spur der Verwüstung. In einigen
       Dörfern erinnern nur die Gerippe eingestürzter Häuser an ihre früheren
       Bewohner. In Bakubas Zentrum wachen ein paar Polizisten vor den Trümmern
       einer ehemaligen Schule. Wie hingeworfene Mikadostäbe ragen Stahlträger aus
       dem Schutt. Neben dem Krater einer Autobombe spielt ein Junge mit einer
       alten Blechdose. Zwischen zerschossenen Fassaden tauchen manchmal Gärten
       auf und lassen die viel gepriesene Schönheit der Stadt erahnen. An eine
       baldige Rückkehr zur alten Blüte ist aber nicht zu denken. Diyala leidet an
       akutem Wassermangel und schlechter Infrastruktur.
       
       Nach dem offiziellen Ende ihrer Kampfeinsätze hinterließen die Amerikaner
       im Irak auch in Sachen Wiederaufbau ein Land voll enttäuschter Erwartungen.
       Ein Drittel der rund 1,2 Millionen Einwohner Diyalas hat laut den lokalen
       Behörden keinen Zugang zu Trinkwasser. Für die Misere gibt es viele Gründe:
       Krieg und Terror der letzten Jahre, ein früheres Regime, das lieber in
       Waffen als in Wasserleitungen investierte, das langjährige UN-Embargo, die
       Amerikaner, die bisweilen an den lokalen Bedürfnissen und Gegebenheiten
       vorbei planten, eine Regierung, die zwar gern schöne Pläne macht, aber oft
       unfähig ist, sie umzusetzen.
       
       Wo die Regierung versagt, springen in Diyala die Helfer vom Internationale
       Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ein. Am Rand Bakubas renoviert das IKRK eine
       Trinkwasseranlage aus den 50er Jahren, die lange als Treibstofflager
       herhalten musste. Vor sechs Jahren waren die Helfer schon fast einmal so
       weit, die Anlage in Betrieb zu nehmen. Doch dann kam der Krieg, und sie
       mussten sich weitgehend aus dem Irak zurückziehen. Inzwischen ist das IKRK
       mit einer seiner weltgrößten Missionen im Irak vertreten, wo es sich
       besonders auf die lange vernachlässigten ländlichen Gebiete konzentriert.
       Mit der Leidenschaft eines Notfallhelfers und Ingenieurs, der kein Detail
       aus dem Auge lässt, führte Faris Zeki Khudeiri kürzlich durch die Anlage in
       Bakuba. Das Trinkwasser soll künftig vor allem den Vertriebenen im
       Saad-Camp zugute kommen.
       
       Seit sieben Jahren haust Rafah Abed Minhal mit ihrem Mann und vier Kindern
       in einem Luftschutzbunker auf der früheren Militärbasis Saad nördlich von
       Bakuba. Wie die rund 7.000 anderen Flüchtlinge wurde sie Opfer des
       arabisch-kurdischen Konflikts. Kurz nach dem Sturz Saddam Husseins seien
       sie von Kurden aus Khanakin vertrieben worden, sagt sie. Haut ab oder wir
       bringen euch um, hätten kurdische Kämpfer gedroht. Khanakin liegt an der
       sogenannten Trigger-Linie, dem zwischen Kurden und Arabern umkämpften
       Gebiet im Norden von Diyala. Dass dieser Konflikt noch immer nicht gelöst
       ist, ist eine der gefährlichsten Hinterlassenschaft der US-Militäreinsatzes
       im Irak.
       
       Minhal hat kaum noch Hoffnung, dass sie jemals auf ihren Hof in Khanakin
       zurückkehren kann. Aber zumindest in dem Lager will sie halbwegs anständig
       leben. "Wir leben hier wie Tiere ohne Strom und Wasser, aber unsere
       Regierung schert das nicht", schimpft die zierliche Frau. Wenn die
       Regierung ihren Job macht und die Region nicht erneut im Krieg versinkt,
       bekommt Minhal künftig zumindest Trinkwasser.
       
       Der Lokaljournalist Ali Rashid ist skeptisch. Die Gewaltwelle der letzten
       Wochen scheint ihm recht zu geben. Rashid fürchtet, dass nicht nur
       sunnitische, sondern auch schiitische Extremisten erneut zu den Waffen
       greifen. "Es braucht nur einen Funken, und der Krieg geht hier wieder von
       vorne los.
       
       9 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Inga Rogg
       
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