# taz.de -- Medien im Irak: Ein Land lernt Journalismus
       
       > Zwischen Tomatenpreisen und den vielen Wahrheiten ihres Staats: Irakische
       > Journalisten nutzen ihre neue Freiheit, stoßen dabei aber immer wieder an
       > Grenzen - auch an ihre eigenen.
       
 (IMG) Bild: Zensurvorwürfe gegen Schiiten-Führer: Irakische Journalisten demonstrieren Mitte August 2010 in Bagdad für Pressefreiheit.
       
       ERBIL taz | Journalisten im Irak sterben häufig. Sie sterben durch die Hand
       von Milizen der verschiedenen religiösen Gruppen oder durch
       Bombenexplosionen. Laut Reporter ohne Grenzen (RSF) wurden seit dem
       Einmarsch der US-geführten Truppen im Irak 230 Medienarbeiter getötet,
       darunter 172 Journalisten. Rund zwei Drittel von ihnen waren Iraker. Nach
       RSF-Angaben ist der Irakkrieg damit für Journalisten zum tödlichsten
       Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg geworden.
       
       In der Zentrale der größten und zugleich ersten unabhängigen irakischen
       Nachrichtenagentur Aswat al-Iraq ist es ganz friedlich. Das liegt auch
       daran, dass sie nicht in Bagdad liegt, sondern im nordirakischen Erbil,
       Hauptstadt der vergleichsweise befriedeten autonomen Region Kurdistan. Die
       Mitarbeiter sitzen vor ihren Monitoren - fünfzig Prozent von ihnen sind
       Frauen - und machen ihre Arbeit ganz normal. Und die ist bei Aswat al-Iraq,
       gegründet im Jahr 2004 unter anderem mit Unterstützung von Reuters und den
       Vereinten Nationen, nicht leicht: "Das Hauptproblem besteht darin, dass es
       keine verlässlichen Informationen gibt", erklärt Suheir al-Dschasari, einer
       der Gründer der Agentur. "Wir bekommen einen Anruf, dass es einen
       Bombenanschlag mit vielen Toten vor dem Justizministerium gegeben habe -
       aber stimmt das so auch? Die Leute sehen Blut und reagieren völlig über,
       das heißt, wir müssen erst mal im nächsten Krankenhaus anrufen."
       
       Für die Agentur arbeiten über 62 Korrespondenten, davon zehn in Bagdad. Sie
       sind damit beschäftigt, Informationen aus den vielen Wahrheiten des Iraks
       mit seinen vielen verschiedenen Gruppen herauszufiltern. "In jedem
       Stadtviertel hören sie eine andere Version - und manchmal können die
       Korrespondenten ihre Berichte gar nicht erst übermitteln, weil sie von
       Milizen umzingelt sind."
       
       Die vielen Wahrheiten des Iraks, die Mitarbeiter von Aswat al-Iraq ringen
       mit ihnen. "Wir schreiben nicht ,Terroristen', sondern ,bewaffnete
       Gruppen'. Umgekehrt gibt es bei uns auch keine ,Märtyrer'", erklärt Suheir
       al-Dschasari. "Die Menschen im Irak gewöhnen sich allmählich an eine nicht
       ideologische Sprache."
       
       Die meisten Journalisten haben ihr Handwerk unter Saddam Hussein gelernt
       und wollen nicht länger Propagandainstrument der Regierung sein. Saddam
       Hussein hatte seinen Landeskindern einst geraten, einfach ein Porträt
       seiner selbst vor den Bildschirm zu stellen, wenn das Fernsehen einmal
       nicht funktionieren sollte - sämtliche Fernsehkanäle standen unter
       staatlicher Kontrolle. Doch nun, nach den Deformationen des Journalismus
       durch die Kolonialzeit und die spätere Ära der Baath-Partei, gehören noch
       immer die meisten Medieninstitutionen Parteien oder stehen unter religiösem
       Einfluss.
       
       Hinzu kommen aufgrund dieser langjährigen Deformation schlicht
       handwerkliche Probleme - was ist eine Nachricht, was ist ein Kommentar, was
       ist eine Reportage? So wie die Nachrichtenagentur Aswat al-Iraq mit
       internationaler Unterstützung aufgebaut wurde engagiert sich auch
       Deutschland in der Aus- und Fortbildung irakischer Journalisten. Im Jahr
       2004 wurde die Organisation MiCT gegründet - Media in Cooperation and
       Transition, die von Berlin aus mit einem Netzwerk von irakischen
       Journalisten Beiträge produziert, die von irakischen Sendern aus dem
       Internet heruntergeladen werden können. MiCT wird unter anderem vom
       Auswärtigen Amt und der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt. Als Projekt
       hinzugekommen ist die Wirtschaftsplattform Irak (WPI), eine Website, auf
       der Wirtschaftsnachrichten aus dem Irak veröffentlicht werden. Einerseits
       mit dem Ziel, deutschen Investoren Informationen zu bieten, andererseits
       mit der Absicht, den irakischen Wirtschaftsjournalismus zu fördern.
       
       Die Artikel für WPI werden von irakischen Journalisten verfasst, die dafür
       nicht nur ein Honorar bekommen, sondern auch geschult werden. Wie zuletzt
       in dem Workshop "Lets write about Business" in Erbil, bei dem Journalisten
       aus dem ganzen Irak zusammenkamen.
       
       Zum Beispiel der Vorsitzende des Journalistenverbandes Basra, Haider
       al-Mansori. Sich mit ihm über den Alltag irakischer Journalisten zu
       unterhalten, eröffnet eine Ebene jenseits von Splitterschutzweste und
       Kugelhagel: Es geht bei der Berichterstattung im Irak häufig gar nicht um
       Politik, sondern beispielsweise um intakte Kühlketten im Handel. Um
       Preissteigerungen bei Tomaten um 230 Prozent. Um die Frage, ob das
       Trinkwasser wirklich sauber ist. Haider al-Mansori sagt, dass irakische
       Journalisten oft ganz einfach Verbraucherschützer sind. Auch im Irak gibt
       es einen Alltag, auch wenn einem Kollegen al-Mansoris, Faris Haram, die
       Zustände in seinem Land manchmal verrückt vorkommen: "Es ist so wahnsinnig
       gefährlich hier, aber andererseits dürfen wir im Gegensatz zu anderen
       arabischen Ländern problemlos den Präsidenten kritisieren."
       
       Eine neue Freiheit, die immer wieder an ihre Grenzen stößt, aber
       mittlerweile auch verteidigt wird. Als im Mai der junge Journalist
       Sardascht Osman vor der Universität Erbil gekidnappt und wenig später
       ermordet aufgefunden wurde, regte sich heftiger öffentlicher Protest,
       landesweit. In der Stadt Suleimania demonstrierten über 10.000 Menschen für
       Pressefreiheit und forderten eine Aufklärung der Ereignisse. Wie sich
       herausstellte, war es Sardascht Osman zum Verhängnis geworden, ein
       Regierungsmitglied persönlich beleidigt zu haben. Ein handwerklicher
       Fehler, der ihm in Deutschland die Klage eines Medienanwalts eingebracht
       hätte, im Irak kostete es ihn das Leben.
       
       Irakische Journalisten sind eben nicht "embedded" in militärische
       Zusammenhänge und sie sind auch nicht mit bewaffneten Sicherheitskräften
       unterwegs wie die Mehrheit jener westlichen Journalisten, die versuchen
       herauszufinden, was im Irak eigentlich tatsächlich passiert. Dies
       herauszufinden wird nun, nach dem Abzug der Amerikaner und dem daraus
       resultierenden Macht- und Sicherheitsvakuum, nicht eben leichter. Erst in
       dieser Woche wurde ein prominenter Fernsehmoderator des staatlichen Senders
       al-Irakia erschossen. Der Journalist hatte sich in seinen Sendungen
       hauptsächlich mit politischen und religiösen Themen auseinandergesetzt und
       war stets für eine Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten eingetreten.
       Das heißt auch, dass er den Zielen von al-Qaida entgegengewirkt hatte -
       jener Organisation also, die man im Irak zu zerschlagen gedachte und die
       trotzdem weiterhin für diverse Bombenanschläge verantwortlich zeichnet.
       
       Journalisten im Irak sterben häufig, und die Überlebenden sind ständig
       überfordert. Sie verdienen schlecht und genießen noch immer kein besonders
       hohes Ansehen. Man misstraut dem Schriftlichen, von "Zeitungsgeschwätz"
       schwätzt man bei der abendlichen Wasserpfeife im Café. Gleichzeitig, so
       Suheir al-Dschasari von Aswat al-Iraq, "sollen Journalisten Soldaten sein,
       die gegen die Regierung antreten". Eine Regierung, die aus alter Gewohnheit
       Presseanfragen gerne mit "No comment" beantwortet und stattdessen Ärger
       macht, wenn die Hand eines Mächtigen auf einem Foto "abgeschnitten" wurde.
       Al-Dschasari bringt es auf den Punkt: "Journalist im Irak zu sein, das ist
       so, als ob man ständig mit glühenden Kohlen hantiert."
       
       10 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Wiederaufbau nach dem Irakkrieg: „Basra wird sein wie Dubai, nein Japan“
       
       Noch sieht es in Basra aus, als sei der Irakkrieg gerade erst zu Ende
       gegangen. Doch die Stadt ist reich an Öl. Und die Brüder Hamsa haben große
       Pläne. Ein Besuch.
       
 (DIR) Druck auf Korrespondenten im Iran: Spanische Journalistin ausgewiesen
       
       Die Korrespondentin der spanischen Zeitung "El País" muss den Iran
       verlassen. Grund ist wohl ein unliebsames Interview. Zudem wurden zwei
       deutsche Journalisten festgenommen.
       
 (DIR) US-Abzug aus dem Irak: "Es braucht nur einen Funken"
       
       Ansätze zur Verbesserung der Lage werden nach dem Ende des US-Einsätzes
       untergehen, fürchten viele in der Provinz Diyala. Die Region zählt zu den
       gefährlichsten Gebieten im Irak.
       
 (DIR) US-Armee-Abzug aus dem Irak: Keine Brücke der Versöhnung
       
       Die Brücke der Imame in Bagdad trennt und vereint Schiiten und Sunniten.
       Beide Seiten fürchten, die US-Truppen überliessen nach ihrem Abzug das Land
       den Fanatikern.
       
 (DIR) Christen im Irak: Die Tage sind gezählt
       
       Seit dem Sturz des Saddam-Regimes sind zehntausende Christen aus dem Irak
       geflohen. Der Exodus hält an. "Was immer die Muslime sagen, sie akzeptieren
       uns nicht", sagt ein Christ.
       
 (DIR) Selbstmordanschlag im Irak: Anstieg der Gewalt
       
       Ein Attentäter sprengt sich in Bagdad in die Luft und tötet Dutzende
       wartender Menschen. In dem Land ohne Regierung eskaliert die Gewalt
       parallel zu dem US-Teilabzug.
       
 (DIR) Schwule im Irak: Bei Outing Mord
       
       Schwule leben in Todesangst. Milizionäre verabreden sich, um sie zu töten.
       Angehörige bringen sie wegen der Familienehre um. Einziger Schutz: nie
       auffallen. Ein Bericht aus der geheimen schwulen Subkultur im Irak.