# taz.de -- Neuberechnung von Hartz IV: Tricksen für den Regelsatz
> Als Datengrundlage für die Berechnung des Hatz-IV-Satzes dienen heute
> ärmere Haushalte als vor sieben Jahren. Viele Posten werden zudem
> ersatzlos gestrichen.
(IMG) Bild: Bekommen keinen höheren Regelsatz: Kinder aus Hartz-IV-Familien.
BERLIN taz | Seit Sonntag steht fest: Die Hartz-IV-Regelsätze für
Erwachsene steigen um lediglich 5 Euro auf 364 Euro im Monat, die Sätze für
Kinder bleiben gleich (je nach Alter liegen sie bei 215, 251 oder 287
Euro). Und das auch nur, weil die Bundesregierung einen Bestandsschutz
festgelegt hat. Eigentlich hätten die Sätze laut Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) nach den neuen Berechnungen sogar sinken müssen.
So drehte sich am Montag alles um die Frage, wie die neuen Sätze berechnet
worden sind. "Ich verbürge mich persönlich dafür, dass es zu keinem
Zeitpunkt Einfluss auf das geordnete Verfahren gegeben hat", erklärte Gerd
Hoofe, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium (BMAS), am Montag. Der
Koalitionsausschuss habe auf das Endergebnis keinen Einfluss genommen. Auch
eine gut gelaunte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU)
betonte am Montag: "Die Berechnungen sind unbestechlich."
Mehrere Male unterstrich ihr Staatssekretär zudem, dass die Berechnungen
wissenschaftlichen Standards und größtmöglicher Transparenz genügten. Und
er betonte, dass der Gesetzgeber laut Bundesverfassungsgericht "Spielräume
für Wertentscheidungen" habe. Das heißt, er kann entscheiden, dass
beispielsweise Urlaubsreisen, Schnittblumen oder Restaurantbesuche nicht
zum menschenwürdigen Existenzminimum gehören. Für alkoholische Getränke
sowie Tabakwaren gilt das seit Neuestem auch. Das spart rund 17 Euro
Regelsatzerhöhung.
Dreh- und Angelpunkt der Neuberechnung ist die in der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) vom Statistischen Bundesamt ermittelte
Referenzgruppe. 60.000 Haushalte aller Einkommensklassen wurden insgesamt
befragt. Aus den Angaben der niedrigen Einkommensgruppen dieser Haushalte
wird abgeleitet, was Hartz-IV-Empfängern zusteht.
Doch anders als 2003 hat das BMAS für den Regelsatz für Erwachsene diesmal
nur die untersten 15 Prozent der Einpersonenhaushalte herangezogen. 2003
waren es noch 20 Prozent. Damit aber dienen deutlich ärmere Haushalte als
noch 2003 als Datengrundlage, von dem der Regelsatz abgeleitet wird. Genau
beziffern lässt sich der Unterschied noch nicht. Dafür muss das BMAS erst
die Rohdaten der EVS freigeben.
Hoofe findet die 15-Prozent-Marke gerechtfertigt. Schließlich habe man, um
Zirkelschlüsse zu vermeiden, 8,6 Prozent der Einpersonenhaushalte vorab aus
den Berechnungen ausgeschlossen, nämlich solche, die ausschließlich
Transferleistungen (u. a. Hartz IV, Grundsicherung im Alter) erhalten.
Sattele man dann "starr" 20 Prozent obendrauf, komme man zu sehr in die
Mittelschicht hinein. Allerdings bleibt das Bild unvollständig. Denn
Personen, die trotz eines Jobs Hartz IV bekamen, und solche, die
Kinderzuschlag oder Wohngeld bezogen, flossen weiterhin in die Berechnung
ein.
"Die 15 Prozent sind die entscheidende politische Setzung, die das
Ministerium vornimmt, das ist willkürliche Trickserei", kommentierte Ulrich
Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, die
Berechnung. Auch die Caritas kritisierte, dass die "bisher gültigen
Berechnungsgrundlagen massiv verändert" und damit "ein gebotener Anstieg
verhindert" werde. Die Diakonie bezeichnete die Erhöhung als "skandalös".
Es ist nicht die einzige Erklärung, warum die Regelsätze nicht deutlicher
steigen, obwohl die durchschnittlichen Konsumausgaben der betrachteten
Singlehaushalte von 2003 bis 2008 von 775 Euro auf 843 Euro stiegen. Eine
weitere ist: Zwar gibt es künftig zum ersten Mal Geld für neue Posten, wie
etwa die Praxisgebühr (2,64 Euro im Monat) oder für den neuen
Personalausweis (25 Cent im Monat). Doch sind etliche Posten in der neuen
Berechnung weggefallen.
Zum Teil, weil man sie nicht mehr als regelsatzrelevant anerkannt hat. Dazu
zählen neben Alkohol und Tabakwaren beispielsweise auch Ausgaben für die
"chemische Reinigung". Denn, so das BMAS, "die Aufwendungen sind nur bei
hochwertigen bzw. teuren Kleidungsstücken erforderlich".
Oder die Posten fließen nicht mehr in die Berechnung des Regelsatzes mit
ein, weil die ermittelte Gruppe, die diese Ausgaben in der drei Monate
laufenden Befragung der EVS getätigt hat, zu klein war. So sind auf einmal
für Waschmaschinen oder Kühlschränke keine Ausgaben mehr vorgesehen. Obwohl
sie aus dem Regelsatz bestritten werden müssen. Für Schneider steht deshalb
fest: "Das ist der größte statistische Schrotthaufen, den ich je auf dem
Schreibtisch hatte."
28 Sep 2010
## AUTOREN
(DIR) E. Völpel
(DIR) P. Wrusch
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