# taz.de -- Demonstrationen in den USA: Die Linke zeigt Flagge
       
       > In Washington gehen Anhänger von fast 400 Organisationen auf die Straße
       > für Arbeit, Gerechtigkeit und mehr Staat. Und auch ein bisschen für ihren
       > Präsidenten Barack Obama.
       
 (IMG) Bild: "We are America": US-amerikanische Aktivisten bei der Demonstration "One Nation Working Together".
       
       WASHINGTON taz | "So sieht Amerika aus", ruft Alfred Charles Sharpton von
       den Stufen des Lincoln Memorials in die Menschenmenge. Vor dem schwarzen
       Bürgerrechtler stehen zigtausende DemonstrantInnen in der Mall, dem
       Gedächtnispark im Herzen der US-Hauptstadt. Es sind Bürgerrechtler,
       Feministinnen, Gewerkschafter sowie Schwule und Lesben, die aus allen Ecken
       und Enden des Lands gekommen sind. Ihr Motto heißt "One Nation Working
       Together". Exakt einen Monat vor den Halbzeitwahlen zeigen sie Flagge.
       Verlangen mehr Jobs. Mehr soziale Gerechtigkeit. Mehr Staat.
       
       "Seid ihr Amerika?", ruft ein anderer Redner, der weiße TV-Moderator Ed
       Schultz, ins Mikrofon. "Yes. We are America", schallt es zurück. Es ist die
       erste große nationale Demonstration der Linken seit langer Zeit.
       Veranstalter ist ein heterogener Zusammenschluss von beinahe 400
       Organisationen. So viele verschiedene Gruppen - von Gewerkschaften,
       Kirchen, afroamerikanische und "hispanic" Bürgerrechtsgruppen bis hin zu
       Homosexuellenlobbys - haben sich noch nie zusammengetan.
       
       Jetzt wollen sie zeigen, dass die Straße nicht den Glenn Becks und anderen
       religiösen Traditionalisten von Tea Party und Republikanern gehört. Anstatt
       eine Rückkehr zu alten Werten, zu predigen und anstatt gegen den
       Präsidenten und gegen "Washington" zu hetzen, verlangen sie nach mehr
       Staat. Manche DemonstrantInnen in der Mall haben sogar T-Shirts mit einem
       Konterfei von Barack Obama aus ihrem Schrank gekramt.
       
       "Bush hat einen Scherbenhaufen hinterlassen. Obama macht daraus das Beste,
       was er kann", sagt Darrel Bouldin, 24-jähriger linker Aktivist aus dem
       konservativen Bundesstaat Tennessee. Vor ein paar Monaten hat er die "Tea
       Party Progressives" gegründet, um gegen die rechten Traditionalisten zu
       halten. "Die Opposition hat vom ersten Moment an Blockadepolitik gegen
       Obama gemacht", meint die Ingenieurin Ann Wilfong aus Florida.
       
       Allerdings gehen ihr manche Dinge nicht schnell genug. Zum Beispiel hätte
       sie anstelle der Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan einen schnellen
       Abzug gewünscht. "Obama wählen" hat John L William aus Georgia auf sein
       Transparent geschrieben. Für den Bürgerrechtler, der mit einer
       Kirchengruppe im Bus angereist ist, gibt es keine Frage, wo er bei den
       Halbzeitwahlen sein Kreuzchen machen wird: Er wählt demokratisch. Es geht
       darum, rechte Mehrheiten im Kongress zu verhindern.
       
       Andere DemonstrantInnen sind wegen bestimmter Themen und nicht unbedingt
       wegen der Wahlen gekommen. Die Ärztin Mardge Cohen, die in einer
       Obdachlosenklinik in Boston arbeitet, würde nur einem Politiker ihre Stimme
       geben, der für eine universelle Krankenversicherung eintritt. Und wenn die
       Mehrheit im Kongress republikanisch wird?
       
       "Was hilft mir ein demokratischer Politiker, wenn er eine rechte Politik
       macht?", antwortet die Ärztin. Eine Demonstrantin aus Ohio sagt: "Wir haben
       die beste Regierung, die Geld kaufen kann". Mary Morgan ist 85, sie hat
       schon während des Vietnamkriegs an Demonstrationen in der Mall
       teilgenommen. Immer gegen die "Kriegswirtschaft" und immer für
       Frauenrechte. Doch trotz aller Skepsis gegen die halbherzige Politik von
       Obama wird sie in den verbleibenden vier Wochen bis zu den Wahlen zu Hause
       wieder Klinken putzen, um Wählerstimmen für die DemokratInnen zu sammeln.
       Das kleinere Übel.
       
       "Jesus ist ein Linker" steht auf dem Transparent, mit dem James Keane aus
       New York über die Mall zieht. Für ihn war es "höchste Zeit", dass die
       Linken auf die Straße gehen. Am Mikrofon vor der großen Menschenmenge sagt
       Bob King von der Gewerkschaft United Auto Workers etwas ganz Ähnliches:
       "Wir müssen unsere Spaltungen überwinden. Wir brauche eine neue soziale
       Bewegung im Land."
       
       3 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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