# taz.de -- Facebook-Aufruf von US-Karikaturistin: Neuer Name wegen Netz-Hetzjagd
       
       > Eine Karikaturistin rief zum "Zeichne Mohammed-Tag" auf und
       > veröffentlichte eine religionskritische Karikatur per Facebook. Heute
       > lebt sie auf Rat des FBI unter neuem Namen.
       
 (IMG) Bild: Löste heftige Proteste in Pakistan aus: die Karikaturistin Molly Norris.
       
       Während David Finchers Facebook-Film "The Social Network" vor wenigen Tagen
       auf dem New York Film Festival Weltpremiere feierte, spielt sich in den USA
       eine Geschichte ab, die eigentlich viel besser für einen jener düsteren
       Thriller geeignet wäre, für die David Fincher sonst bekannt ist.
       
       Es ist die Geschichte einer Frau, die eines Tages auf eine -
       zugegebenermaßen recht naive - Idee kam und die dafür mit dem Verlust ihrer
       Identität bezahlen musste. Und auch in dieser Geschichte spielt Facebook
       eine nicht unwesentliche Rolle.
       
       "Everybody Draw Mohammed Day" 
       
       Die Frau heißt - vielmehr hieß, denn inzwischen hat sie einen anderen Namen
       angenommen - Molly Norris. Norris war freischaffende Cartoonistin und hatte
       im April dieses Jahres in einem Cartoon in der Zeitschrift Seattle Weekly
       den 20. Mai zum "Everybody Draw Mohammed Day" ausgerufen.
       
       Das Ganze war als Statement in Sachen Meinungsfreiheit gedacht und sollte
       zugleich als Solidaritätsbekundung für die "South Park"-Erfinder Matt Stone
       und Trey Parker dienen. Denn deren 201. Folge der Serie war vom Sender
       "Cartoon Network" zensiert worden, nachdem es nach Ausstrahlung der
       vorherigen Episode, der ersten Hälfte einer Doppelfolge, in der Mohammed in
       einem Bärenkostüm auftritt, zu massiven Drohungen vonseiten radikaler
       Islamisten gekommen war.
       
       In Norris' Cartoon sind unter anderem eine Kaffeetasse, ein Dominostein und
       eine Kirsche zu sehen, die allesamt von sich behaupten, die einzig legitime
       Abbildung von Mohammed zu sein. Flankiert wird der Cartoon von der
       Aufforderung, bis zum 20. Mai eine Zeichnung des Propheten anzufertigen.
       
       Unterschätzte Dynamik in Zeiten des Internets 
       
       Was Molly Norris unterschätzte, war die Eigendynamik, die ein derart
       brisantes Thema in Zeiten von Blogs und sozialen Netzwerken innerhalb
       kürzester Zeit entwickeln kann.
       
       Denn nicht nur unzählige Blogger griffen die Idee bereitwillig auf, auch
       eine nicht von Norris autorisierte Facebook-Seite nahm sich ihrer an. Auf
       dem Höhepunkt ihrer Popularität hatte die Seite mehr als einhunderttausend
       Besucher. Der Rummel um den "Everybody Draw Mohammed Day" führte gar zu
       einem zeitweiligen Facebook-Verbot in Pakistan.
       
       Je größer der Trubel wurde, desto bedrohlicher wurde die Situation für
       Molly Norris, die massiv an Körpergewicht zu verlieren begann und ihr Leben
       nur noch als "horrible" bezeichnete. Vielleicht hatte sie da schon eine
       vage Ahnung davon, was noch auf sie zukommen sollte. Denn im Juni erklärte
       der Islamist Anwar al-Aulaqi Molly Norris in einer Zeitschrift mit dem
       zynisch klingenden Titel Inspire (zu Deutsch: Anregung, Begeisterung) zur
       "prime target" ("Hauptziel") eines Mordanschlags.
       
       Zeugenschutzprogramm des FBI 
       
       Am 15. September schließlich erschien eine Art Nachruf in der Seattle
       Weekly, in dem es heißt: "Sie mögen bemerkt haben, dass in dieser Woche
       kein Molly-Norris-Cartoon erscheint. Das hängt damit zusammen, dass es
       keine Molly mehr gibt."
       
       Weiter steht dort, Molly Norris sei auf Anraten des FBI in ein
       Zeugenschutzprogramm eingetreten und habe eine neue Identität erhalten. Bei
       einem Anruf in der Redaktion erklärt mir eine wortkarge Redakteurin, man
       habe zu der Geschichte ansonsten "nichts weiter zu sagen". Nur, dass Molly
       Norris "Freelancer gewesen" sei und die Verantwortung für den Cartoon "bei
       ihr" liege.
       
       Der Fall Molly Norris ist auch ein Lehrstück darüber, wie lokale Ideen in
       einer schönen neuen Medienwelt ein bedrohliches Eigenleben entwickeln
       können. Denn obwohl sich Molly Norris früh von der Facebook-Seite
       distanzierte und den "Everybody Draw Mohamed Day" als Scherz bezeichnete,
       war sie allein diejenige, die dafür in Haftung genommen wurde.
       
       Der Autor Shel Israel, der für einen unabhängigen Thinktank zu sozialen
       Netzwerken forscht, geht davon aus, dass sich in den letzten fünf Jahren
       "ein fundamentaler Wandel" vollzogen hat hinsichtlich der Art und Weise,
       "wie Medien publiziert, verbreitet und archiviert werden". Nämlich in
       Richtung frei zugänglicher und frei bearbeitbarer Inhalte. Diesem Umstand
       musste Molly Norris Rechnung tragen. Einen grundsätzlichen Qualitätsschwund
       will Israel allerdings nicht gelten lassen: "Schlechte Medien", so Israel,
       habe "es schließlich schon immer gegeben".
       
       Das mag stimmen. Dennoch wirft der Fall Molly Norris die Frage auf,
       inwiefern die Regeln der journalistischen Sorgfaltspflicht auch in einem
       von Amateuren gestalteten publizistischen Umfeld zur Geltung kommen können
       und müssen. Denn nicht zuletzt wurde Molly Norris eben auch zum Opfer, weil
       sie die Folgen des naiv in Anspruch genommenen Rechts auf freie
       Meinungsäußerung in diesem Fall überhaupt nicht abschätzen konnte.
       
       4 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Resch
       
       ## TAGS
       
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