# taz.de -- Chemie-Unfall in Ungarn: Eine zweite Giftwelle droht
       
       > Weil eine zweite Schlammlawine drohte sich über die Dörfer in Westungarn
       > zu ergießen, wurden die verbliebenen Einwohner des verseuchten Gebiets
       > evakuiert.
       
 (IMG) Bild: Ein fünf Meter hoher und 400 Meter langer Schutzwall soll im Fall des Falles eine neue Schlammlawine bremsen.
       
       Eine zweite Schlammlawine droht sich über die bereits verwüsteten Dörfer in
       Westungarn zu ergießen. Am Samstagmorgen wurden die verbliebenen
       EinwohnerInnen von Kolontár mit der Nachricht geweckt, sie würden umgehend
       evakuiert. Nur das Nötigste konnten sie einpacken. Auch für die Kleinstadt
       Devecser wurden Vorbereitungen zur sofortigen Evakuierung getroffen. Denn
       die zweite Rotschlammdeponie der Aluminiumhütte MAL AG drohte zu bersten.
       Bisher hat der Unfall vermutlich acht Todesopfer gefordert.
       
       Ingenieure hatten Risse in den Wänden des Staubeckens festgestellt, Dämpfe
       traten aus. Etwa eine halbe Million Kubikmeter toxischen Schlamms drückte
       so vehement gegen die Beckenwände, dass deren Umfang sich binnen Stunden
       messbar erweiterte. Eine Wiederholung der Katastrophe vom vergangenen
       Montag schien bevorzustehen. Inzwischen wurde Entwarnung gegeben. Ein
       unmittelbares Nachgeben der Staumauern wird jetzt nicht mehr für
       wahrscheinlich gehalten. Verstärkungsmaßnahmen scheinen gewirkt zu haben.
       Dennoch wird zwischen dem Becken und der Ortschaft Kolontár ein fünf Meter
       hoher und 400 Meter langer Schutzwall errichtet, der im Fall des Falles
       eine neue Schlammlawine zumindest bremsen soll. Von Hubschraubern aus
       überwachen Experten jede Veränderung an dem riesigen Giftschlammbecken.
       
       Etwa 500 EinwohnerInnen aus Kolontár wurden in einem Sportstadion
       untergebracht. Das verlassene Dorf ist abgesperrt und wird von Polizisten
       vor Plünderern geschützt. Militärs kümmern sich um das Vieh, das die Bauern
       zurücklassen mussten. Premier Viktor Orbán wurde am Samstag bereits zum
       zweiten Mal im Katastrophengebiet vorstellig, um den Obdachlosen zu
       versichern, dass für alle gesorgt würde. Der plötzliche Aktionismus der
       Regierung erscheint vielen suspekt.
       
       Die Umweltorganisation Greenpeace, die am Freitag erste Analysen der hohen
       Arsen- und Quecksilberwerte im Giftschlamm präsentiert hatte, vermisst noch
       immer eine offizielle Stellungnahme aus Budapest. Greenpeace wirft der
       Regierung Vertuschung vor, um die Leute zu beruhigen. Und der WWF
       veröffentlichte am Samstag ein Bild, das zeigt, dass aus Giftbecken der
       Aluminiumfabrik bereits im Juni durch ein Leck roter Giftschlamm in die
       Umgebung ausgetreten war. Betreiber und Behörden treffe somit gleichermaßen
       die Schuld, auf die Warnzeichen nicht reagiert zu haben. Die Katastrophe,
       so der WWF, hätte verhindert werden können.
       
       Das gab auch Premier Orbán zu: "Meiner Meinung nach müssen menschliche
       Irrtümer und Fehler hinter dieser Katastrophe stehen." Er versprach die
       "härtestmöglichen Konsequenzen".
       
       Bevor noch klar ist, ob das Unternehmen oder dessen Versicherung, eine
       Tochter der Allianz Versicherung, zur Kasse gebeten werden kann, hat die
       Regierung einen zentralen Katastrophenfonds für die Opfer und die
       Schadensbeseitigung eingerichtet.
       
       10 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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