# taz.de -- Befürworter von "Stuttgart 21": Opponieren gegen die Opposition
       
       > Die Minderheit macht mobil: Im Kampf um "Stuttgart 21" wächst auch der
       > organisierte Protest der Befürworter. Eine Begegnung mit denen, die den
       > unterirdischen Bahnhof wollen.
       
 (IMG) Bild: Joggen für den Durchgangsbahnhof. Dem Vorwurf der Käuflichkeit begenen die Befürworter mit Entrüstung.
       
       Da sitzt der, der für viele hier nur ein übler Bösewicht ist, ein gekaufter
       PR-Stratege, ein gewiefter Hintermann und natürlich irgendwie Teil dieses
       ganzen "Lügenpacks" und dieser "Baumafia". Sicher. Das Leben von Christian
       List hat sich verändert, seit der 39-jährige Stuttgarter politisch geworden
       ist. Denn auf der Straße ist er in der Minderheit und kämpft gegen die
       Mehrheit an: Christian List ist für Stuttgart 21 - und nicht dagegen. Und
       seit einigen Wochen ist er das Gesicht der Pro-Stuttgart-21-Bewegung. Der
       Mann, Typ netter Schwiegersohn, Typ helles Köpfchen, ist einer der
       Oppositionsführer gegen all diese Oppositionellen im Schwabenland.
       
       Stuttgart, Krefelder Straße 32. Es ist Mittag in der Agentur, die bei
       vielen in der Stadt die Fantasie so arg beflügelt. "Können. Wollen.
       Werden." steht in schlichter Druckschrift auf der grellgrünen Wandsäule
       rechts von seinem Schreibtisch, mitten im Avantgarde-Chic eines hippen
       Aufstrebertums, zu trinken gibt es "Gourmetwasser naturelle".
       
       Hier führt Christian List die Geschäfte seiner "Agentur für
       Begegnungsmarketing", die in den letzten Tagen kräftig in die Schlagzeilen
       geraten ist. Denn weil auf seiner Referenzliste auch die Deutsche Bahn und
       die Stadt Stuttgart stehen, kursiert im Netz die Behauptung, List lasse
       sich bezahlen für das, was er seit einigen Wochen nun organisiert - und was
       nun auch immer mehr Menschen auf die Straße zieht: "Laufen für Stuttgart",
       ein erlebbares Protest-Event in Joggingschuhen. Ein Kampf für das
       Großbauprojekt Stuttgart 21.
       
       Doch bis auf Weiteres ist List nur schlicht ein Demokrat.
       
       So wie Johannes Bräuchle vielleicht, der Stuttgart-21-Pfarrer, so wie der
       Facebook-Fachmann Gerald Holler, wie Donate Kluxen-Pyta von der
       Frauen-Union Stuttgart oder die Journalistin Susanne Offenbach. Sie alle
       stehen donnerstags am Rathausplatz und machen Stimmung. "Wachstum. Arbeit.
       Wohlstand." steht auf ihren Schildern. "Für Stuttgart 21!" Und Susanne
       Offenbach ruft dann in die Menge: "Wir wollen keine Dagegen-Republik! Wir
       wollen ein Dafür-Land sein!"
       
       Auf den Buttons dieser Menge stehen Slogans wie "Oben ohne",
       "Park-Erweiterer" und "I love S21". Es ist das Dafür-Land der CDU in
       Baden-Württemberg. Und auf dem Rathausplatz steht die Basis, die noch immer
       nicht verloren ging. Im Gegenteil.
       
       Es stimmt: Seit Monaten schwelt der Protest gegen das umstrittene
       Mega-Bau-Projekt in Stuttgart. Am Wochenende erst demonstrierten wieder um
       die 100.000 Menschen. Doch zur Wahrheit gehört auch: Seit Wochen nun werden
       auch die Befürworter auf den Straßen langsam mehr.
       
       Als Christian List, parteilos, am 9. September zum ersten Mal die
       Joggingschuhe schnürte und zum Protestlauf rief, da kamen um die 100 Leute.
       Und beim letzten Mal, da kamen schon 4.000. Das ist läppisch im Vergleich,
       aber es ist nicht egal.
       
       "Wir wollen nicht, dass die Gegner die Einzigen sind, über die berichtet
       wird." List sitzt auf seinem Schreibtischstuhl, vor ihm zwei große
       Monitore, und er erzählt aus seinem Leben, von seinen Kindern, seinem
       Vater, seinen Perspektiven. Geht es nach ihm, dann retten die 100 Hektar
       Land, die durch die künftig überflüssigen oberirdischen Schienen frei
       werden könnten, die Subkultur im Schwabenland. "Da kann man großartige
       Räume schaffen, die mehr bieten als nur noch Vapiano-Restaurants und
       Starbucks-Cafés." List besitzt einen Club, ein Restaurant und ist beteiligt
       an einer Strandbar am Neckar.
       
       Er ist ein junger Kreativer. Und er hat Erfolg.
       
       Nachts, wenn die Demo gut gelaufen ist, dann vertilgt er mit Johannes
       Bräuchle in der Weinstube Klösterle, eines der ältesten Häuser der Stadt,
       gemeinsam Zwiebelrostbraten. Christian List isst ihn mit Spätzle, Johannes
       Bräuchle nur mit Graubrot, tief getunkt in doppelt Soße. Hier diskutieren
       sie über den harten Polizeieinsatz, und zwischendurch lachen sie über die
       Argumente der anderen, über die Fledermauspopulationen und den
       Juchtenkäfer, den es hier ja gar nicht gebe.
       
       Am Morgen danach sitzt Christian List wieder an seinem Schreibtisch. Und
       Johannes Bräuchle, 62, in seinem verträumten evangelischen Pfarrhaus im
       Möwenweg am Max-Eyth-See, unter der Kuckucksuhr, isst saure Gurken zum
       Frühstück.
       
       Der Pfarrer zieht den Hass von vielen Stuttgartern auf sich. Denn er glaubt
       nicht, dass es in Stuttgart Juchtenkäfer gibt, die Tierchen, die nun die
       Baumfällarbeiten im Schlossgarten noch ein wenig verhindern könnten.
       
       Wenn er dort im Schlossgarten diskutieren geht, dann lachen sie ihn aus.
       Sie schimpfen und sie gehen dem Herrn Pfarrer an die Wäsche. "Daran bin ich
       schon gewöhnt", sagt er. Denn Johannes Bräuchle war immer schon
       Oppositionsbekämpfer. "Ich bin ein 68er, nur von der anderen Seite." Und
       daran erinnert er sich gerne.
       
       Er war es, der in den 70er Jahren die Kirchenjugend rettete. Vor der
       Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend, "die haben den Stadtjugendring
       unterwandert".
       
       Bräuchle gründete einen alternativen Stadtjugendring - und entzog den
       linken Jugendlichen das Geld für ihre Jugendarbeit. "Ich sprach mit dem
       Oberbürgermeister, dann lief das."
       
       Fortan wurden wieder die Religiösen finanziert. Und Bräuchle blieb ein
       Kämpfer, in seiner Kirche, und im Stuttgarter Stadtrat für die CDU, wo er
       mit Manfred List, dem Vater von Christian, im Ausschuss für Wirtschaft und
       Wohnen saß. Bräuchle weiß, was Politik ausmacht: "Wenn es mit Argumenten
       nicht mehr weitergeht, dann schalte ich eben um auf Parole."
       
       An diesem Morgen nutzt er in seiner Rede Argumente. Aber wenn er bei
       Kundgebungen in seiner mattgrauen Kunstlederjacke an der Oper auf einer
       dieser Betonbänke steht, die Yamaha-Lautsprecher auf dem Dach seines
       silberbronzenen Peugeot 807, dann setzt er auf Parolen: Er warnt vor den
       Chaoten dort drüben im Schlossgarten. "Da muss man ja Angst bekommen!" ruft
       er. Und er sagt dann wieder in ruhigen Worten: "Als Stuttgarter sind wir
       einfach auf Lebensstandardmaximierung angelegt."
       
       In Umfragen und auf den Straßen sprechen die Zahlen gegen Christian List
       und Johannes Bräuchle. Doch im Internet, da boomt ihre Dafür-Bevölkerung.
       Dort, wo es kleine Facebook-Gruppen wie "Wir scheißen auf den Juchtenkäfer"
       gibt, ist Gerald Holler ein stiller Held.
       
       Er verwaltet eine andere Facebook-Gruppe, "Für Stuttgart 21" heißt sie.
       Noch im August drückten für sie gerade einmal 2.000 Menschen auf den
       "Gefällt mir"-Knopf. Heute sind es über 80.000.
       
       Holler, 33 Jahre alt, führt eine Unternehmensberatung und steht im
       Hintergrund der Oppositionsbekämpfer, ein stiller Organisator,
       CDU-Mitglied. "Ich habe Angst, dass die Stimmung noch kippt", sagt Holler.
       Damit meint er: Dass die Stimmung von Stefan Mappus noch kippen könnte.
       "Die Verantwortlichen dürfen nicht umknicken."
       
       Holler: "Dazu müssen wir den virtuellen Protest in realen Protest
       verwandeln." Letzte Woche hat Gerald Holler mit anderen einen Verein
       gegründet, es ist ein Facebook-Verein, entstanden aus der Netz-Community.
       Ihr Protest ist der Protest gegen die anderen. Wahrscheinlich benötigt es
       erst ein Dagegen, bevor 4.000 Menschen für etwas auf die Straße gehen.
       
       Möglichst schnell wollen Holler, List und Bräuchle die 10.000er-Marke vor
       dem Rathaus knacken. Und wenn das gelingt, dann stehen eben alle auf der
       Straße. Die einen als Opposition gegen die Landesregierung. Und die anderen
       als Opposition gegen die Opposition. Es ist ein Straßenkampf, der allen
       nahegeht.
       
       Kann dieser Straßenkampf gekauft sein, Christian List?
       
       Wenn es darum geht, dann regt Christian List sich auf. "Wer mir
       unterstellt, ich handle im Auftrag von irgendwem, der geht an meine Ehre,
       an meine Integrität." Natürlich, er hätte auch gerne Aufträge von der
       Deutschen Bahn, sagt er. Als Unternehmer. "Da spricht doch gar nichts
       gegen. Oder ist es schon verboten, ein Geschäft zu führen?" Vor neun Jahren
       einmal, 2001, habe er für die Bahn gearbeitet, eine kleine Sache. Und dann
       gab es noch einen Kaltakquiseversuch bei der Bahn, einmal, telefonisch.
       "Mehr gibt es da nicht. Was sollen diese Unterstellungen?" Christian List
       regt sich so auf, dass man ihm glauben muss. Er ist empört, entsetzt.
       
       Natürlich. Auch wenn es viele auf der Gegenseite nicht gern hören.
       Christian List ist wahrscheinlich nur wie sie, ein empörter Demokrat mit
       einer Meinung. Auf der Straße scheint Christian List zu verlieren. Aber
       seine Regierung, immerhin, die scheint nicht aufzugeben. Es gibt schon noch
       ein paar, die dafür sind, im größten Dagegen-Land der Republik
       
       13 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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 (DIR) Schwerpunkt Stuttgart 21
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