# taz.de -- Protest gegen Atomendlager Gorleben: Adel verzichtet
       
       > Schon seine Eltern beteiligten sich am Widerstand gegen das
       > Atommüllendlager Gorleben. Fried von Bernstorff hält an dieser Tradition
       > fest und denkt zugleich voraus.
       
 (IMG) Bild: Fried von Bernstorff setzt den Protest der Familie gegen das Endlager Gorleben fort.
       
       Der Graf stoppt sein Trekkingrad vor dem Schloss, steckt hastig das iPhone
       in die Sakkotasche. Es sind stressige Tage. Am Wochenende hat im alten
       Kornspeicher des Bernstorffschen Gutes eine Ausstellung zeitgenössischer
       Kunst eröffnet.
       
       Exponate international bekannter Künstler, alle zum Thema Nachhaltigkeit.
       Eine große Nummer für ein 1.300-Einwohner-Nest wie Gartow. Nur muss sich am
       Ende auch jemand um die unglamourösen Dinge kümmern. Die Geldkassette mit
       den Einnahmen zum Beispiel. Sie klemmt jetzt unter dem Arm des Grafen.
       
       Dabei hätte Fried Graf von Bernstorff gerade anderes zu tun. Das
       Alltagsgeschäft muss weitergehen. Aber im Büro steht das Telefon nicht mehr
       still, seit er vergangene Woche die neueste Klage seiner Familie gegen das
       geplante Atommüllendlager im Nachbardorf Gorleben bekannt machte. Nun hat
       der Bundestag auch noch das Atomgesetz um den Paragrafen 9d ergänzt - eine
       "Lex Bernstorff", um seiner Familie jene Waldflächen zu entziehen, mit
       denen sie seit 30 Jahren die Arbeiten für ein Endlager in Gorleben
       blockiert.
       
       Fried Graf von Bernstorff hievt das Fahrrad in den Hausflur der Gräflich v.
       Bernstoff-schen Forstverwaltung. "Rechtshilfe Gorleben", steht auf der
       ersten Tür links hinter dem Eingang. "Eine Hand wäscht die andere", sagt
       der Graf halb im Scherz und eilt die ausgetretene Holztreppe hoch in den
       ersten Stock.
       
       Auf dem Gang hängt Geweih neben Geweih, einige der Trophäen dienen als
       Hutablage, drinnen im Büro grüßt ein Urahn mit Lockenperücke von der Wand.
       Sein Stil sei das nicht, sagt von Bernstorff. "Aber ich fang hier ja gerade
       erst an." Im Vorbeigehen ruft er der Büroleiterin zu: "Mein Vater soll
       bitte nicht stören!" Gelächter im Vorzimmer.
       
       Nach einem Betriebswirtschaftsstudium in Berlin, Rom und Madrid hat Fried
       von Bernstorff in diesem Jahr den Großgrundbesitz der Familie im
       niedersächsischen Gartow übernommen - so wie es die jahrhundertealte
       Tradition für ihn als ältesten Sohn vorsieht. Dem 32-Jährigen gehören jetzt
       ein Barockschloss von 1710, dazu der größte Privatwald Norddeutschlands,
       Land- und Forstwirtschaftsbetriebe mit mehr als 30 Angestellten, etwa 50
       alte Gebäude und alternative Energieanlagen, in die der Vater seit ein paar
       Jahren investiert. Geerbt hat er aber auch die Verantwortung für ein
       gigantisches Problem - eines, das die gesamte Region betrifft, seine
       Familie jedoch besonders.
       
       Denn das Schloss der Bernstorffs, ein barockes Anwesen in Altrosa, umgeben
       von historischen Stallungen und Pferdekoppeln, steht nur zehn Kilometer
       entfernt vom "Erkundungsbergwerk Gorleben". Jenem Areal, das die
       Bundesregierung als bisher einziges potenzielles Endlager für Atommüll in
       ganz Deutschland ausgeguckt hat. Und der Salzstock Gorleben, in dem der
       tödliche Abfall eines Tages vergraben werden könnte, gehört zu einem
       Drittel den Grafen aus Gartow.
       
       Als die niedersächsische Landesregierung in den 70er Jahren den Standort
       Gorleben auswählte, wusste sie wohl um den Bernstorffschen Großgrundbesitz.
       Aber sie scheint Frieds Vater für einen kontrollierbaren Risikofaktor
       gehalten zu haben. Schließlich besaß der Graf nicht nur ein CDU-Parteibuch,
       er genoss auch einen Ruf als konservativer Aristokrat: ein Vater von fünf
       Kindern, der im eigenen Wald zur Jagd ausreitet, vor dem Essen betet, sich
       samt Familie in Öl porträtieren lässt, die Gesellschaft anderer Adeliger
       pflegt und nebenbei die schönen Künste fördert.
       
       Rund 30 Millionen Mark bot die Regierung dem Grafen für seine
       Kiefernwaldflächen über dem Salzstock. Andreas Graf von Bernstorff jedoch
       tat, womit keiner gerechnet hatte: Er verzichtete auf das Geld und trat aus
       der CDU aus.
       
       Sein Sohn sagt: "Meine Familie ist nicht typisch für das klischeehafte
       Bild, das die Gesellschaft so vom Adel hat." Dann grinst er verlegen. "Na
       ja, mit dem Schloss natürlich irgendwie schon …" Aber er selbst sei nun
       wirklich nicht besonders konservativ. Fried von Bernstorff lobt die Grünen
       für das Erneuerbare Energiengesetz. Er schimpft auf die "Lobbyisten der
       Atomindustrie" im Bundesumweltministerium, auf das Geld, mit dem die
       Atombranche versuche, sich die Gunst der Gorlebener zu kaufen.
       
       Den Greenpeace-Atomexperten Mathias Edler nennt er einen "tollen Typen, der
       extrem tief in der Materie drin ist". Beiläufig erzählt der Graf: Der
       Greenpeace-Mann komme inzwischen regelmäßig mit zur Jagd in den
       Bernstorffschen Wäldern.
       
       Vor ein paar Tagen haben die beiden im Berliner Regierungsviertel eine neue
       Klage gegen das geplante Atommüllendlager vorgestellt. Der Umweltaktivist
       trug Pferdeschwanz und Freizeitklamotten, der Graf die Haare im
       Guttenberg-Stil zurückgegelt und einen Wollpulli unter dem Sakko.
       
       Seine Familie, erklärte von Bernstorff den Journalisten, sehe sich einem
       300 Jahre alten Familienstatut verpflichtet. Er verstehe sich deshalb als
       "Glied in einer langen Kette der Generationen" - mit dem Auftrag, den
       Familienbesitz unbeschadet an die Nachkommen zu übergeben.
       
       Dann warnte der Graf: Ein Endlager, das Sicherheit für 30.000 Generationen
       garantieren solle, übersteige "jedes menschliche Maß". "So fühlen wir uns
       herausgefordert, unser Eigentum als Faustpfand zu behalten." Ungewöhnliche
       Argumente für eine Greenpeace-Veranstaltung.
       
       Die Mitstreiter der Bernstorffs aus dem Wendland scheinen sich darüber
       nicht mehr zu wundern. Natürlich habe diese Familie "ihre eigene Art", sagt
       der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke. Aber
       es gebe einen "sehr großen gegenseitigen Respekt", er erlebe die
       Bernstorffs "als unheimlich aufrecht".
       
       Die 87-jährige Ehrenpräsidentin der Anti-Endlager-Bewegung, Marianne
       Fritzen, gerät spontan ins Schwärmen, wenn das Gespräch auf die Grafen
       kommt: "Ich liebe sie einfach!", ruft sie ins Telefon. Die Familie sei
       unersetzlich für den Widerstand im Wendland, nicht zuletzt wegen ihrer
       Eigentumsrechte. "Die waren zwar nie links, aber immer unglaublich sozial
       eingestellt", sagt sie. "Und völlig ohne Standesdünkel."
       
       Den hätten Leute wie die Bernstorffs gar nicht nötig, glaubt der
       Greenpeace-Atomfachmann Edler. Die Familie lege zwar großen Wert darauf,
       ihren Widerstand gegen das Endlager unabhängig von politischen
       Organisationen zu betreiben, die Zusammenarbeit sei aber trotzdem überhaupt
       nicht schwierig. "Im Gegenteil", sagt Edler. Er schätze den Stil der
       Bernstorffs. "Das sind tolle Menschen, die jedem mit Respekt begegnen -
       unabhängig von seiner Herkunft oder seinem Aussehen." Was ja leider gerade
       im Streit über den Atomstandort Gorleben nicht selbstverständlich sei. Und
       wenn eine Demo stattfinde, treffe man die Bernstorffs auch nachts um halb
       zwei bei strömendem Regen auf der Castorstrecke.
       
       Nur einmal, beim Castortransport im Herbst 1996, habe die Familie für den
       Widerstand "bewusst das Klischee bedient, das ihr entgegenschlägt", erzählt
       Edler. Der Greenpeace-Mann wurde zufällig Zeuge der bizarren Aktion. Bis
       heute hat er vor Augen, wie Andreas Graf von Bernstorff eigenhändig eine
       Kiefer in seinem Wald fällte, der Baum fiel direkt auf die Castorstrecke,
       mitten zwischen die Polizeiautos.
       
       Dann setzte sich die gesamte Grafenfamilie mit ihren Labradorhunden davor
       auf die Straße. Für Minuten sei die Einsatzhundertschaft der Polizei in
       eine "ungläubige Starre" gefallen, erinnert sich Edler. "So eine
       Demonstration hatten die Polizisten offenbar noch nie erlebt!"
       
       Die Kinder der Bernstorffs kennen kein Leben ohne Anti-Atom-Protest. Als
       Fried von Bernstorff zur Welt kam, hatte sich die Regierung bereits für
       Gorleben als möglichen Standort entschieden - und damit seine Eltern auf
       den Plan gebracht. Seine Mutter, Anna Gräfin von Bernstorff, trat der
       Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg bei, sie engagierte sich im Vorstand der
       Gartower Kirchengemeinde, später auch im Umweltausschuss der EKD-Synode.
       
       Und natürlich ist es kein Zufall, dass die Landeskirche vergangene Woche
       quasi zeitgleich mit den Bernstorffs ebenfalls eine Klage gegen die
       Weitererkundung des Gorlebener Salzstocks präsentierte: Der Gartower Pastor
       Eckhard Kruse ist nicht nur offizieller "Endlagerbeauftragter" der Kirche,
       sondern bis heute quasi ein Dorfpfarrer von des Grafen Gnaden. Denn die
       Bernstorffs, deren Vorfahren die Gartower Kirche bauen ließen, bestehen bis
       heute auf ihrem Recht, die Vorauswahl neuer Pastoren zu treffen.
       
       "Wirklich wie im Mittelalter", sagt Kruse trocken. Zum Bewerbungsgespräch
       musste er aufs Schloss. "Ich hab den Grafen erst mal gefragt, wie man ihn
       überhaupt ansprechen muss!" Heute duzen sich die beiden - und vom Pastor
       hört man keine weiteren kritischen Bemerkungen über seine Nachbarn, aus
       denen Freunde wurden. Nur so viel: Die Bernstorffs hätten ihre Kinder schon
       "sehr wertkonservativ" erzogen.
       
       Fried von Bernstorff sagt über sich selbst: "Ich denke nicht wie ein
       Aktivist, sondern wie ein Betriebswirt." Aber das sei ja auch ein Grund,
       gegen Atomkraft zu sein. Der Graf glaubt nicht an die Mär vom
       kostengünstigen Atomstrom. Bis heute sei doch kein einziges Atomkraftwerk
       in Deutschland versichert: "Die sollen endlich mal eine Vollkostenrechnung
       vorlegen!"
       
       Als neuer Eigentümer der Gräflichen Betriebe will er einen Schritt
       weitergehen als sein Vater. Der investierte zwar schon in eine
       Biogasanlage, aber Fried von Bernstorff genügt das nicht. Gerade hat er
       gemeinsam mit Freunden und adliger Verwandtschaft den Verein
       Wendepunktzukunft gegründet. Ein international vernetzter "Thinktank" soll
       daraus werden, eine Plattform, die in Zeiten von Abwanderung und
       Überalterung neue, attraktive Formen des Landlebens entwirft.
       
       Fried von Bernstorff wünscht sich, dass ganz Gartow in ein paar Jahren
       komplett mit erneuerbarer Energie aus der Region versorgt wird. Er selbst
       hat mit anderen Unternehmern eine Firma zur Nutzung von Holzenergie
       gegründet. Und Windkraft will er gewinnen.
       
       Den optimalen Standort für die Windräder? Kann er zeigen. Der Graf grinst
       breit, tippt auf die Karte der Bernstorffschen Ländereien, die an der Wand
       neben dem Schreibtisch hängt. Sein Finger landet genau neben dem
       "Erkundungsbergwerk Gorleben". Genug Wind, versichert er, gebe es dort auf
       jeden Fall.
       
       29 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
       
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