# taz.de -- Bürger gegen Umbau der Kastanienallee: Kampf um den Bürgersteig
       
       > Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) verkündet den Umbau der
       > Flaniermeile in Prenzlauer Berg. Anwohner und Gewerbetreibende fühlen
       > sich komplett ignoriert
       
 (IMG) Bild: Autos sollen künftig zwischen den Bäumen parken: Der noch breite Bürgersteig auf der Kastanienallee
       
       "Sie machen den Kiez kaputt", schimpft ein Besucher. "Die Straße wird
       lebensgefährlich", empört sich ein anderer. "Wir sind nicht gegen
       Instandsetzung, aber gegen die Modernisierung dieser Straße", ruft ein
       dritter.
       
       Es geht um die Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Das Bezirksamt Pankow hat
       Mittwochabend zur Informationsveranstaltung über die bevorstehende
       Straßensanierung in den Saal der Bezirksverordnetenversammlung geladen. Der
       [1][Stadtrat für öffentliche Ordnung], Jens-Holger Kirchner (Grüne), will
       erklären, wann genau wo was gebaut wird. Wie lange die Anwohner betroffen
       sein werden. Wie Gewerbetreibenden bei Umsatzeinbußen vom Land Berlin
       geholfen wird.
       
       Aber die große Mehrheit der Besucher im Saal will gar nicht wissen, wie die
       Straßensanierung für die Anwohner möglichst angenehm gestaltet wird. Sie
       ist schlichtweg gegen die Gestaltungspläne des grünen Stadtrats. Immer
       noch.
       
       Seit fast drei Jahren wird gestritten. Es geht um den 650 Meter langen
       Abschnitt zwischen Schwedter Straße und Schönhauser Allee. Es geht um die
       Flaniermeile, an der sich Cafés, Kneipen und kleine Läden aneinander
       reihen. Es geht um die Kastanienallee, die Touristen und Einheimische mit
       ihrem Charme zu Tausenden anlockt.
       
       "Der gesamte öffentliche Raum lässt zu wünschen übrig", sagt Kirchner. Er
       hat recht: Die holprigen Bürgersteige sind für Rollstuhlfahrer eine
       Zumutung. Auf der Straße teilen sich Tram, Autos und die vielen Radfahrer
       eine Spur pro Richtung. Kirchners Umbauplan entspricht den Grundsätzen
       grüner Verkehrspolitik: Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, Ausbau des
       Radwegnetzes, Zurückdrängung des Autoverkehrs. Da, wo heute geparkt wird,
       soll es eine 1,50 Meter breite Fahrradspur geben. So komme auch die
       Straßenbahn schneller voran. Zudem wird die Zahl der Parkplätze um 40
       Prozent reduziert. Autos werden nicht mehr auf der Straße, sondern in
       Parkbuchten zwischen den Bäumen stehen - dafür wird ein Teil des breiten
       Bürgersteigs geopfert.
       
       Die Fahrbahn wird dann optisch fast doppelt so breit wirken. Das lädt dazu
       ein, schneller zu fahren. Der Platz für Flaneure wird enger, Cafégäste
       hocken näher an den parkenden Autos. Die Fahrradspur wiederum halten die
       Kritiker für kontraproduktiv. Aus rechtlichen Gründen ist sie nur ein so
       genannter Angebotsstreifen. Darauf dürfen Autos und Lieferfahrzeuge halten,
       ärgert sich Daniel Röttger von der [2][Bürgerinitiative Kastanienallee].
       Radfahrer müssten ausweichen - über die Gleise der Tram.
       
       "Es fehlt jede Sensibilität für die Straße", schimpft Frank Möller,
       Sprecher der Anwohnerinitiative [3][Carambolage]. "Andere Städte würden aus
       so einer besonderen Straße eine Fußgängerzone machen", ruft er unter dem
       Applaus der gut 30 Besucher. "Ich habe 45 Gewerbetreibende auf der Straße
       gefragt. 40 sind gegen die Pläne, fünf haben sich enthalten", berichtet
       Sebastian Mücke, der selbst einen Landen an der Kastanienallee hat.
       
       Keines dieser Argumente ist neu. Die Kritiker haben sie mehrfach
       vorgebracht. Nirgendwo sonst habe es eine derart transparente
       Bürgerbeteiligung gegeben, betont Stadtrat Kirchner. Er erinnert an eine
       fünfstündige Anhörung im vergangenen Jahr. "Das war eine
       Alibiveranstaltung", schimpft Initiativen-Sprecher Möller. "Kein einziger
       Vorschlag von damals wurde berücksichtigt."
       
       Demokratie bedeute nicht, dass Einzelinteressen umgesetzt würden,
       verteidigt sich Kirchner. Außerdem, sagt der Stadtrat später auf Nachfrage,
       gebe es durchaus Änderungen. So sei nun Tempo 30 geplant. Zudem eine
       Bedarfsampel für Fußgänger. Und der Bereich für die Schankgärten auf den
       Bürgersteigen sei verbreitert worden. Doch das Tempolimit ist noch nicht
       hundertprozentig sicher. Für die Bedarfsampel muss erst der Bedarf geklärt
       werden. Bleibt der Platz für die Gewerbetreibenden: Sie bekommen 20
       Zentimeter mehr.
       
       "Am besten wäre es, wenn es gar keine Parkplätze gäbe", sagt Kirchner noch.
       Dann gäbe es genug Platz für Trams, Radler und Flaneure. "Aber das haben
       wir uns nicht getraut."
       
       Am Ende der Informationsveranstaltung will einer der Anwohner nur noch eins
       wissen: "Welche Einspruchsmöglichkeiten gibt es noch?" Das Publikum
       klatscht. Der Stadtrat guckt genervt. Der Anwohner wiederholt seine Frage:
       "Wie kann man das noch verhindern?" Tiefbauamtsleiter Peter Lexen redet von
       üblichen Ängsten der Gewerbetreibenden. Der Anwohner versucht es ein
       drittes Mal: "Kann man das noch stoppen?" Er sei nicht der richtige, um
       diese Frage zu beantworten, sagt Lexen. Und beantwortet sie dann doch:
       "Nein!" Noch in diesem Monat sollen die Arbeiten beginnen.
       
       "Wenn man Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus fragt, ob
       Stuttgart 21 noch zu verhindern ist, sagt der auch Nein", meint der
       Anwohner kopfschüttelnd. Beim Rausgehen beraten die Initiativenvertreter
       neue Proteste.
       
       12 Nov 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/abteilung4/index.html
 (DIR) [2] http://www.bi-wasserturm.de/html/Kastanienallee.html
 (DIR) [3] http://www.carambolagen.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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