# taz.de -- Straßensanierung in Prenzlauer Berg: Der neue Geist der Oderberger Straße
       
       > Als am Montag die Bagger in anrücken, bleiben die Proteste aus. Drei
       > Jahre lang haben Alteingesessene und Zuzügler um ihre Straße gekämpft,
       > mit dem Bezirk erfolgreich einen Kompromiss ausgehandelt.
       
       "Gefährdet. Stehen lassen. Sanierung 2010": Sonnenblass kleben die roten
       Zettel an den Pflanzkästen. Der Protest gegen die Neugestaltung der
       Oderberger Straße in Prenzlauer Berg ist schon eine Weile her. Die
       einzigen, die sich dem Beginn der Bauarbeiten am Montag widersetzten, waren
       19 Autobesitzer. Sie ließen ihre Fahrzeuge an der Straße stehen - und
       müssen nun sehen, wie sie sie aus den Absperrungen befreien. Der
       Kulturkampf grüner Stadtrat gegen grüne Anwohner und ihr Straßengrün blieb
       aus.
       
       Dass die Sanierung einer Straße zum Politikum wurde, geht auf die Kappe von
       Jens-Holger Kirchner. Pankows Stadtrat für öffentliche Ordnung hatte im
       Herbst 2007 plötzlich 2,5 Millionen Euro aus Mitteln der Denkmalpflege zur
       Verfügung - und kündigte kurzerhand die Erneuerung der Fahrbahn, Gehwege,
       Straßenlaternen und Leitungen in der Oderberger Straße an. Die Bewohner der
       Szenemeile aber wollten keine Sanierung, sondern ihre Blumenkästen, selbst
       gepflanzten Bäume, Sitzgelegenheiten und sogar die DDR-Straßenlaternen
       behalten. So nahm ein Drama seinen Lauf, auf dessen Höhepunkt sich Kirchner
       vorwerfen lassen musste, er habe vom "Geist der Straße" keine Ahnung.
       Kirchner keilte zurück und ätzte über die "25-Jährigen Zugereisten", die
       ihm, der 1979 in den Prenzlauer Berg gezogen war, den Kiez erklären
       wollten.
       
       "Richtig zur Sache ging es da", erinnert sich Oskar Neumann. Der 39-Jährige
       ist kein Zugereister, sondern in der Oderberger Straße geboren. Als sich
       noch wenige Touristen in die Straße verirrten, jobbte er als Gärtner,
       später studierte er Biologie, heute kümmert er sich um Kinder - und seine
       Straße. Kaum hatte Kirchner die Pläne für die Sanierung vorgestellt,
       gründete Neumann die "Bürgerinitiative Oderberger Straße" (BIOS). So
       standen sich zwei Alt-Prenzelberger gegenüber, die zu DDR-Zeiten gemeinsam
       gegen den Abriss in Prenzlauer Berg gekämpft hatten. Grüner Politiker gegen
       unangepassten Lebenskünstler: Das wären die Zutaten des Kulturkampfs
       gewesen. Dass er ausfiel, zeigt eine wundersame Wandlungsfähigkeit in
       diesem Teil des Prenzlauer Bergs. Nicht nur haben Kirchner und die Anwohner
       einen Kompromiss gefunden. In den drei Jahren des Widerstands haben
       Alteingesessene und Zuzügler auch gezeigt, dass sie mehr miteinander
       verbindet als trennt.
       
       Der Kompromiss sieht so aus: Was an Bäumen, Hochbeeten und Sträuchern
       erhalten werden kann, bleibt erhalten. Der Rest wird nach Beendigung der
       Bauarbeiten in anderthalb Jahren neu gepflanzt. Oskar Neumann ist darum
       recht zufrieden, "auch wenn es hier und da noch einen Dissens mit dem
       Grünflächenamt gibt". Zufrieden ist auch Stadtrat Kirchner. Und lernfähig
       obendrein. Nachdem er eingesehen hat, dass die Oderberger Leute lieber
       Wildwuchs mögen als Ordnung, hat sich auch der Ordnungsstadtrat für
       Letzteres stark gemacht. Dass das Bürgerbeteiligungsverfahren fast drei
       Jahre gedauert hat, findet er aber schade. "Solche Zeiträume können wir uns
       bei weiteren Sanierungsmaßnahmen nicht leisten."
       
       Für die Anwohner kamen die drei Jahre gerade recht. Aus der Oderberger
       Straße der Neunziger mit ihrer politischen Aufsässigkeit und einem beinahe
       dörflichen Beziehungsgeflecht ist in den Nuller Jahren des 21. Jahrhunderts
       eine Ausgeh- und Touristenmeile mit Cafés, Restaurants und Secondhand-Läden
       geworden. Dennoch nahm die Oderberger eine andere Entwicklung als der
       Kollwitzplatz. Nicht um Chic ging es zwischen Kastanienallee und Mauerpark,
       sondern um Lebensgefühl. So gehörte der in den Neunzigern entstandene
       Wildwuchs bald allen: den Alteingesessenen und den Zuzüglern. Oskar Neumann
       sagt dazu: "Die Oderberger Straße hat sich geändert, aber sie ist mir nicht
       fremd geworden, sondern Heimat geblieben." Andern ist sie zur neuen Heimat
       geworden - wie sonst wäre die Entschlossenheit, sich gegen die
       Tabula-Rasa-Pläne zu wehren, zu erklären?
       
       Doch auch an der Oderberger geht der Geist des Kollwitzplatzes nicht
       vorbei. Viel schlimmer als die Sanierung der Straße findet Heinrich Andreas
       Huber die Privatisierung des Hirschhofes. Der in den 80er Jahren gestaltete
       Park zwischen Oderberger Straße und Kastanienallee hat zwar die DDR
       überlebt. Nun aber haben die Besitzer der Eigentumswohnungen in der
       Kastanienallee ihren Anteil daran eingeklagt. "Das hat mit dem Lebensgefühl
       der Straße nichts mehr zu tun", sagt Huber, der sein Geld als Hausverwalter
       verdient.
       
       Mit dem Beginn der Straßensanierung stehen sich längst nicht mehr Ordnung
       und Wildwuchs gegenüber, sondern öffentliches Lebensgefühl und privater
       Luxus. Für die Bürgerinitiative Oderberger Straße gibt es noch viel zu tun.
       
       12 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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